Ein Dresdner Lokal nicht nur zum Essen

Bei Max schmecken Goldene Joich und Gefillte Fisch wie daheim. „La Rue“ ist das einzige jüdische Restaurant in Dresden – und das verrückteste noch dazu.
Von Katja Sindemann

Bei der Rückfahrt von unserem Sommerurlaub machten wir in Dresden, dem wieder auferstandenen Elbflorenz, Station und sind am Abend – Auswahl per Reiseführer –
zielsicher in das einzige jüdische Restaurant geschneit. Todmüde nach langer Fahrt, suchten wir per Stadtplan das Lokal.
Wir konnten nicht wissen, dass es ein Höhepunkt unserer Reise werden
sollte. Es befand sich in der Neustadt, ein alternatives, flippiges Viertel gegenüber der Altstadt. Secondhand-Shops und Studentenkneipen zieren die Umgebung. Hier wurde Ende der 90er Jahre die BRN, die Bunte Republik Neustadt, gegründet.
Zuerst betritt man die vordere, stilvoll mit Holz und Antiquitäten möblierte Bar, dann gelangt man in das hintere Restaurant. Es ist wie ein Pariser Straßenbistro eingerichtet. Wandkästen simulieren Geschäftsauslagen, davor die Menütafel, gegenüber Tische und Stühle. Französische Schilder, Bilder und Rotweinflaschen erzählen von der Frankophilie des Inhabers. Max bedient uns persönlich, sehr höflich, sehr zuvorkommend. Gefillte Fisch gibt es leider nur nach Voranmeldung, aber alles andere steht zu unserer Verfügung.
Als wir uns – beeindruckt von dem Angebot an jiddischer und französischer Küche – nicht entscheiden können, lädt uns Max kurzerhand in die Küche ein. Zögernd folgen wir ihm. Nie zuvor habe ich eine Restaurantküche betreten. In schweren gusseisernen Pfannen und Töpfen schmurgeln Köstlichkeiten auf dem Gasherd vor sich hin. Max macht den genialsten Vorschlag seit langem: Er wird uns von allem ein bisschen was servieren.
Die Goldene Joich als Vorspeise ist ein Gedicht. Max schmunzelt: „Es kommen viele Juden aus New York hierher. Die sagen: ‚Hier schmeckt‘s wie daheim!‘“ Überhaupt erweist sich Max als sehr gesprächig. Als er hört, dass wir aus Wien kommen, erzählt er, dass Gourmetkritiker Christoph Wagner öfters zu Gast ist. Das kann nur Gutes bedeuten.

Zwischen Vorspeise und Haupt­gericht erfahren wir seine gesamte Lebensgeschichte: In Dresden geboren, zog es ihn frühzeitig zur See. Als Matrose auf Frachtschiffen schipperte er durch die Weltmeere. Er holt ein Foto hervor, das ihn mit Stirnband
und Kalaschnikow im Anschlag am Strand zeigt. „Einmal war ich auf einem Schiff, das Waffen nach Vietnam geschmuggelt hat.“ Damals sei er aufgewacht: „Ich will keine Menschen töten und nichts mit Krieg zu tun haben.“ Nach Aufenthalt in Frankreich kehrte er nach Dresden zurück. „Hier kommen Juden aus der ganzen Welt her. Dort drüben sitzen Gäste aus Belgien.“ Sein Mitarbeiter zeigt uns den Rest vom Restaurant: hinten ein Raum im Stil eines 20er-Jahre-Separees mit roten Samtvorhängen und goldenen Barockschnörkeln. Hinten hinaus im Innenhof ein Garten mit frischen Kräutern. Darüber der Vollmond. Am Tresen steht derweil ein Transvestit: blonde Haare, Minirock, schwarze Stiefel, tiefe Stimme. Max erklärt: „Er macht alternative Stadtführungen und bringt zum Abschluss seine Gäste zu mir.“
Das Essen schmeckt hervorragend. Im Hintergrund läuft leise Tango und Marlene Dietrich. Schließlich lädt uns Max ein: „Kommt doch mit vors Lokal. Ich sitze mit ein paar Freunden zusammen.“
Die Sommernacht ist lau, schnell sind wir per Du mit den jungen Sachsen. Max serviert Cidre und Espresso, man plaudert über Politik, Jobs und Medien. Max: „Bei uns in Dresden gibt es rund 400 Juden. Die sind
untereinander zerstritten. Wie überall auf der Welt.“ In seinem Lokal finden regelmäßig Vorträge zu Aspekten des Judentums statt, gehalten von einem evangelischen Religionslehrer. Dieser ist zugleich Vorstand der Deutsch-Israelischen Gesellschaft e.V., Ar­­beitsgemein­schaft Dresden.
Als wir endlich gehen müssen, haben wir nicht nur gut gegessen, sondern auch neue Freunde gefunden.

„La Rue“
Görlitzerstr. 11
D-01097 Dresden
Tel.+Fax: 0049/(0)351/801 29 77

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