Eigentlich ist alles klar

Während sich US-Präsident Obama auf einen historischen Besuch in Israel vorbereitet und die EU an weiteren Nahost-Friedensinitiativen bastelt, ist es um die Regierungsbildung in Israel eigenartig ruhig. Dabei hatten die Wähler eigentlich ein klares Wort gesprochen. Eine Analyse zu den Wahlen in Israel.
Von Johannes Gerloff, Jerusalem (Text und Foto)

Gleich nach den ersten Hochrechnungen am Wahlabend des 22. Januar rieben sich Kommentatoren genüsslich die Hände: Der Wähler hat „Bibi“ eins ausgewischt. Benjamin Netanjahu musste, meinen die Experten, eine schmerzhafte Wahlschlappe einstecken. Rechts und Links stehen einander fifty-fifty gegenüber, wollte die linksliberale Tageszeitung HaAretz per Grafik beweisen. Im israelischen Parlament herrscht Patt. Vor allem ausländische Medien bejubelten das Ausbleiben des befürchteten Rechtsrucks.

Erst als gegen Ende der vorletzten Januarwoche auch die Stimmen von Soldaten, Gefangenen und Diplomaten ausgezählt waren, ergab sich eine knappe Mehrheit von 61 zu 59 Mandaten für den sogenannten „Rechtsblock“. Bei näherem Hinsehen stellt sich allerdings die Frage, ob der klare Hass auf „Bibi“ nicht manchem Beobachter den Blick getrübt hat. So gehören zum „Linksblock“ elf arabische Knesset-Abgeordnete, die noch nie einer Regierungskoalition angehört haben. Sodann finden sich im „Linksblock“ zwei Abgeordnete der „Kadima“ („Vorwärts“)-Partei, deren Vorsitzender Schaul Mofaz Netanjahu im November ein zu lasches Vorgehen gegen die Hamas im Gazastreifen vorgeworfen hat. „Links“ soll auch die neu gebildete „HaTnuah“ („Die Bewegung“) mit sechs Abgeordneten sein, deren Chefin Tzippi Livni Ziehtochter des Siedlervaters Ariel Scharon ist, und die kaum einen Monat später als erste Koalitionspartnerin Netanjahus gemeinsam mit diesem vor die Presse trat. Traditionell links ist die sozialdemokratische Arbeitspartei – die allerdings die meisten Siedlungen in den besetzten Gebieten gegründet hat. Und zum sogenannten „Linksblock“ gehören die 19 Abgeordneten der neuen „Jesch Atid“(„Es gibt eine Zukunft“)-Partei von Jair Lapid. Womit als „echte“ israelische Linke gerade noch die sechs Abgeordneten der „Meretz“-Partei bleiben.

Jüngster Polit-Komet Israels

Jair Lapid, neuer Hoffnungsträger europäischer Friedenssehnsucht, hat seine Wahlkampagne im Oktober mit einer Rede zur Außenpolitik in der Siedlerstadt Ariel im Herzen Samarias eröffnet. Offen vertritt er, die Siedlungsblöcke müssten im Rahmen eines Abkommens mit den Palästinensern auf jeden Fall bei Israel bleiben. Im Gegenzug bietet er den Palästinensern noch nicht einmal Territorium, das vor 1967 bereits zu Israel gehört hat – wie das der als „rechts extrem“ und „rassistisch“ verschriene Avigdor Lieberman vorgeschlagen hatte. Eine Teilung Jerusalems kommt für Lapid nicht in Frage. Er vertritt somit nichts anderes als Netanjahu oder Lieberman – und eben einen überwältigenden Konsens in der israelischen Gesellschaft. Könnten die Palästinenser das akzeptieren, hätten sie spätestens im Jahr 2000 in Camp David von Ehud Barak ihren Staat haben können. Problempunkt an der Position Lapids ist, dass sie nicht nur für die arabische Welt, sondern auch für Europa inakzeptabel ist. Alle Siedlungsvorhaben, die in den vergangenen Monaten für Furore gesorgt haben, werden von Lapid – nimmt man seine Aussagen ernst – unterstützt.

Auch in punkto Iran ist der jüngste Polit-Komet Israels keine Taube. So sagte er der Nachrichtenagentur Reuters ohne Zaudern ins Mikrofon: „Sollte der Iran eine Atombombe bekommen, muss Israel die Anlagen bombardieren.“ Im selben Interview forderte Lapid eine Neuaufnahme der Gespräche mit den Palästinensern, was für europäische Ohren Musik gewesen sein mag. De facto vertrat er damit aber wieder nichts anderes als seine Kollegen Lieberman und Netanjahu. Gemeinsam mit einem überwältigenden Großteil seiner Mitbürger will er „die Palästinenser loswerden“ – was er in dem schönen Satz zusammenfasst: „Wir wollen mit den Palästinensern keine glückliche Ehe, sondern eine lebenswerte Scheidung.“ Fragen, die aus europäischer Sicht essenziell für die Zukunft des Nahen Ostens scheinen, standen im Januar in Israel nicht zur Wahl, wurden im Wahlkampf nicht einmal angesprochen, geschweige denn diskutiert. Dazu gehören die Iranfrage, der Friedensprozess, die politische Zauberformel „Land für Frieden“, Israels Siedlungspolitik oder das Verhältnis zu den Palästinensern. In all diesen Fragen ist sich die israelische Öffentlichkeit, von wenigen Ausnahmen abgesehen, einig. Offensichtlich ist die traditionelle Einteilung Israels in „rechts“ (d.h. hart mit rassistischer Tendenz, siedlungswild, friedensunwillig) und „links“ (d.h. gesprächsoffen, kompromissbereit, rückzugswillig) hinfällig. Die Hauptsorge des Rests der Welt, der inmitten eines außer Kontrolle geratenen „Arabischen Frühlings“ wenigstens zwischen Israelis und Palästinensern Frieden sehen will, interessiert den israelischen Wähler nicht.

Die steigenden Lebenshaltungskosten – und dabei vor allem die horrenden Wohnungskosten – treiben die Menschen auf die Straße. Unumstritten ist, dass Israels Militär gegen erklärte Feinde aktiv werden muss. Die Bürger bewegt, wer die Armee unterhalten, wer drei Jahre Wehr- und danach noch zwei Jahrzehnte lang jedes Jahr einen Monat lang Reservedienst leisten und bei alledem sein Leben aufs Spiel setzen soll. Schließlich wünschen sich viele Israelis eine Reform des Wahlsystems, stabilere und vor allem (kosten-)effektivere Regierungen.

All das hätte Netanjahu bereits in der vergangenen Legislaturperiode durchsetzen können. Als Regierungschef ist er nach wie vor unumstritten die Nummer eins in Israel. Fast zwei Drittel aller Parlamentsabgeordneten haben nach den Wahlen Staatspräsident Peres vorgeschlagen, ihn mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Der Wähler hat den Ultraorthodoxen, die damit drohen, „den Namen Gottes zu heiligen“ und gegen die Beschlüsse der Regierung aufzustehen, eine klare Absage erteilt. Unvereinbar scheinende Partner wie die säkulare „Jesch Atid“-Partei Jair Lapids und das nationalreligiöse „Bait HaJehudi“ („Jüdische Haus“) unter Naftali Bennett haben ein „ehernes Bündnis“ geschmiedet. Sie sind sie sich einig: Die Ultraorthodoxen müssen in die Armee. Auch will man die orthodoxe Dominanz des Obersten Rabbinats aufsprengen. Nationalreligiöse Rabbiner wollen endlich als vollwertig betrachtet und behandelt werden.

Koalitionspartner Livni

Was treibt den politischen Taktiker Netanjahu dazu, ausgerechnet mit Tzippi Livni eine erste Koalitionsvereinbarung einzugehen? – Ihre „Bewegung“ hat sechs Sitze und gehört zu der Minderheit in der Knesset, die sich weigerte, Netanjahu als Premier vorzuschlagen. Livni bricht als erste von drei Parteichefinnen, die gelobt hatten, niemals eine Koalition mit Netanjahu einzugehen, eben dieses Versprechen. Sie soll dafür Justizministerin werden und die Verhandlungen mit den Palästinensern verantworten. Glaubt Netanjahu, Lapid und Bennett als Koalitionspartner so fest in der Tasche zu haben? – Livni gehört zu den profiliertesten Befürworterinnen des Gazarückzugs im Sommer 2005, soll für eine Teilung Jerusalems und eine Aufgabe der Siedlerstadt Ariel sein – weshalb sie für das nationalreligiöse „Bait HaJehudi“ der Siedlerbewegung völlig inakzeptabel ist. Oder brüskiert Netanjahu seine „natürlichen Bündnispartner“ nur deshalb, weil er sich einfach wohler fühlt mit der „alten Garde“, die lieber um Posten und Einfluss feilscht, als Inhalte und Sachfragen zu diskutieren? – Fast 50 der 120 Knesset-Abgeordneten sind neu im parlamentarischen Geschäft.

Viele verabscheuen expressis verbis das traditionelle Gerangel um Ministerposten. „Es kommt darauf an, wohin Netanjahu das Land führen will, welche Ziele er hat und welche Werte“, betont Lapid. Das Volk hofft auf eine neue Politikergeneration, die hält, was sie versprochen hat. Spannend bleibt, ob Netanjahu diesen Erwartungen gerecht wird und unter diesen Bedingungen eine stabile Koalition zustandebringen kann.

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