Die Wohnung des Rabbiners ist leer

Die Dokumentarfilmerin Anja Salomonowitz berichtet aus Košice über ihr Theaterstück im Rahmen der Kulturhauptstadt 2013.
Von Anja Salomonowitz (Text und Fotos)

Es läutet an der Türe der dunklen, hohlen Wohnung. Die Besucher warten gespannt. Sie wissen noch nicht, was sie innen erwartet. Der Rabbiner von Košice hat früher hier gewohnt. Jetzt ist die Wohnung karg renoviert und nichts erinnert mehr an jüdisches Leben. Heute werden es insgesamt 48 Besucher sein, die durchgeführt werden, meist keine Juden. So viele Menschen waren schon lange nicht hier in diesen verlassenen Räumen. Wir hören Musik, Gesang aus einem Monitor im hinteren Zimmer. Die Fremden bekommen Kerzen, die das einzige Licht geben. Im ersten Zimmer dann Bilder der zerstörten Synagoge auf einem Monitor. Aus dem Fenster hier kann man die Synagoge von außen sehen, weiß renoviert, doch innen liegt völlig leer – seit dem Holocaust.

Košice ist die zweitgrößte Stadt der Slowakei. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten hier an die 12.000 Juden, heute sind es 600 gemeldete Personen. In der Gemeinde aktiv sind vielleicht 25 Menschen, die meisten schon älter. Die Menschen, die nach Holocaust und Kommunismus wieder in die Gemeinde kamen, wie sehr muss ihr Herz daran hängen. Sie versuchen, ihr jüdisches Leben und einen Alltag mit Gebeten und jüdischen Festen aufrechtzuerhalten.

Ich arbeite hier, im Rahmen der Kulturhauptstadt 2013, bei einem Theaterprojekt, X-Apartments: Jeweils zwei Besucher werden durch Privatwohnungen geführt, in jeder Wohnung gibt es eine Performance, einen Film, ein Lied, eine Show, für die ein Künstler oder eine Künstlerin verantwortlich zeichnet. Die Personen, die mitwirken, sind oft die Bewohner der Wohnung selbst. Es soll die soziale Realität dadurch näher gebracht werden, Einblicke in eine Stadt gegeben werden, die man sonst nicht bekommen würde.

Die Kuratorin, Katrin Moll, und ihr Team hatten große Schwierigkeiten, an die Gemeinde heranzutreten und Menschen zu finden, die bereit waren, ihre Wohnung der Theateröffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Kein Wunder – die Geschichte hat Vorsicht gelehrt.

Liron Yossef kommt aus Israel und hat ein so großes Herz, das man spürt, wenn man ihm nur die Hand schüttelt. Liron ist ein jemenitischer Jude, aus einer frommen Familie. Er ist im Moment das Substitut für den Rabbiner und erledigt alle Aufgaben, die sonst ein Rabbiner tun würde. Liron und ich verstehen uns auf Anhieb gut.

Und da gibt es diesen verwunschenen, schönen Ort, an dem ich tagelang arbeiten werde, die Räume der Organisation der Gemeinde. Hier arbeiten die Sekretärin und Mister Sitar, der Gemeindevorsteher. Dahinter ragt die innen zerstörte Synagoge auf. Rechts geht eine Treppe in die ehemalige Wohnung des Rabbiners. Im ersten Stock gegenüber ist das Restaurant, eine kleine Küche mit einer Köchin, die koscher kocht. Die Menschen kommen mittags, zwischen 12 und 14 Uhr und haben Marken mit einem Davidstern, die sie gegen Essen tauschen können.

Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, was mit der verschlossenen Gemeinde gemeint ist, denn alle machen Scherze. Ich bin erstaunt, denn so viele können Deutsch. Frau Zuza Klein war Ballerina. Sie erzählt mir, dass sie in Wien getanzt hat. Ob es die Oper noch gibt?

Ich entscheide also, in der ehemaligen Wohnung des Rabbiners zu arbeiten. Liron soll durch die Wohnung führen und erklären, wie es ausgesehen hat. Er hat hier viele glückliche Schabbatabende verbracht, der Rabbiner hatte gerne eingeladen. Liron erzählt in unserer Performance über die Möbel, die Einrichtung, die Bücher, die Forschungen des Rabbiners. So wird die Leerstelle deutlich, die ein fehlender Rabbiner hinterlässt. Liron berichtet lebhaft, oft und oft an einem Abend, voll Energie.

Für die Zeit, in der Liron abends vorbeten und die Sukka leiten muss, beschließen wir einfach, die Performance in den Tempel oder in die Sukka zu verlegen. Wir nehmen die Zuseher mit in Lirons Alltag. Als Dokumentarfilmerin denke ich: Das ist sowieso am besten so.

Eine Zuseherin aus Deutschland erkundigt sich, wieso die Frauen hinten sitzen müssen im Tempel. Liron lacht und meint, man kann nicht beten, wenn eine Frau neben einem sitzt. Ich weiß, das ist der Grund der Unterdrückung, für das Kopftuch, für die hintere Reihe. Die Männer befürchten, verführt zu werden. Liron sagt, im Judentum seien die Frauen den Männern voraus. Sie müssen nicht beten, weil sie die Weisheit sind. Die Männer, die Trotteln, die müssen sich anstrengen, aber die Frauen, die können sich um andere Dinge kümmern. Ich denke mir, immerhin ein liebevoller Versuch, die patriarchale Struktur ehrenwert zu erklären.

In der Sukka erklären wir den Besucherinnen, die alle zehn Minuten wechseln, was es mit dem Lulav und der Sukka auf sich hat. Wir haben einen absoluten Exotenbonus. Was ich besonders süß finde, ist, dass die zwei, drei Männer, die noch da sind, ältere Männer mit Kippa und einem Wunsch nach Gemeindeleben, überhaupt nicht nachfragen, was wir da eigentlich tun. Sie sitzen zufrieden und hören zu, wenn wir auf Englisch oder Slowakisch erzählen.

Am nächsten Tag ist Simcha Tora. Liron trägt die Thora rundherum, Jakub auch. Alle sind fröhlich. Ich singe mit, während ich einer deutschen Journalistin, einem Pariser, zwei slowakischen Sozialarbeiterinnen und zwei Studentinnen erzähle, was da eigentlich passiert. Alle sind erstaunt, dass man sprechen darf während des Gottesdienstes. Ich sage einfach, man darf das im Tempel. Dabei weiß ich gar nicht, ob das stimmt, ich weiß nur, dass es in Wien so ist. Heute wird es in der Sukka noch lustiger. Es sind schon sieben Männer da, dazu Liron, Jakub und ich. Peter, mein Assistent, fragt entsetzt, ob wir da alle reinpassen. Die alte Dame, die nebenan wohnt, hat das Dach mit einem Seilzug hochgezogen. Wenn man genau schaut, kann man die Sterne sehen. Mittlerweile erklärt jeder von uns den Touristen, was wir hier machen. Das Essen schmeckt allen gut, obwohl es kalt ist. Der Slivovits ist zwar nicht kalt, schmeckt aber umso besser.

Ich spüre einen unglaublichen Bonus durch meine Erziehung. Ich kenne alle Riten hier, ich kann mit den Menschen sprechen, ich kenne die Codes, die Regeln, die Vorschriften. Ich weiß, wie man sich verhält. Ich bin in dem Moment meinen Eltern sehr dankbar, dass sie mir das alles ermöglicht haben.

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