Die Überraschung von Darlinghurst

Von außen unscheinbar, innen sehr bemerkenswert. Professionell und freundlich geführt. Berührend, erzählend, erklärend. Das Sydney Jewish Museum ist auf jeden Fall einen Besuch wert.
Von Fritz Neumann (Text) und Petra Stuiber (Fotos)

Sydney kann am ersten Tag gleich doppelt überraschen. Der Verkehr ist noch nicht die Überraschung, damit haben wir rechnen müssen, Sydney ist in Wahrheit der einzige Ort in Australien, an dem es sich wirklich abspielt. Der erste Aha-Effekt: Man fährt hinein in die Stadt, immer Richtung Zentrum, einfach gefühlsmäßig links und rechts und wieder links oder so ähnlich. Wir jedenfalls landen mir nichts dir nichts vor dem Albert & Victoria Court in der Victoria Street, kein schlechter Platz, um für die allerletzten Tage eines viel zu kurzen Urlaubs abzusteigen. Überraschung Nummer zwei: Die erste Parallelstraße zur Victoria Street ist tatsächlich die Darlinghurst Road, genau dort wollen wir hin, ganz genau ins Sydney Jewish Museum (SJM), Hausnummer 148. Zehn Gehminuten sind es, nicht schlecht in einer Viermillionenstadt. Das Museum ist von außen eher unscheinbar, innen umso bemerkenswerter. In den Boden im Erdgeschoß ist ein großer Davidstern eingelassen, er bildet das Zentrum, der Raum über ihm bleibt bis zum Dach frei. Insgesamt drei Etagen sind über lockere Stiegenaufgänge und natürlich auch von außen per Aufzug zu erreichen. Der Empfang ist überaus freundlich, sogar Museums- CEO Norman Seligman eilt herbei. Mag sein, es liegt daran, dass man sich als Journalist ausweisen musste, weil man sonst nicht fotografieren hätte dürfen. „Toll, dass Sie heute kommen“, sagt Seligman, „heute können Sie Gerty kennen lernen und mit ihr über Wien plaudern.“ Vorher aber gibt’s einen Rundgang durchs Museum und eine Einführung in die Geschichte der Juden in Australien.

17.000 kamen von 1945 bis 1954, 10.000 weitere von 1954 bis 1961. 8.000 waren schon vor dem Krieg aus Nazi-Deutschland nach Australien geflohen. Macht insgesamt also 35.000 jüdische Flüchtlinge. Womit Australien nach Israel, in Relation zur Einwohnerzahl wohlgemerkt, die meisten Holocaust-Opfer aufgenommen hat. Darauf ist Australien recht stolz, von der Relation zur Größe des Landes indes wird nicht so oft und nicht so gerne geredet. Die „White Australia Policy“, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts der Einwanderungspolitik der Kolonie und des späteren Staats zugrunde lag, unterschied in willkommene und „undesirable migrants“. Juden fielen unter „undesirable“. So konnte die Regierung ihr Ziel umsetzen, den jüdischen Anteil der Bevölkerung auf nicht mehr als 0,5 Prozent steigen zu lassen. 1946 verabschiedete die Regierung eine Quotenregelung, nach der höchstens jeder vierte Passagier, sei es auf Schiffen oder später in Flugzeugen, jüdischer Herkunft sein durfte. Einwanderungsanträge beinhalteten die diskriminierende Frage: „Are you Jewish?“ Über 0,5 Prozent ist der jüdische Bevölkerungsanteil bis heute, da die „Jewish Community“ ungefähr 100.000 Menschen umfasst, nicht hinausgekommen.

Im Museum ziehen uns zwei permanente Ausstellungen in ihren Bann. „The Holocaust“ sowie „Culture and Continuity“. Holocaust umfasst beispielsweise den „Sanctrum of Remembrance“, einen ruhigen, besinnlichen Ort mit vielen Gedenktafeln, und das berührende „Children’s Memorial“ mit einer Glasskulptur. Sie enthält 1,5 Millionen Wassertropfen, von denen jeder für ein im Holocaust ermordetes jüdisches Kind steht. Bindeglied zu „Culture and Continuity“, wenn man so will, ist die „Long Journey to Freedom“ mit Schaukästen, alten Fotos, vielen persönlichen Geschichten. Noch weiter zurück führt die Zeitreise in der George Street, die teils nachgebaut ist und in ihrem Verlauf in ein Gemälde an der Wand übergeht. Sie spiegelt das Sydney der 1840er wider.

Ganz hervorragend und umfangreich präsentiert sich die Museums- Bibliothek, es gibt geräumige, technisch bestens ausgestattete Vortragsräume, natürlich auch einen Verkaufsbereich mit Souvenirs und vielen Büchern. Der Coffee Shop sucht, wenn man dem Museumsprospekt glauben darf, sowieso seinesgleichen. „The best coffee in town“, ist da zu lesen, „is made at the Sydney Jewish Museum Coffee Shop.“ Der einzige koschere Kaffee sowieso. In diesem Coffee Shop sitzen wir mit Gerty Jellinek zusammen, die aus Wien- Landstraße stammt und über Schanghai nach Sydney kam. Aber das ist eine andere Geschichte, sie steht auf der nächsten Seite.

SYDNEY JEWISH MUSEUM
148 Darlinghurst Road
Darlinghurst NSW 2010

ÖFFNUNGSZEITEN: So. bis Do. 10 – 16 Uhr, Fr. 10 – 14 Uhr
EINTRITTPREISE:
Erwachsene: 10 australische Dollar (AUD),
Studenten und Senioren: 7 AUD, Kinder: 6 AUD
www.sydneyjewishmuseum.com.au

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