Die Stadt ist das Museum

Matti Bunzl, der designierte Direktor des Wien Museums, zu seiner jüdischen Identität, seinem Verhältnis zu Israel, seiner Auffassung von Museum und seiner Liebe zu Wien.
VON PETER MENASSE (INTERVIEW) UND MILAGROS MARTÍNEZ-FLENER (FOTOS)

NU: Herr Bunzl, wer ist Ihr Puntila?

Matti Bunzl: Ja, mein Name hat in der Tat mit dem Stück Herr Puntila und sein Knecht Matti zu tun. Er war ein Kompromiss zwischen meinen Eltern. Bert Brecht für den marxistischen Vater und Mati, die Kurzform von Matityahu, für die israelische Mutter. Der Herr Puntila war dann vielleicht meine Kindheit.
Ich habe es gehasst, ein Kind zu sein, weil ich immer das Gefühl hatte, abhängig und ohne Autonomie zu sein. Ich habe es daher geliebt, erwachsen zu werden und dem Puntila der Kindheit zu entkommen, weil ich mir dann trotz aller vorhandenen Abhängigkeitsstrukturen einbilden konnte und kann, dass ich selbstbestimmt bin.

Das heißt, Sie sind dem Puntila jetzt durch Erwachsenwerden entkommen.

Ich möchte mir zumindest die Mythologie dessen bewahren. Ob’s wahr ist… Sie sind aus einer jüdischen Familie. Wie definieren Sie Ihr Judentum? Welche Art von Judentum leben Sie? Ich bin aus einer urjüdischen Familie, bin aber ein vollkommen säkularer Jude, wenn auch extrem bewusst, also kulturell, ethnisch, historisch. Für mich ist das eigene Judentum sehr kontextabhängig: In Wien heißt das etwas anderes als in den USA. In den USA ist die Freiheit, wie man sich jüdisch definiert, sehr viel größer als hierzulande. Ich habe in den USA nie das Bedürfnis gehabt, mich institutionell dem Judentum anzuschließen, was zum Beispiel heißt, dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, dort einer Gemeinde oder einer Synagoge beizutreten. Meine Beziehung zum Judentum ist in den USA eine rein intellektuelle. Ich bin Professor für Jewish Studies und Direktor der „Jewish Studies“ an der University of Illinois, ich forsche zu jüdischen Themen, und das ist meine jüdische Beziehung in den USA.
In Wien ist diese Beziehung eine ganz andere, zwar auch eine wissenschaftliche, aber ebenso eine persönliche. Ich habe vor, zur IKG zu gehen und mich wieder anzumelden. Wie gesagt, in den USA habe ich dieses Bedürfnis überhaupt nicht. Das sagt natürlich sehr viel über die verschiedenen Standorte aus und wie ich mich an ihnen fühle. Aber jedenfalls bin ich dort wie da ein säkularer Jude.

Wie geht es Ihnen mit Israel?

Ich bin kein Nahost-Experte. Ich würde es so ausdrücken: In den USA positioniere ich mich im zionistischen Spektrum am allerlinkesten Rand. Das heißt, dass ich pro Israel bin, aber auch ein Kritiker Israels, ein kritischer Zionist, extrem gegen jede Okkupation, aber gleichzeitig in einer bekennenden Position zu einem modifizierten jüdischen, nationalstaatlichen Projekt.
An sich aber hasse ich nichts mehr als jede Nationalstaatlichkeit, und ich sehne mich sehr nach einem genuinen Internationalismus. In diesem Sinn sehe ich eine jüdische Nationalstaatlichkeit als überkommen. Aber ein bilateraler Staat ist eine utopische Perspektive, eine nur analytische, eine theoretische Perspektive, für die in der jetzigen Situation keine konkrete Hoffnung zu erkennen ist.
Als pragmatischer Realist vertrete ich daher eine Zweistaatenlösung, die auch bis vor relativ kurzer Zeit nicht Mainstream war, aber es mittlerweile geworden ist.

Aber ist nicht auch die Position zu Israel kontextabhängig? Diskutieren Sie in den USA anders als in Österreich?

Die Position zu Israel ist für mich nicht kontextabhängig. Die Valenzen sind kontextabhängig. Ich habe meine kritische Position zu Israel, die missbraucht werden kann von allen möglichen Seiten, dagegen verwahre ich mich mit allem Nachdruck. Das passiert sowohl hier als auch dort. Ich finde es immer interessant, sagen wir mal, um es neutral zu formulieren, wenn die radikale Rechte in Europa ihre Liebe zu Israel in einem Projekt von widerlicher Islamophobie entdeckt. Dagegen stelle ich mich entschieden. Ähnliches gibt es auch ab und zu in den USA. Der Unterschied liegt darin, dass durch die politischen Strukturen hier eine radikale Rechte deutlich sichtbarer ist als in den USA. Dort sind die Mainstream-Parteien so weit rechts, dass es keinen Platz für eine radikale Rechte gibt. Was soll rechts von den Republikanern noch sein?

Anthropologie, Germanistik, Gender- Themen, jüdische und osteuropäische Kultur. Was hat das alles mit einem Wiener Stadtmuseum zu tun?

Ja, das sind meine Themen, und ich habe sie immer mit Bezug auf Wien bearbeitet. Meine Dissertation war eine vergleichende Studie von neu zugezogenen Juden einerseits und Lesben und Schwulen andererseits in Wien, empirisch gesehen von 1945 bis zur Gegenwart, vor allem mit Augenmerk auf die Zeit von den 1970er- Jahren bis zur Gegenwart. Also ich bin Historiker, Ethnologe Wiens. Ich habe sehr viel über die Wiener Jahrhundertwende gearbeitet, das war überhaupt mein erstes Forschungsgebiet. In diesem Kontext interessieren mich Fragen nach Gender, Migration und Ethnizität ganz besonders. Mein größtes Problem in den USA war immer: Wie kann ich rechtfertigen, dass ich über Österreich, also über ein kleines Land arbeite, das den meisten Leuten dort vollkommen wurscht ist? Da habe ich es jetzt hier deutlich einfacher.

Jetzt ist eine der ersten Aufgaben ja eigentlich eine Bautätigkeit. Der Kulturstadtrat hat von einem modernen, zukunftsweisenden Neubau gesprochen. Wie weit können Sie sich da einbringen?

Das ist jetzt noch ganz am Anfang. Wie Sie wissen, gab es in den letzten Jahren eine Standort-Diskussion, die wurde auch sehr öffentlich geführt – im guten Sinn. Es wurden dann mehrere Gutachten erstellt und schließlich wurde der Karlsplatz als alter und neuer Standort gewählt. KULTUR Der Bau von Oswald Haerdtl, den ich sehr, sehr spannend finde, steht unter Denkmalschutz. Es wird also nicht abgerissen, sondern renoviert und ein Zubau errichtet. Im nächsten Jahr soll es dann einen Architekturwettbewerb geben, da hoffe ich auf spannende Entwürfe. Meine Aufgabe wird es sein, das gemeinsam mit Christian Kircher, unserem Finanzdirektor, und natürlich in engster Zusammenarbeit mit der Stadt, mit dem Rathaus zu realisieren.

Sie sprechen im Zusammenhang mit dem Museum von einem „Labor der Zivilgesellschaft“ und von Veränderung. Wie wollen Sie die starken Beharrungskräfte in der Stadt überwinden?

Das werden wir sehen. Ich meine, ich komme da sehr, sehr stark aus einem amerikanischen Kontext. Wir verstehen dort Museen zunehmend als multivalent. Nur zur Klarstellung: Ich bekenne mich hundertprozentig zum traditionellen Bild des Museums mit seinen Aufgaben „sammeln, bewahren, ausstellen, vermitteln, forschen“. Ich liebe das, ich bin ein potenzieller Museumsmensch, aber ich sehe überhaupt nicht ein, warum das die einzigen Funktionen eines Museums sein sollen. Für mich ist ein Museum einfach ein Anziehungspunkt für die Menschen, und das Wien Museum natürlich ganz besonders. Weil das Wien Museum ja vom Sujet her die Stadt selber verhandelt. Zum Beispiel hat das Kunsthistorische Museum eine großartige Sammlung, aber keine, die Wien-spezifisch ist. Das ist eben zusammengetragene, großartige Weltkunst. Das Wien Museum hingegen ist die Stadt selber, die Stadt ist das Museum und das Museum ist die Stadt. Aus diesem Grund geht es beim Wien Museum darum, sich zivilgesellschaftlich zu positionieren und die Einwohnerinnen und Einwohner einzuladen, die Gegenwart kritisch zu reflektieren und dadurch die Zukunft mitzugestalten.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel, das vollkommene Fantasie ist, aber zeigt, wo ich hin will. Wir schreiben den Tag der Neueröffnung, ein großartiger Moment. Wir werden den neuen Bau haben, hoffentlich sehr, sehr spannend. Das ganze deutsche Feuilleton wird hier sein, viele internationale Medien, wir haben ein starkes Momentum. Was wird da passieren? Einmal wird es eine neue Dauerausstellung geben, ein Neudenken und eine Neuinterpretation der Stadt. Diese neu konzipierte Sicht auf die Geschichte Wiens konterkarieren wir mit einer Sonderausstellung zur Zukunft Wiens. Wir laden im Vorfeld Architekten, Stadtplaner, Designer und Künstler ein, in einem aktiven Prozess mit der Bevölkerung visionäre Konzepte, zu Wien im Jahr 2050 zu entwickeln. Ich denke da an ganz utopische, aber auch an pragmatische Konzepte und ich stelle mir das wahnsinnig spannend vor. Das verstehe ich unter „Labor für die Zivilgesellschaft“. Wirklich offene Türen, sodass die Menschen das Gefühl haben: Wir sind Teil der Stadt, wir sind Teil dieses Diskurses.

Es gibt in Wien ein in den letzten Jahren sehr gut funktionierendes Jüdisches Museum. Wie wird da die Abgrenzung sein?

Ich freue mich sehr darauf, mit der Direktorin Danielle Spera zusammenzuarbeiten. Da komme ich aus der amerikanischen Tradition, wo die Kooperationen zivilgesellschaftlicher Institutionen einfach selbstverständlich ist. Dort bekommt niemand staatliches Geld, man muss flexibel und gemeinsam vorgehen.

Das heißt, man wird sich nicht abgrenzen, man wird sich gemeinsam was überlegen?

Das ist mein Ziel. Ich liebe natürlich das Jüdische Museum. Ein guter Partner zu sein, bedeutet zu verstehen, was die anderen machen wollen und darzustellen, was man selber machen will. Daraus lassen sich dann Ergänzungen herausarbeiten. Je mehr es davon gibt, desto besser. Wir dürfen nicht vergessen, welche Dynamik die Kultureinrichtungen für unsere Stadt bringen, die doch stärker als die meisten anderen Metropolen vom Tourismus abhängig ist.

Dann erhebt sich die Frage, ob die Tourismuswirtschaft nicht mehr zum Kulturbudget beitragen sollte?

Meine Antwort wäre ja – da bin ich aber sehr amerikanisch unterwegs. Aber es ist es unsere Aufgabe als Kulturmanager, der Tourismuswirtschaft Angebote zu machen, die sie einfach nicht ausschlagen kann. Wenn ich über Sponsoring rede, geht es um ein „give and take“. Ich muss als Institution wirklich konkrete Dinge anbieten, die dann auch angenommen werden können.

Das bringt mich zu den Zielgruppen, werden sich die ändern?

Sie werden sich sicher nicht ändern. Es ist ja gerade das Spannende am Wien Museum, dass es so viele verschiedene Zielgruppen gibt. Da sind die Einheimischen, die immer wieder kommen sollen. Dazu braucht es die Dynamik der Wechselausstellungen. Dann möchte ich das Haus für Besucher, sowohl aus Österreich und Deutschland, als auch aus anderen Ländern und speziell aus Übersee, attraktiv machen. Internationalisierung ist einfach mein Ding, ich komme ja aus diesem Kontext. Es ist nicht leicht, mit einem Belvedere oder einem Kunsthistorischen Museum zu konkurrieren. Aber wir werden Touristen vermitteln, dass es da am Karlsplatz eine Institution gibt, die man einfach nicht verpassen darf.

Sie sind mit einem Amerikaner verheiratet. Kommt er gerne nach Wien?

Mein Mann stammt aus Savannah, Georgia, und ist von der Ausbildung her Pianist und Musikwissenschaftler. Er arbeitet als Lehrer und träumt seit Jahrzehnten von Wien. Wir sind jetzt seit 21 Jahren zusammen und waren natürlich auch schon dutzende Male in Wien. 2010 gab es das Verpartnerungsgesetz, seitdem sind wir in Österreich verpartnert. Dieses Jahr ist die Gay Marriage auch in Illinois gekommen, und seitdem sind wir jetzt auch verheiratet.

Reden wir noch über Wien. Was ist die Stadt für Sie?

Wien ist eine geniale Stadt. Nicht von ungefähr steht sie jedes Jahr im Ranking der lebenswertesten Städte auf Platz eins oder zwei. Wenn man als Außenstehender oder als lange Weggewesener nach Wien kommt, merkt man deutlich, dass die Lebensqualität einfach eine so offensichtlich großartige und die Infrastruktur fantastisch ist. Die Stadt funktioniert, nicht perfekt, aber ich komme aus Chicago, das auch eine gute Stadt ist, aber mit einem unfassbaren Sozialgefälle und einer erschreckend hohen Kriminalität, eben wegen diesen sozialen Diskrepanzen. Es gibt unfassbaren Reichtum neben entsetzlicher Armut, die Infrastruktur funktioniert mit Abstand schlechter, das öffentliche Verkehrssystem ist eine Katastrophe. All das funktioniert in Wien, es gibt ein Sozialnetz in Wien, es gibt Infrastrukturen für alle Bereiche des Lebens.

Wie sehen Sie die Kulturszene?

Die Wiener Kulturszene ist grandios. Ich sehe eine wunderbare Parallele zwischen Wien und Chicago, die mir persönlich gut gefällt. Einer der Spitznamen von Chicago ist „The second City“. New York ist die „first city“, Chicago die second. Wien ist auch irgendwo eine second city. Manche sehen an erster Position Paris, Berlin oder London. Mir ist das genau recht, ich will in einer second City wohnen, die vielleicht ein wenig unterschätzt wird, aber zu Unrecht, wo es viel Freiraum, wo es viel Kreativität gibt und wo Kunst und Kultur verstanden werden und eine zentrale Rolle spielen. Ein Museumsmacher zu sein in einer Stadt, die sich selber nicht nur als Kulturmetropole versteht, sondern die durch eben die Ökonomie des Tourismus auch davon lebt, ist eine unglaubliche Sache.

 

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