Die Spitzel hat man fast sofort erkannt

NU sprach mit David Stecher, dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates der jüdischen Gemeinde in Prag, über jüdisches Leben vor und nach 1989, die Schwierigkeiten, eine jüdische Frau zu finden, und den immer besser werdenden koscheren Wein aus Tschechien.
Von Barbara Tóth

Über jüdisches Leben während des Kommunismus ist wenig bekannt. Wie haben Sie die Zeit vor 1989 in Prag erlebt?

Jüdisches Leben war praktisch nicht vorhanden. Die wenigen, die weiterhin ihren Glauben lebten, standen unter ständiger Beobachtung. Die Staatspolizei hatte Spitzel in die jüdische Gemeinde eingeschleust, vor dem Eingang des Jüdischen Rathauses wurde eine Kamera installiert. Kein Wunder, dass die meisten Juden vor der Wende Angst hatten, in den Tempel zu gehen. Also kamen ein paar Treue – und die Mitglieder der Staatspolizei. Wer weiß, scherze ich manchmal, vielleicht hat die Staatspolizei die jüdischen Gemeinde damals sogar gegründet? Nach der Wende hat sich das alles natürlich recht schnell geändert. Da gab es dann plötzlich sehr viele jüdische Helden.

 

Also Personen, die sich brüsteten, im Widerstand aktiv gewesen zu sein, obwohl sie es nicht waren?

Bildlich gesprochen: Viele scheinen erst 1989 hier als Juden auf die Welt gekommen zu sein. Und zwar im Alter von vierzig Jahren. Da kommen welche zu mir und sagen: Ich war auf deiner Bar-Mizwa, die war wunderschön, ich erinnere mich. Dabei waren sie nicht dort – oder sie haben für die Staatspolizei gearbeitet. Am meisten musste ich lachen, als unser ehemaliger Sekretär davon erzählt hat, er habe das jüdische Monatsmagazin abonniert und offen in seinem Postkasterl liegen lassen.-Das sind also die Heldentaten, mit denen man sich nach der Wende brüsten konnte.

 

Aber wie wusste man, wer kollaboriert hat und wer nicht? Und wie viel Anpassung ist verzeihlich, wie viel nicht?

Die Stasi-Leute hat man fast immer erkannt, sie haben so seltsame Fragen gestellt. Dennoch war es für uns alle überraschend, als wir nach der Wende unsere Akten angefordert haben und gelesen haben, was alles darin steht. Leider funktioniert das in Tschechien nicht so gut wie in Deutschland. Das Amt liegt außerhalb, will man kopieren, zahlt man pro Blatt 50 Kronen (Anm.: etwa zwei Euro). Diese Ereignisse aus der Zeit des Kommunismus belasten unsere Gemeinde natürlich immer noch. Es gibt jene, die auch zu Zeiten des Kommunismus aktiv waren, und jene, die erst danach gekommen sind. Bei den letzten Wahlen vor zwei Jahren wurde mein Freund Tomas Jelinek Präsident, ich Vorsitzender des Aufsichtsrates. Jelineks erstes Interview-er gab es der Jewish Telegraphy Agency-begann mit dem Satz:„Sie wissen, eine Menge Leute hassen mich dafür, dass ich gewählt wurde.“ Viele waren über das Wahlergebnis enttäuscht und führten an, dass sie doch neun, zehn Jahre für die Gemeinde gearbeitet haben. Darauf sage ich immer: Ich habe dreißig Jahre für diese Gemeinde gearbeitet. Ich kann heute zwar ein bisschen verstehen, dass jemand bereit war zu kollaborieren. Der Druck des Regimes war riesig. Es wurde mit Drohungen und Erpressungen gearbeitet. Meinen Eltern wurde etwa angedeutet, mich nicht weiter aufs Gymnasium gehen zu lassen. Gut, dann soll der Bub eben etwas Handwerkliches lernen, meinte daraufhin mein Vater. Wofür ich aber überhaupt kein Verständnis habe, ist, dass kaum jemand bereit ist, sich zu entschuldigen und seine Schuld einzugestehen.

 

Wie hat sich die Gemeinde seit 1989 verändert?

Wir hatten 900 Mitglieder vor 1989. Manchmal war es schwierig, die zehn Männer zum Gebet zusammenzubekommen. In der Alt-Neu-Synagoge war es einfacher, da kamen immer viele Ausländer hin, Amerikaner, Franzosen, Kanadier. Man muss sich vorstellen, von diesen 900 Mitgliedern haben in den achtziger Jahren nur 26 eine Petition für Glaubensfreiheit an das kommunistische Regime unterschrieben; fünf davon waren aus meiner Familie. So feige waren sie damals. Wichtig ist auch zu wissen: Der Altersdurchschnitt vor 1989 war 78. Damals war ich beim Gottesdienst immer der jüngste, der zweitjüngste war Alexander Putik – sein Vater war ein berühmter, aber natürlich verbotener Schriftsteller – und der drittjüngste war mein Vater. Das war vor zwanzig Jahren. Heute, ich bin über dreißig, bin ich immer noch der jüngste. Das ist zum Weinen. Viele Leute tragen das Judentum vor sich her, aber sie kommen nicht zum Beten. Vergangenen September, zu Kol Nidre, abends vor Jom Kippur, kamen zweihundert Leute. Am nächsten Tag, am Nachmittag, konnten wir nicht anfangen, weil wir nur zu siebt waren. Zum Glück kamen dann doch noch vier.

 

Wie viele Mitglieder hat die Gemeinde heute?

Heute haben wir 1.600 Mitglieder, der Altersschnitt liegt bei 64 Jahren. Fast jede Woche sterben ein oder zwei von uns. Leider. Es ist wohl wie fast überall: Die jungen Juden interessieren sich nicht wirklich fürs Judentum. Dafür kommen viele, die konvertieren wollen. Das sind wirklich sehr viele. Zehn pro Jahr alleine in Prag etwa. Dennoch gibt es sehr wenige jüdische Hochzeiten. Ich hatte zum Beispiel vor eineinviertel Jahren meine jüdische Hochzeit. Das war die erste echte jüdische Hochzeit in der Jerusalemska-Synagoge seit 31 Jahren. Bei fast allen anderen Hochzeiten musste einer der beiden Ehepartner zuvor konvertieren.

 

Das ist wohl die große Frage für alle, die traditionell jüdisch leben wollen: Wie finde ich einen Partner? Wie haben Sie Ihre Frau kennen gelernt?

Ach, das ist eine wunderbare Geschichte. 1994 hat mein Freund Tomas Jelinek, mit dem ich gemeinsam in der Jüdischen Hochschülerschaft war – ich war nach der Wende der erste frei gewählte Vorsitzende der jüdischen Hochschülerschaft, damals waren wir 17 jüdische Studenten in Prag, nicht einmal hundert in der Tschechoslowakei -, also Tomas hat gesagt, er macht eine Party. Meine erste Frage war: Werden dort junge jüdische Frauen sein? Er sagte: Sicher. Ich meinte: Das kann nicht sein, ich kenne keine. Er sagte: Du wirst sehen, ein Drittel dort sind Frauen. Gut, dachte ich, ich gehe hin. Als ich ankam, waren dort 13 Männer und eine Frau mit hellem blondem Haar. Das kann keine Jüdin sein, dachte ich. Zu Tomas sagte ich: Was macht die Goje hier? Ich habe sie also nicht weiter beachtet, mich nicht einmal vorgestellt, aber wie sagt man so schön: Es ist nicht wichtig, mit wem man auf die Party kommt, sondern mit wem man geht.

 

Prag zelebriert Frank Kafka, das jüdische Viertel ist wieder prunkvoll – aber lässt es sich hier auch gut jüdisch leben?

Es gibt kein koscheres Geschäft, wir müssen nach Frankfurt oder Wien fahren. Auf der Gemeinde kann man natürlich Dinge besorgen. Durch die Überschwemmungen sind der Speisesaal und die Küche aber zerstört, es ist also alles nicht einfach. Meine Frau und ich wollen Kinder, streng genommen wäre das ein Problem, weil meine Frau müsste in die Mikwe gehen, aber auch die war überschwemmt und ist stark beschädigt. Aber na ja, ich scherze immer. Es gibt vielleicht sieben Mitglieder hier, die streng koscher essen. Und wenn es danach ginge, wer beschnitten ist, blieben wahrscheinlich nur zwanzig Prozent von den Mitgliedern übrig. Meine Familie bemüht sich aber, jüdisch zu leben, wir haben eine Mesusah an der Tür und meine Nachbarn akzeptieren das. Was nicht heißt, dass es in Prag – so wie in Wien – keinen versteckten Antisemitismus gäbe. Versteckten und offenen. Zuletzt ist es in Prag zu neonazistischen Ausschreitungen gekommen, Skinheads konnten durch die Prager Innenstadt promenieren. Das größte Problem ist, dass das Prager Magistrat diesen Aufmarsch erlaubt hat. Das ist die größte Gefahr. In Deutschland und Frankreich gehen die Menschen sofort auf die Straße, es gibt Gegendemonstrationen. Hier gab es nichts davon. Das ist der versteckte Antisemitismus. Das Vorurteil, dass wir nicht mit Händen arbeiten würden und nur aufs Geld aus seien, ist immer noch stark. Dabei durften gerade Juden während des Kommunismus oft ihren Beruf nicht ausüben oder studieren, was sie wollten. Mein Vater etwa stand immer unter Beobachtung, er hat Probleme, weil er Gabbai in der Jerusalemska war. Antisemitismus gehört zum Alltag: Unlängst war ich mit Bekannten, Nichtjuden, unterwegs. Ich hatte Kübel und Besen dabei und prompt kam der schlechte Scherz: „Das ist das erste Mal, dass ich einen Juden arbeiten sehe.“

 

Gibt es eigentlich enge Kontakte zwischen den jüdischen Gemeinden in Wien und in Prag?

Nach den Überschwemmungen hat uns die Wiener jüdische Gemeinde Fleisch geschickt, 200 Kilo. Das war eine sehr schöne Geste. Diese Flutkatastrophe hat überhaupt unglaubliche Solidarität geweckt. Auf unseren Spendenkonten sind binnen kurzer Zeit große Summen eingetroffen, aus Amerika, aus Deutschland und auch aus Österreich. Es gibt Kontakte auf persönlicher Ebene, aber eine institutionalisierte Zusammenarbeit gibt es noch nicht. Aber sicher ist unser Verhältnis zu Wien am besten. Wir reisen auch nach Berlin. Jetzt, wo die Osterweiterung ansteht, wollen wir uns bemühen, die Beziehungen zwischen Prag, Wien und Berlin wieder aufleben zu lassen. Jüdische Schriftsteller und Künstler haben ja immer in diesem mitteleuropäischen Städte-Dreieck gelebt. Ja, und dass die Zeiten besser werden, zeigt übrigens auch, dass es in Tschechien jetzt wieder ganz guten koscheren Wein gibt. Das sind so kleine Schritte, die auf die Zukunft hoffen

 

 

Judentum unter Hammer und Sichel

Die Herrschaft des kommunistischen Regimes begann für viele Juden, die nach dem Krieg in die Tschechoslowakei zurückgekehrt waren, erneut im Lager. Mit der Umwandlung der Tschechoslowakei in einen kommunistischen Staat im Februar 1948 wurde jegliches Eigentum verstaatlicht. Die so genannten Kapitalisten- das waren Personen, die vor dem Krieg Fabrikanten, Geschäftsleute und Hausbesitzer waren-wurden kaserniert und sollten politisch „umerzogen“ werden… Zwischen den Jahren 1945 und 1953 wanderten rund 24.000 Juden nach Israel und Übersee aus. Ferner fielen 1950 jüdische Institutionen, wie etwa zionistische Vertretungen, Hilfswerke und Ähnliches, unter das Verbot ausländischer Organisationen. In den fünfziger Jahren verschärfte der deutlich antisemitisch geprägte Schauprozess gegen den Kommunisten und Klemens-Gottwald-Rivalen Rudolf Slansky die Stimmung. Den 14 Angeklagten wurde die Schuld an der desolaten Wirtschaftslage zugewiesen und eine „titoistische und zionistische“, also staatsfeindliche, Verschwörung nachgesagt. Unter den 14 Angeklagten befanden sich elf Juden. Acht von ihnen wurden zum Tode durch den Strang, andere zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Am 22. August 1963 hob der Oberste Gerichtshof der Tschechoslowakei das Gerichtsurteil zwar auf, aber das weitere Leben der tschechoslowakischen Juden wurde – wie das der anderen osteuropäischen Juden auch – fortan durch die außenpolitische Situation Israels, d. h. durch die israelischen Siege im 6-Tage-Krieg (1967) und im Jom-Kippur-Krieg (1974) sowie durch andere arabisch-palästinensische Konflikte , bestimmt. Heute leben noch etwa 18.000 Juden in der ehemaligen Tschechoslowakei, verteilt auf die beiden größten Städte, Prag mit Umgebung mit etwa 4.000, Bratislava mit rund 2.000, gefolgt von Brünn, Galanta, Karlsbad und Marienbad, Kosice, Ostrawa und Pilsen.

Weitere Informationen unter www.hagalil.com/czech

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