Die silberne Lady

Heide Schmidt kennt auch das Scheitern. Ihr Befund zur Lage Österreichs fällt überraschend wenig negativ aus. Vielleicht sind dafür auch die blühenden Blumen im Volksgarten mitverantwortlich.
VON RAINER NOWAK (TEXT) UND JACQUELINE GODANY (FOTOS)

Ist das ernst gemeint? „Schauen Sie, wie schön das hier ist! Alles blüht. Vor ein paar Tagen bin ich hier spazieren gegangen, die Menschen waren so fröhlich, Fremde grüßten und sprachen einander an.“

Es ist ernst gemeint. Heide Schmidt geht mit NU spazieren und strahlt. Es ist auch nicht etwa Rom oder Siena, das sie so begeistert. Es ist Wien an einem Spätfrühlingstag, und wir stehen vor dem Theseustempel im Volksgarten. Irgendwie hatte der vor der Blitzblank-Renovierung mehr Charme. Jetzt sieht man den Klassizismus- Antike-Kitsch zu deutlich. Und irgendwie ist Heide Schmidt so gut gelaunt, dass es sogar einen Tageszeitungs- Chefredakteur 2014 anstecken müsste.

Heide Schmidt grüßen Fremde aber vermutlich auch, wenn es nicht so frühlingshaft ist. Wenige (Ex-)Politikerinnen sind in dieser Stadt so bekannt und geben schon so lange und fast immer gerne ausführliche und differenzierte Interviews. Genau genommen ist sie schon seit 2009 nicht mehr aktive Politikerin, wird aber noch immer als Vertreterin der viel zitierten Zivilgesellschaft befragt und – vor allem natürlich politisch links der Mitte – geschätzt. Sie musste politische Niederlagen einstecken, hatte einst aus Protest die FPÖ verlassen, eine eigene Partei gegründet, war mit der einige Zeit lang erfolgreich, flog dann aber aus dem Nationalrat. Versuchte 2008 die Rückkehr und scheiterte erneut. Heute hat sie zumindest die späte Genugtuung, dass die Konkursmasse des Liberalen Forums mit den Neos fusionierte und so irgendwie wieder im Parlament ist.

Andere Politiker würden mit so einem politischen Lebenslauf polemisch, zynisch und frustriert werden – nicht wenige auch ohne oder schon viel früher. Heide Schmidt ist das Gegenteil von frustriert. Und keinen Deut abgebrüht. Abgeklärt trifft es eher.

Anders formuliert: Fragt man Schmidt ein paar Meter vom Parlament entfernt nach ihrer Einschätzung zur Lage Österreichs, fallen ihr auch positive Punkte ein. So sieht sie weiterhin eine starke Zivilgesellschaft, die gegebenenfalls noch immer Widerstand leistet. Einzelne Initiativen wie respekt.net zeugten davon, dass sich Bürger zusammenschlössen, wenn es gelte, das Versagen des Staates aufzuzeigen. Möglicherweise sei das auch mit dieser Regierung notwendiger als früher, sagt sie leise. Mit Blick auf die vergangenen 30, 40 Jahre sieht sie auch klare Fortschritte, wenn es um die Stellung der Frau geht. Natürlich gebe es weiterhin noch immer eklatante Unterschiede und Probleme, etwa bei der Bezahlung und in vielen Berufen, aber insgesamt habe sich viel verbessert. Wenn auch der Befund von Brigitte Ederer zutreffe, wonach sich die Stellung der Frau vor allem in bildungsnahen Schichten verändert habe. Und sich manches auch wieder verschlechtert habe, so etwa die Durchlässigkeit unserer Gesellschaft. So sei es als klassisches Arbeiterkind mit Begabung in der Sozialdemokratie zur Zeit von Bruno Kreisky leichter gewesen, zu studieren und aufzusteigen, weil das ein allgemeines gesellschaftspolitisches Ziel war. Das sei es heute nicht mehr, so Schmidt.

Was sie politisch fürchte? Schmidt zögert nicht lange: den Rechtspopulismus und die Entpolitisierung. Ersterer war der Grund, warum sie die FPÖ verlassen hat: Sie war als Mitarbeiterin 1977 zur Volksanwaltschaft gekommen, wurde durch ihre TV-Auftritte einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Sie habe als Mitglied des Attersee-Kreises mit anderen versucht, die FPÖ als liberale Partei zu positionieren. Dann kam Jörg Haider, durch ihn stieg sie als Parade-Liberale aus Wien zur Generalsekretärin auf. Das Ausländer-Volksbegehren war dann zu viel für sie. 1993 verließ sie mit vier anderen Abgeordneten die FPÖ und gründete das Liberale Forum. Jörg Haider habe die politische Kultur in Österreich sehr zum Negativen verändert. Meint sie heute. Der persönliche Angriff auf politische Gegner, die Diffamierung von Personen sei seit Haider Alltag – bei fast allen Parteien und Medien.

Ähnlich bedrohlich findet sie aber das fehlende Vertrauen in die Politik: „Wenn ich daran denke, dass immer öfter der Wunsch nach einer Expertenregierung formuliert wird, graut mir. Es gibt nun einmal nicht nur eine Wahrheit und eine einzige Lösung für ein Problem.“ Daher müsse eine Entscheidung immer auch politisch sein. Es gehe immer darum, wie und wohin man etwas verändere, meint Schmidt. Dies mittels Pseudo- Objektivität ausschalten zu wollen, sei schlicht absurd, sagt sie.

Berühmt wurde ein Satz Heide Schmidts zum Start des Liberalen Forums – ein Zitat von Ingeborg Bachmann. „Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar.“ Das müsse der Leitsatz der Politik sein, die dann folgerichtig auch unpopuläre Maßnahmen zu setzen habe, wenn es notwendig sei. Die aktuelle Regierung macht dieser Tage ziemlich genau das Gegenteil davon, „diese Zögerlichkeit“ ist für sie unmöglich. Heide Schmidt gehört zu den Gesprächspartnern, die sich den Widerspruch gleich selbst formulieren: Stimmt, das kann auch unangenehme Konsequenzen haben. Und die Ex-Präsidentschaftskandidatin nennt gleich die Beispiele: Da war der Bürgermeister von Altaussee, der ein Spital schließen wollte, um den Sparkurs mitzutragen, und dafür abgewählt wurde. Oder die steirische Landesregierung: Die Erfolge der FPÖ sind wohl auch Folge der teils unpopulären Reformmaßnahmen im Land. Schmidt überlegt kurz und sagt dann: „Vielleicht waren diese Maßnahmen auch nicht gut und genau genug erklärt. Zum ‚Was‘ gehört auch immer das ‚Wie‘ – wie kommuniziere ich etwas, oder fahre ich einfach drüber.“

Schmidt hat ihre politische Karriere als Rechtsliberale begonnen und als Linksliberale beendet. Aus ihrer scharfen Ablehnung der schwarz-blauen Regierung, die ein paar Meter weiter unterirdisch zu ihrer Angelobung gehen musste, hat sie nie einen Hehl gemacht. Blau-Schwarz war der Grund für ihre Annäherung an die SPÖ, die sie dann bei einer Nationalratswahl empfahl. Heute schließt sie ein politisches Comeback aus. Zwar hat sie die Fusion des Rest-Liberalen-Forums befürwortet und im Hintergrund die Fäden gezogen. Wofür sie auch von Matthias Strolz mit standing ovations bedacht wurde. Das war es dann aber. Heute kümmert sich Schmidt verstärkt um karitative Belange. Gemeinsam mit ihrem politischen Wegbegleiter Hans-Peter Haselsteiner war sie bei der von ihm finanzierten Concordia- Hilfsaktion in Moldawien. Auch dort waren wir spazieren gegangen: Am letzten Schultag feierten die Kinder eines riesigen Kinderdorfs in Pirita nahe der Grenze zu Transnistrien Schulschluss. In Pirita leben 170 Kinder und Jugendliche zwischen drei und 18 Jahren, die aus sozial schwierigen Verhältnissen kommen. Viele von ihnen wurden von den Eltern, die von heute auf morgen ins Ausland arbeiten gingen, im Stich gelassen. In Moldawien lässt sich beobachten, wie eine Gesellschaft teils zerfällt. Die Lebensfreude der betreuten Kinder an diesem magischen Schulschlusstag rührte Schmidt ebenso wie die mitgereisten Journalisten. Sich um die Verlierer der Zeit zu kümmern, sieht sie als wichtige Aufgabe. Aber ans Aufhören denkt Heide Schmidt nicht. Nicht in Pirita, nicht im Volksgarten.

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