Die sefardischen Rabbiner

Teil zwei der dreiteiligen NU-Serie über Rabbiner in Wien: Diesmal besuchte unser Autor die bucharischen, georgischen und kaukasichen Juden und ließ sich deren faszinierende Geschichte erzählen.
Von Martin Engelberg (Text) und Peter Rigaud (Fotos)

Die wenigsten der ashkenazischen Juden (Ashkenaz, hebräisch für Deutschland; aus deutschen Landen stammende Juden, die später vor allem in Osteuropa lebten) wissen von der ein-zigartigen Geschichte der Bucharen und Gruziner und Bergjuden, wie sie genannt werden – und dass sie zu den ältesten ethno-religiösen Gruppen Asiens zählten, deren Ursprung sich über 2.500 Jahre zurückverfolgen lässt.

Als der persische König Cyrus im Jahr 539 vor der Zeitrechnung Babylon eroberte, stellte er es den dort nach der Zerstörung des 1. Tempels exilierten Juden frei, nach Jerusalem zurückzukehren. Viele kehrten dorthin zurück, um den 2. Tempel zu erbauen, einige blieben jedoch im Persischen Reich.

„Sefardisch sein heißt nicht unbedingt von Spanien zu stammen. Die jüdische Welt ist geteilt in Sefardim und Ashkenazim.“

Die bucharischen Juden
Ein Teil der in Persien verbliebenen Juden wiederum wanderte nach Zentralasien weiter und siedelte sich im Bereich der Republiken Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan an. Inmitten einer muslimischen Umwelt überlebten die bucharischen Juden praktisch ohne Kontakt zur restlichen jüdischen Welt über einen Zeitraum von etwa 2.000 Jahren.

Sie sprechen Bucharisch, auch Ju-deo-tadschikisch genannt, einen Dialekt der tadschikisch-persischen Spra-che, die auch einige hebräische Worte kennt. „Wir können uns leicht mit jedem Iraner und Afghanen verständigen“, erklärt Rabbiner Moshe Israelov, der erste Rabbiner der bucharischen Gemeinde Wiens.
Angesichts dieser Geschichte stellt sich die Frage, wieso sich bucharische Juden als sefardische Juden bezeichnen. Rabbiner Itzhak Niasov, er gilt heute als Oberrabbiner der bucharischen Gemeinde in Wien, erklärt: „Bucharische Juden sind im Grunde keine Sefardim im eigentlichen Sinn. Sefardim sind aus Marokko oder Jemen und haben auch ihre Bräuche von dort. Unsere Minhagim (Bräuche) stammen noch von den Geonim (den Vor­sitzenden der großen rabbinischen Schulen von Sura und Pumbedita im alten Babylon). Unser Nusach (Gebets­ordnung) war der Nusach Bawel (die babylonische Gebetsordnung), bis Rabbi Joseph Maman Maghribi, ein sefardischer marok­kanischer Jude, Ende des 18. Jahrhunderts die sefar­dischen Bräu­che und Gebetsordnung einführte“. Rabbiner Israelov: „Sefardisch sein, heißt nicht unbedingt von Spanien zu kommen. Heute ist die jüdische Welt geteilt in Sefardim und Ashkenazim – egal von wo sie tatsächlich kommen.“ Die geschätzten 160.000 bucharischen Juden leben heute vor allem in Israel (zirka 100.000) und den USA (zirka 50.000).

Die georgischen Juden
Nicht unähnlich der Geschichte der bucharischen Juden ist jene der georgischen Juden. Nach ihrer Sprache, einem judeo-georgischen Dialekt mit zahlreichen hebräischen Worten (Gru­zinisch), werden die georgischen Juden auch Gruziner genannt. Rabbiner Yaacov Hotoveli, Oberrabbiner der georgischen Juden Wiens, sieht die Wurzeln der Gruziner ebenfalls bei den Juden des babylonischen Exils, die nicht nach Jerusalem zurückkehrten, allerdings hätten diese – anders als die bucharischen Juden – in Georgien in einem christlichen Umfeld gelebt. „Georgien ist das Europa in Asien“, sagt Rabbiner Hotoveli.

Daher stellt sich auch bei den georgischen Juden die Frage, ob sie nun Ashkenazim oder Sefardim sind. Dazu Rabbiner Hotoveli: „Das ist eine sehr komplizierte Frage. Wir sind weder Ashkenazim noch Sefardim. Aber es gab immer eine Verbindung zu den Juden im Irak, nach Babylon, Jerusalem, und so gehören wir heute zum sefardischen Ritus. Viele unserer Minhagim (Bräuche) sind jedoch ashkenazisch. So essen wir zu Pessach zum Beispiel keine Hülsenfrüchte, keinen Reis, keinen Humus – also genauso wie die Ashkenazim.“

Die georgische Gemeinde in Wien zählt rund 500 Mitglieder. Weltweit gibt es etwa 100.000 Gruziner, davon leben zirka 60.000 in Israel, 10.000 bis 20.000 noch in Georgien und ca. 5.000 in den USA.

Die kaukasischen Juden (Bergjuden)
Auch diese Gruppe zählt mit ihren zirka 80 in Wien ansässigen Familien zur sefardischen Gemeinschaft und besitzt ein eigenes Bethaus in der Novaragasse. Rabbiner Niasov hat ihnen den bucharischen Rabbiner Sarikov beigestellt. Die Bergjuden stammen aus dem östlichen Kaukasus und waren dort vor allem in der russischen Republik Dagestan und in Aserbejian ansässig. Auch sie hatten eine eigene Sprache, Juhuri oder Judeo-Tat genannt, welche auch mit der persischen Sprache verwandt ist. Die große Mehrheit der geschätzten 100.000 Bergjuden emigrierte in den Jahren 1970–1990 nach Israel (70.000) und die USA (10.000–20.000).

Nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 und der dann offen israel-feindlichen Politik der Sowjetunion begannen die sowjetischen Juden für die Möglichkeit einer Emigration nach Israel zu demonstrieren. Tatsächlich konnten dann am Anfang der 70er Jahre die ersten georgischen und bucharischen Familien über Wien auswandern. Einige gingen gar nicht erst nach Israel weiter, andere – enttäuscht von Israel – wollten in die Sowjetunion zurück. Wien war der einzige Ort, wo sie – allerdings letztlich vergeblich – auf die Erlaubnis zur Rückwanderung warten konnten. So entstand im Laufe der 70er und 80er Jahre die sefardische Gemeinschaft in Wien.

Anfänglich von den ansässigen Ju-den und der Kultusgemeinde weitgehend ignoriert, war es 1975 eine Gruppe von Einzelpersonen im „Komitee der 39“ oder auch „Russen-Komitee“ ge-nannt – allen voran Heinz Klein, Bruno Wittels, Jutta und Georg Schwarz – die sich um die grundlegenden Bedürfnis-se der Bucharen, Gruziner und Berg­juden wie Aufenthaltsgenehmigungen, Ge-sundheitsvorsorge kümmerten.

Die religiöse Betreuung der Zu-wanderer wirklich in die Hand ge-nommen haben dann letztlich die Lubawitscher, indem sie 1981 Rabbiner Bidermann nach Wien entsandten, der binnen weniger Jahre Bethäuser samt Rabbiner, Kindergärten und Schulen, Jugendclubs organisierte.

Vor Beginn des Gesprächs mit Rabbiner Israelov wird NU von diesem ausführlich und sehr argwöhnisch befragt: Welcher Kultusgemeinde-Partei wir denn nahestünden, was wir mit Präsident Muzicant zu tun hätten, wie das Interview mit den bevorsteh­enden Wahlen in der Kultusgemeinde zu tun hätte und dergleichen mehr.

Natürlich, möchte man fast sagen, hat sich die bucharische Gemeinschaft in der Zwischenzeit – de facto – gespalten, der Ablauf kommt einem bekannt vor: Zuerst war da, von 1981 bis 1995, Rabbiner Israelov der Oberrabbiner der bucharischen Gemeinde. Er wollte dann weg, wählte selber seinen Nachfolger, Rabbiner Niasov, aus, übergab ihm seinen Posten als Oberrabbiner und verließ Wien. Nach vier Jahren kehrte Israelov jedoch zurück, konnte aber vorerst nur als „einfacher“ Rabbiner amtieren.

Was dann weiter geschah, darüber scheiden sich die Geister. Nach weiteren drei Jahren war es dann Rabbiner Niasov, der – offensichtlich zermürb – überlegte, seine Gemeinde zu verlassen, und reiste nach Israel ab. Kurze Zeit später änderte er seine Meinung, kehrte nach Wien zurück, um dort aber seinen Posten bereits durch seinen Vorgänger besetzt vorzufinden.

Die Führung der Kultusgemeinde, politisch engstens verbündet mit den Anhängern von Rabbiner Israelov, ergriff Partei und erklärte Israelov wieder zum Oberrabbiner der Bucharen. Rabbiner Niasov hingegen rief ein Rabbinatsgericht in Israel an, welches ihm Recht gab und sich darauf berufend, bezeichnet sich Niasov weiterhin ebenfalls als Oberrabbiner der Bucharen. Ein Ende der Aus-einandersetzungen ist nicht abzusehen, vielmehr ist bei den nächsten Kultusgemeindewahlen zu erwarten, dass zwei getrennte bucharische Listen kandidieren werden.

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