Die Schuld der Kirche an der Shoah

Daniel Goldhagen widmet sich in seinem neuen Werk der Rolle der katholischen Kirche und des Holocausts. Laut Goldhagen hatte sie eine zentrale. Er hätte auf der halber Strecke stehen bleiben sollen.
Von Rainer Nowak

Dutzende mussten abgewiesen werden, die Polizei errichtete eine kleine Absperrung und schon lange vor Beginn der Veranstaltung hatten sich unzählige Interessierte ihren Platz gesichert. So ist das, wenn ein Popstar auf Besuch kommt. Im Gepäck hatte Daniel Goldhagen bei seinem jüngsten Wien-Besuch sein neues Buch „Die katholische Kirche und der Holocaust“. Der Andrang bei der Präsentation im Alten Rathaus war enorm. Die These des gefeierten und zugleich umstrittenen Politologen unter dem Untertitel „Eine Untersuchung über Schuld und Sühne“: Die Kirche hatte Mitschuld am Holocaust.

In seinem neuen Werk geht Goldhagen einen Schritt weiter als in seinem vergangenen, nicht minder heftig diskutierten Buch „Hitlers willige Vollstrecker“: Er geht der moralischen Verantwortung für die vom ihm konstatierten Mitschuld am Holocaust nach und wirft die Frage auf, was die Kirche tun muss oder könnte, um die Schuld zu sühnen. In seinem neuem Werk hatte Goldhagen geschildert, wie ganz normale Deutsche zu Mördern wurden. Sein Ansatz dabei: Der durchschnittliche Deutsche sei offenbar zum Mord an den Juden bereit gewesen. Und damit wagt sich Goldhagen auf re c h t dünnes Eis. Der Wissenschafter liegt mit der G rundtendenz seines Werkes sicher richtig, dass der Antisemitismus in der Kirche über J a h rh u n d e rte vorhanden war, dass viele Angehörige der Kirche dem Holocaust tatenlos zugesehen hatten, dass in wenigen Einzelfällen Geistliche bei der Deportation beteiligt waren. Doch seine allzu schnellen und zu weitgehenden Schlüsse trüben den Gesamteindruck.

In seinem umfangreichen und recht weitschweifigen Vorwort setzt er sich noch einmal mit der massiven Kritik an „Hitlers willige Vollstrecker“ auseinander: Er hätte nie von Kollektivschuld der Deutschen geschrieben, wie ihm vorgeworfen wurde. Gerade seine Argumentation, dass die Mittäter am Holocaust Individuen und moralisch handelnde Wesen gewesen seien, würde eben das Gegenteil beweisen.

Sein Ansatz im neuen Werk: Das Christentum ist eine Religion, die in ihrem Innersten einen Hass ungeheuren Ausmaßes auf eine bestimmte Menschengruppe gehuldigt und diesen historisch in ihren gesamten Einflussbereich verbreitet hat: Hass auf die Juden. „Dieser Hass – ein Verrat des Christentums an seinen wichtigen und guten moralischen Prinzipien“ habe Christen im Laufe fast zweier Jahrtausende dazu gebracht, viele schwere Verbrechen und anderes Unrecht an Juden zu begehen, Massenmord eingeschlossen, meint Goldhagen. So weit, so hart.

Vorwerfen kann man Goldhagen sein recht oberflächliches Quellenstudium, ein Blick in die Anmerkungen seines betont apodiktischen Werkes reicht. Und Goldhagen hat für seine historischen Thesen ein theoretisch äußerst lohnendes Gebiet kaum bis überhaupt nicht bearbeitet: Österreich. Seine Erkenntnisse über die die Kirche in Deutschland provozieren einen Einwand hingegen geradezu: Goldhagen überschätzt den politischen Einfluss der katholischen Kirche in Deutschland nördlich von Bayern bei weitem. Bei diesem Punkt scheint Goldhagen einem Fehler aufzusitzen: Wenn der Antisemitismus innerhalb der katholischen Kirche wirklich die zentrale Ursache für den Holocaust gewesen wäre, dann wäre nicht Deutschland Ausgangspunkt dafür gewesen. In erzkatholischen Ländern wie Spanien oder Italien war er Antisemitismus offenbar nicht so ausgeprägt, nicht so radikal und zur Gewalt bereit wie in Deutschland und Österreich.

Klarerweise hat Goldhagen die Rolle von Papst Pius XII. im Visier: „Die Kirche, Pius sowie Bischöfe und Priester in ganz Europa haben in der NS-Zeit eine moralische Abwägung angestellt und im Großen und Ganzen entschieden, dass es vorzuziehen sei, die Ve rfolgung der Juden durch die Deutschen und ihre Helfer zuzulassen, statt zu ihren Gunsten einzuschreiten.“ Ursache sei dafür laut Goldhagen aber nicht wie bisher von Seite der Kirche immer wieder dargestellt, die Angst, die Kirche selbst könnte Objekt der NS-Verfolgung werden, sondern starker Antisemitismus beim Papst. Einen Nazi-Kollaborateur nennt ihn Goldhagen.

Andere Historiker wie etwa Erika Weinzierl sehen dies ganz anders, sie sehen tatsächlich Feigheit als Motiv, nicht entschlossen gegen die Judenverfolgung aufzutreten.

Bescheidenheit oder Zurückhaltung sind Goldhagen völlig fremd: So unterstellt er etwa Hannah Arendt, deren Aufzeichnungen vom Eichmann-Prozess – mit Sicherheit eine der grundlegenden Werke der politisch-philosophischen Aufarbeitung – Oberflächlichkeit. Eben dies kann man dem Autor trotz zahlreicher richtiger Aussagen ebenfalls vorwerfen.

Für den Antisemitismus des Papstes führt Goldhagen mehrere Beweise an, die mehr Indizien gleichen: So soll dies ein Brief des päpstlichen Nuntius in München, Eugenio Pacelli, belegen. Darin verwendet dieser 1919 zur Beschreibung unangenehmer Zeitgenossen deutliche antisemitische Klischees. Mögliche andere schrifliche Beweise oder Dokumente seinen im Vatikan unter Verschluss, mutmaßt, Goldhagen.

Historisch interessant und erschreckend zugleich sind Goldhagens Darstellungen von konkreten Fällen, in denen Kirchen-Angehörige zu Stützen des NS-Apparates und teilweise aktiv an der Ermordung von Juden beteiligt gewesen sein. So starben 40.000 Juden, Serben und Zigeuner im kroatischen Ustascha-Lager Jasenovac unter Herrschaft eines Geistlichen: von Bruder Satan, dem Franziskanermönch Miroslav Filipovic-Majstorovic.

Dennoch: Goldhagens Vo rwurf der jahrhundertlangen Tradition des Antisemitismus in der Kirche bleibt unbestritten. Die These, der im Nationalsozialismus aufgegangene Antisemitismus habe nichts mit jenem innerhalb der katholischen Kirche zu tun, ist schon seit länge rem nicht mehr haltbar, schon vor Goldhagens Werk.

Der 43-jährige Politologe widmet sich in seinen Schlussfolgerungen auch der Frage, wie die katholische Kirche mit ihrer Vergangenheit umgehen solle. Sollen eindeutige antisemitische Passagen umgeschrieben w e rden, wie Goldhagen meint? Oder sollten Erläuterungen hinzugefügt werden? Deutlichere Aussagen von der Kirche zu ihrer Vergangenheit als die bisher getätigten, wären in jedem Fall wünschenswert. Soviel steht nach der Lektüre Goldhagens fest, trotz seiner Popstar-Allüren.

 

Daniel Jonah Goldhagen

Die katholische Kirche und der Holocaust. Eine Untersuchung über Schuld und Sühne.

Siedler Verlag.

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