Die Profiteure sind immer noch da

Staatsoperndirektor Ioan Holender nimmt sich kein Blatt vor den Mund und sagt immer wieder klar und deutlich, was er sich über den Umgang Österreichs mit dem Nationalsozialismus denkt. Dass er dafür viel Kritik erntet, nimmt er gelassen. Im NU-Interview spricht Holender über seine Geschichte, sein Judentum, den Karikaturenstreit, seinen Nachruf auf Yassir Arafat, aber auch über sein Verhältnis zu Wolfgang Schüssel.
Von Danielle Spera (Text) und Peter Rigaud (Fotos)

NU: Herr Holender, Sie wurden im Jahr 1935 in Rumänien geboren, stammen aus einer gutbürgerlichen jüdischen Familie. Wie war das Leben damals in Temesvar?

Holender: Wunderbar war das, es gab ja nicht einmal das Problem der Nationalitäten in der Zwischenkriegszeit. Die heute immer wieder viel gepriesene Multikulturalität wurde in Temesvar geradezu verkörpert. Damals war es selbstverständlich, dass Deutsch, Ungarisch und Rumänisch neben- und miteinander existierten. Damals waren die zwei großen Synagogen eigentlich auch eine Selbstverständlichkeit. Dass man an jüdischen Feiertagen als Schüler einer rumänischen Schule nicht zum Unterricht ging – war auch eine Selbstverständlichkeit. Man darf natürlich nicht übersehen, dass dann schon sehr bald die dunklen Wolken des rumänischen Faschismus kamen, der allerdings nicht annähernd mit dem Hitler-Faschismus vergleichbar war.

NU: Wie hat Ihre Familie das erlebt?

Holender: Mein Vater musste immer wieder für ein paar Wochen in ein Arbeitslager, aber das ließ sich nicht vergleichen mit Konzentrationslagern. Er musste Steine klopfen, aber auch das war mit Mauthausen nicht vergleichbar. Das war die rumänische Version der Verfolgung, so unter dem Motto: Wir haben es auch gemacht. Auch Transporte haben nicht stattgefunden, mit dem Argument, man hätte keine Kohle. Im Vergleich zu Ungarn oder Polen ist in Rumänien wenig passiert. Von meinen Verwandten in Ungarn hat niemand überlebt. Niemand. In einem lateinischen Volk, wie die Rumänen es sind, wird nichts so genau genommen wie in einem teutonischen. Gut, jetzt werden Sie gleich sagen, die Ungarn sind keine Teutonen. Nein, ernst gesprochen: Dieser elementare Judenhass, die Einstellung, dass Juden Menschen zweiter Klasse seien, die war in Rumänien undenkbar. Ich musste aber trotzdem dann in eine jüdische Schule wechseln, wo ich nur sehr ungern war, denn ich wollte mit den orthodoxen jüdischen Schülern nichts zu tun haben, sie missfielen mir.

NU: Ihrer Biographie habe ich entnommen, dass Ihnen die Deutschen imponiert haben.

Holender : Ich bewunderte die deutschen Soldaten. Die waren blond und blauäugig und hatten einen Scheitel so wie ich. Meine Mutter hatte Tränen in den Augen, als sie bemerkte, dass ich begeistert mit dem Hitler-Gruß grüßte, sie hat nichts dazu gesagt, aber oft geweint. Ich spürte, dass eine große Spannung da war. Eines Tages wurde ich vor unserem Haus furchtbar zusammengeschlagen von einem Schüler der deutschen Schule. Ich war damals acht Jahre. Das war eigentlich die erste spürbare Auswirkung des Leidens an meinem Judentum. Aber sonst?

NU: Heißt das, dass sie wenig Antisemitismus gespürt haben?

Holender: Wir haben es zweifach gespürt, zuerst durch den Faschismus und dann durch den Kommunismus. Man hat „Rumänisierungen“ durchgeführt, das waren Enteignungen, aber auch das war nicht mit den so genannten „Arisierungen“ gleich zu setzen. Mein Vater konnte die Fabrik behalten, doch es wurde ein „Verwalter“ eingesetzt, der sich aber viel verständnisvoller und humaner benommen hat als „Ariseure“ in Österreich. Dass man Juden aus dem Land jagt oder ermordet, war bei uns im Banat kein Thema. Die Villa meines Großvaters wurde „rumänisiert“. Er bekam sie allerdings 1944 sofort zurück. Auch eine rumänische Eigenschaft: Wir nehmen uns ein Scherzerl vom Brot, aber nicht das ganze. Jedenfalls durften Juden per Gesetz vieles nicht haben, Radio, Schreibmaschine, Telefon. Das alles haben die Kommunisten dann wunderbar übernommen, allerdings in einer ganz anderen Dimension … Die Bürgerlichen, die Grundbesitzer, die Intellektuellen gehörten plötzlich zur „Ausbeuterklasse“ und wurden verfolgt. Die Fabrik meines Vaters wurde verstaatlicht, aus dem Arbeitgeber wurde ein Arbeitsloser, wir standen plötzlich vor dem Nichts.

NU: Sind Sie traditionell aufgewachsen, haben Sie die Feiertage eingehalten?

Holender: Nur Jom Kippur, genauso wie ich es heute halte. Und mein Großvater, der Vater meiner Mutter, hat Freitagabend gehalten, eine Weile haben wir mit ihm Shabbatabende gefeiert, Pessach auch, mein Ma nischtana hab ich gekonnt, das weiß ich noch heute. Ein bisschen He-bräisch konnte ich auch lesen und ich hatte eine BarMizwa. Also wir waren gemäßigt, würde ich sagen.

NU: War Ihnen Ihr Judentum im Aufwachsen wichtig?

Holender: Immer wenn es mir schlecht ging, war es mir wichtig. Nein, es war mir nicht wichtig, es hat meine Kindheit und Jugend auch nicht wirklich geprägt. Man ging eben in die Synagoge und nicht in die Kirche. Es war mir eigentlich nicht recht, dass wir anders waren als die anderen. Ich wäre lieber am Sonntag in die Kirche gegangen mit meinen Freunden, um dazu zu gehören. Die rumänische Identität war mir wichtig und sie ist bis heute für mich bestimmend. Auch wenn ich mir innerlich die rein religiöse Zuwendung zum Judentum erhalten habe und mich in entscheidenden Momenten meines Lebens, die meist tragische Augenblicke sind, zu diesen Wurzeln hinwende. Ab 1948 kam es verstärkt zu Auswanderungen nach Israel. Bei uns in der Familie stand das aber nicht zur Debatte, man wollte nicht nach Afrika, in die Wüste. Dennoch war es ein Streitthema, ob man Rumänien verlassen sollte. Mein Großvater und mein Onkel mussten in ein Arbeitslager, 1958 wurden sie freigelassen und sofort danach verließen sie gemeinsam mit meiner Mutter Rumänien in Richtung Wien.

NU: Sie haben sich sehr früh politisch engagiert, sind dafür auch verfolgt worden …

Holender: Ja, das klingt jetzt alles heldenhaft. Aber im Kommunismus war meine soziale Herkunft denkbar schlecht. Mein großbürgerliches Elternhaus galt in der sozialistischen Ideologie als äußerst negativ. Ich konnte tun, was ich wollte, ich war ein Bürgerlicher und musste mich erst durch schwere körperliche Arbeit für die Hochschule qualifizieren, in die ich als Arbeiter – ich arbeitete als Straßenbahnfahrer und auf Hochspannungssäulen – aufgenommen wurde. Seit ich 17 war, hatte ich Angst vor der Securitate, der Geheimpolizei. Immer wieder hörten wir, dass Freunde oder Bekannte verschwanden, die Nervosität und Anspannung war bei uns zu Hause allgegenwärtig. 1956, ich war gerade 21 Jahre alt, geriet ich eher zufällig in eine Sitzung an der Hochschule, bei der die Studenten ihrem Ärger und Missmut Luft machten. Ich bin meinem Instinkt gefolgt und hab dort auch was gesagt, nämlich dass wir endlich frei sprechen wollten. Von diesem Zeitpunkt an wurde auch ich politisch verfolgt. Jetzt bin ich ein politischer Held in Rumänien, so unglaublich das klingt, obwohl ich eigentlich nur eine Kleinigkeit gemacht hatte, im Vergleich zu anderen, die viele Jahre im Gefängnis waren. Mein Leben hat sich jedenfalls radikal geändert. Ich wurde von Einheiten der Securitate in einen Nachbarort gebracht und an die Wand gestellt. Ich wurde aber nicht verurteilt, man wollte vermutlich keine Märtyrer schaffen. Jedenfalls wurde ich von der Hochschule ausgeschlossen. Da ich ein ausgezeichneter Tennisspieler war, konnte ich mich nur mit Tennisstunden über Wasser halten. Doch nachdem ein Dossier über mich existierte, flog ich auch aus der Sportschule. Es war, als ob ich ein Kreuz auf der Stirne hätte, weil ich als Feind des Regimes galt. In dieser Situation erfuhr ich, dass man sich für die Ausreise nach Israel anmelden konnte. DIE Ausreisemöglichkeit für Juden. Am 14. Jänner 1959 war es so weit: Mein Vater und ich stiegen in den Zug, 20 kg Gepäck durften wir mitnehmen. Die Genehmigung war zwar für Israel erteilt worden, da meine Mutter aber in Wien lebte, konnten wir dorthin. Die Ausreise bedeutete meine Rettung, aber ich fühlte mich, als ob meine Wurzeln abgeschnitten würden.

NU: Glauben Sie, hat Ihr Judentum eine Rolle gespielt, dass Sie verfolgt wurden?

Holender: Nein, nein, das bilden wir uns vielleicht ein. Schauen Sie, wenn hier zwei Sänger vorsingen, der eine ist ein Rumäne und der andere nicht, beide sind gleich gut, dann würde ich den Rumänen nehmen. Wenn jetzt zwei Studenten dort dasselbe gesagt hatten, war der eine Rumäne, der andere Jude, hat man vielleicht den Juden verfolgt, genau kann ich das nicht sagen.

NU: Sie sind dann 1959 nach Wien gekommen, wie war das für Sie?

Holender: Schon auf der Fahrt nach Wien war ich total unglücklich und habe ständig geweint, ich habe mich von jedem Stein, von jedem Baum, jedem Zaun verabschiedet, es war für mich das Ende. Meine Stimmung war katastrophal. Ich war überzeugt davon, dass mein Leben gescheitert ist, dass ich die Basis verloren, meine Sprache verloren hatte, mein ganzes Wissen. Aber ich bin weggegangen um zu überleben, nicht um zu leben. Meine Mutter war hier, das war mein einziger Trost. Ich wollte von Wien nichts wissen und fand hier auch alles ganz schlecht und dekadent. Ich sprach nur schlecht deutsch, fand aber bald Arbeit als technischer Zeichner. Der Meister dort war gerade aus der russischen Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt, er schimpfte mit den übelsten Nazi-Sprüchen gegen Juden und Ausländer. Ich dachte mir, dass die Menschen hier eben so seien. Nach sechs Monaten wurde ich entlassen.

NU: War es Thema, dass Sie Jude sind und Ihre Mutter Jüdin ist?

Holender: Nein. Ich war jedenfalls damals völlig orientierungslos und wusste nicht, auf welcher Welt ich mich befand. Damals hätte ich mir nicht träumen lassen, dass das Schicksal einmal so gnädig mit mir sein wird. Das macht mich dankbar und demütig.

NU: Wie halten Sie es jetzt mit Ihrem Judentum?

Holender: Zu Jom Kippur gehe ich in den Stadttempel und faste auch.

NU: Wie wichtig war es Ihnen denn, Ihr Judentum an die Kinder weiterzugeben?

Holender: Vor zwei Jahren hat mein Sohn sich von sich aus zum Judentum gewandt und dann auch Bar-Mizwa gemacht. Es war einer der schönsten Momente meines Lebens. Mein Sohn hat mir einen Brief geschrieben, da war er zwölf Jahre alt und mir darin mitgeteilt, dass er zum Judentum übertreten will, weil er diese Tradition weiter halten möchte. Das hat mich sehr berührt. Ich wollte eigentlich, dass er sich mit 18 für seinen Weg entscheidet, doch er ist mir zuvorgekommen. Mein Sohn hat jedenfalls gelernt, ist übergetreten, mit Mikwe und allem Drum und Dran und dann haben wir ihm in Temesvar, in der orthodoxen Synagoge, Bar-Mitzwa gemacht, es war die erste Bar-Mitzwa dort seit 20 Jahren, denn die jüdische Gemeinde ist mittlerweile sehr klein.

NU: Im Gegensatz dazu hat Ihr Sohn aus erster Ehe, Adrian, vor Jahren damit für Schlagzeilen gesorgt, dass er kurzfristig als Kandidat der Freiheitlichen aufgetreten ist. Hat das eine Kluft zwischen Ihnen hinterlassen?

Holender: Darüber möchte ich nicht sprechen, das ist ein ganz schlechtes Thema.

NU: Wie empfinden Sie die Stimmung in Österreich heute, Stichwort Klimt-Bilder. Haben Sie das Gefühl man hat sich da gegenüber Frau Altmann richtig verhalten?

Holender: Ich habe nicht das Gefühl, dass man sich so unrichtig verhalten hat, wie manche Leute aus mehr parteipolitischen Gründen jetzt behaupten. Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten hätte in einer Beamtenposition. Mit Sicherheit hätte ich dazu tendiert, ein Schiedsgericht einzurichten. Allerdings: Wenn man damals verhandelt hätte, hätte man sich vermutlich arrangieren können und die Bilder für weniger Geld bekommen. Von dieser Warte aus kann Frau Altmann froh sein, dass man das nicht getan hat, denn jetzt bekommt sie sicher mehr dafür. Ich sehe die Vorgangsweise jedenfalls absolut nicht als antisemitisch. Vielleicht ist es falsch gelaufen, mehr möchte ich nicht dazu sagen.

NU: Sie melden sich immer wieder zu Themen der Vergangenheitsbewältigung zu Wort, das ist in Österreich keine Selbstverständlichkeit – im Gegenteil.

Holender: Es hat begonnen mit den Feiern der Jahrestage der Wiedereröffnung der Staatsoper nach dem zweiten Weltkrieg, Ich hatte das Gefühl, man muss die Tatsachen und Wahrheiten aussprechen, um sich sauberer zu fühlen. Man darf sich auch nicht scheuen, Dinge auszusprechen, die die Menschen nur ungern hören, weil es um Schuld geht. Warum ist so eine Aggression ausgebrochen, als ich hier einen sehr bekannten Dirigenten (Karl Böhm– Anm. d. Red.) genannt habe und andere Leute, die von diesem schrecklichen Regime der Nazis profitiert haben. Die Lebenden leben besser, weil andere getötet worden sind. Das ist meine Meinung. Das empfinde ich so, auch im so genannten Bilder-Streit. Irgendeinen Teppich, irgendeine Vase, irgendeine Lampe haben in Österreich viele noch zu Hause, irgendetwas, das belastet ist. Daher kommt die Aggression, denn die Geschichte kann man nicht korrigieren, etwas Geschehenes kann man nicht korrigieren. Sie können auch nichts Schlechtes wieder gutmachen, daher bin ich gegen Wiedergutmachung. Es sind so viele Profiteure von damals noch immer da, wie soll man das in Ordnung bringen?

NU: Karlheinz Böhm war sehr aufgebracht darüber, dass Sie die Rolle seines Vaters erwähnt hatten, er sagte, Sie sollen den Mund halten. Wie gehen Sie denn mit diesen typisch österreichischen Reaktionen um?

Holender: Es war sicher unverhältnismäßig. Die Reaktion von Karlheinz Böhm hat mich sehr gewundert, weil ich ihn für seine humanitäre Arbeit sehr schätze. Außerdem hat mich er mich enttäuscht, was seine Intelligenz betrifft, denn er weiß ja über seinen Vater Bescheid. Karl Böhm war für mich ein Beispiel des gleitenden Übergangs von der Nazi-Zeit ins Nachkriegsösterreich. Ohne lange nachzudenken, wurden da wieder die Fronten gewechselt, als ob nichts gewesen wäre. Böhm war sicher kein Hauptdarsteller, sondern nur ein typisches Beispiel für viele andere Karrieren im Nachkriegsösterreich, das hat sein Sohn offenbar nicht verstanden. Ja, ich bekomme auch viele Drohungen. Ich fühl mich hier als Staatsoperndirektor nach vierzehn Jahren nicht beliebter, weil ich jüdischer Abstammung bin, aber auch nicht unbedingt ungeliebter. Nichtjüdischen Vorgängern in meiner Position ging es schon schlechter als mir.

NU: Ihr Gastkommentar in der „Presse“ nach dem Tod von Yassir Arafat hat damals für viel Verwunderung gesorgt. Würden Sie das heute wieder schreiben?

Holender: Nein, sicher nicht. Nachdem ich immer wieder bedrängt wurde, für jüdische Einrichtungen aktiv zu werden, wurde ich angesprochen, auch die palästinensische Seite kennen zu lernen. Ich machte die Bekanntschaft von palästinensischen Intellektuellen und lernte schließlich auch Arafat kennen. Dann haben wir diese Benefizaktion gemacht und ich habe ihm das Geld überreicht, er hat mich umarmt, mich „brother“ genannt und ich hatte ein gutes Gefühl, ich war beeindruckt. Und dann dachte ich nach seinem Tod, warum soll ich das nicht schreiben? Es war einfach sentimental geschrieben, vielleicht war es auch nur Wichtigmacherei, damit ich zeige, dass auch ich bei Arafat zum Essen eingeladen war.

NU: Jetzt hat die Hamas die Zügel in der Hand, was haben Sie empfunden, als Sie vom Wahlsieg erfahren haben?

Holender: Ich habe nicht so gestaunt wie viele andere. Ich fürchte, es gibt keine Lösung, weil die arabischen Länder nicht daran interessiert sind. Dadurch ist das palästinensische Problem kein arabisches Problem mehr, sondern ein jüdisches Problem geworden. Obwohl es eigentlich ein arabisches Problem wäre. Ob ein palästinensischer Staat überlebensfähig sein wird, bleibt dahingestellt, vor allem ob die Reife für wirkliche Demokratie besteht. Man sollte ihn jedenfalls zulassen. Ich bin sehr für diese Mauer, denn ich weiß auch keine bessere Lösung. Denn es hat sich gezeigt, dass Israel, wenn es nicht selbst die Macht und die Kraft gehabt hätte, sich zu verteidigen, heute nicht mehr existieren würde.

NU: Haben Sie das Gefühl, dass sich Europa im Karikaturenstreit richtig verhalten hat?

Holender: Europa ist fassungslos und verunsichert und so voller Angst, sich falsch zu verhalten, dass man sich schon vor allem scheut. Im „Rosenkavalier“ gibt es die Figur des kleinen Mohamed, er ist der Page der Marschallin, da heißt es: „Schickt mir den Mohamed! Was machen wir jetzt damit, jetzt haben wir ein Problem …“ Der Karikaturenstreit wurde bewusst geschürt, das ist jetzt klar, doch wie sollte man reagieren, wen verurteilen?

NU: Europa scheint andererseits immer sehr schnell mit der Verurteilung Israels zu sein …

Holender: Also die Verurteilung Israels hat noch niemandem geschadet. Deshalb hat man noch nie eine Fensterscheibe eingeschlagen. Israel ist ein demokratischer Staat, den kann man meinetwegen verurteilen, aber wen soll man jetzt verurteilen wegen der Folgen dieser lächerlichen Karikaturgeschichte?

NU: Den Iran zum Beispiel …

Holender: Den Iran kann man verurteilen, nicht nur deswegen. Doch das tut man nicht, denn der Iran ist groß und den braucht man finanziell, aber das darf keine Ausrede sein. Ich war kurz vor der islamischen Revolution dort und habe die Stimmung gespürt, die sich da unter diesen Massen zusammengebraut hat. Da hat mich Angst gepackt.

NU: Sie waren ein heftiger Kritiker der Wende, der ersten Regierungsbildung von Wolfgang Schüssel, Wie sehen Sie das heute?

Holender: Nein, nein, ich war nicht ein heftiger Kritiker seiner Regierungsbildung, ich war ein heftiger Kritiker einer rechts-rechten Regierung. Ideologisch und im sozialen Bereich hatte ich mir etwas anderes erwartet, als dann eingetreten ist. Ich habe schon vor längerer Zeit Schüssel meinen Respekt für die Amtsführung und auch für seine Art geäußert und dazu steh ich auch noch heute. Nicht nur, weil er die Restitution vollzogen hat. Als ehemaliges Opfer kann man sich nicht aussuchen, von wem die Zahlungen letztendlich kommen, Hauptsache, man bekommt sie. Wir haben heute ein sehr korrektes Verhältnis, es ist nicht freundschaftlich, wie mit Vranitzky, mit dem ich mich privat getroffen habe, Tennis gespielt habe. Vor meiner Rede anlässlich der Wiedereröffnung der Staatsoper habe ich Schüssel gesagt, dass ihm in meiner Rede nicht alles gefallen wird, Schüssel antwortete: Alles, was Sie machen, Hr. Holender, ist in Ordnung – ob es mir gefällt oder nicht. Er sagt mir immer wieder, dass er meine politische Einstellung kennt, aber dennoch meine Amtsführung schätzt. Ich habe jedenfalls gelernt, Menschen von Parteien doch zu unterscheiden, also nicht nur nach Parteizugehörigkeit zu urteilen. Mehr möchte ich jetzt nicht mehr politisieren.

NU: Ihre Mutter spielt in Ihrem Leben eine ganz große Rolle, ist sie die jüdische Mamme?

Holender: Nein, nein, dazu ist sie zu jung, obwohl sie schon 91 ist. Nicht jüdische Mamme, nein, eine Partnerin und die Konstante meines Lebens.

NU: Die Tageszeitung „Die Welt“ hat Sie zu Ihrem 70. Geburtstag charakterisiert: Sie seien „der letzte Opern-impresario der alten Schule, a bisserl windig, a bisserl elegant, kompetent und unterhaltsam“ – stimmt diese Beschreibung?

Holender: Bis auf windig, ja.

 

Zur Person

Ioan Holender wurde 1935 in Temesvar (Rumänien) geboren. Sein Vater war Essig- und Marmelade-Fabrikant, seine Mutter stammte aus einer Familie wohlhabender Textilgroßhändler. Nach der Matura studierte er Maschinenbau. 1957 wurde er aus politischen Gründen exmatrikuliert und vom Hochschulbesuch ausgeschlossen. Seit 1959 lebt er in Österreich. Holender war als Opernbariton und Konzertsänger tätig und wurde später einer der bedeutendsten Opernagenten. 1988 wurde er Generalsekretär der Staatsoper und Volksoper in Wien. Seit 1992 ist er Staatsoperndirektor. Seine Autobiographie ist 2001 im Böhlau Verlag erschienen.

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