Die Nazis können sich die Hände reiben

Es ist ein brisantes Dokument, das der ehemalige Waldheim-Jäger Neal Sher vorlegt. Ex-Präsident Jimmy Carter hat 1987 für einen SS-Mann, dessen Morde an Juden bewiesen waren, interveniert. Warum er jetzt damit an die Öffentlichkeit gegangen ist, dass der Fall Waldheim auch seine gute Seite hatte und welche Ereignisse ihn beeinflusst haben, Nazi-Jäger zu werden, erzählt Sher im Gespräch mit NU.
Von Danielle Spera (Text) und Moniques Stauder (Fotos)

NU: 1987 gab es nach der Watchlist-Entscheidung gegen Waldheim noch einen Fall, der in Österreich Schlagzeilen gemacht hat.

Sher: Wir sind auf einen SS-Aufseher in Mauthausen gestoßen, Martin Bartesch. Wir hatten seine Identität geklärt und fanden seine Einwanderungspapiere. Beim OSI, dem Office of Special Investigations, hatten wir es uns zur Regel gemacht, selbst nach den Tätern zu suchen und nicht zu warten, bis wir einen Tipp bekommen.

NU: War der Fall Bartesch ein besonderer?

Sher: Ja und Nein. Das Besondere daran war, dass wir bei ihm sofort einen messerscharfen Beweis für seine Schuld hatten: Ein Todesbuch, das die US-Soldaten, die Mauthausen befreiten, gefunden hatten. Darin war festgehalten, dass Bartesch am 20. Oktober 1943 einen französischen Juden namens Max Oschorn getötet hatte. Wenn man dieses Buch sah, lief einem der kalte Schauer über den Rücken, wir konnten dadurch einige Männer überführen.

NU: Ihre Behörde, das OSI, stand damals im Mittelpunkt des Interesses.

Sher: Die späten 1980er-Jahre waren eine Zeit, in der wir pro Tag oft 7 bis 10 Fälle hatten. Durch Waldheim waren wir natürlich plötzlich auch mitten im Licht der Öffentlichkeit, während wir davor eigentlich ruhig und mit relativ wenig Aufmerksamkeit arbeiten konnten.

NU: Gab es dadurch auch Inter­ventionen für die Beschuldigten?

Sher: Bei Waldheim natürlich, aber eben auch im Fall Bartesch, er war bei guter Gesundheit, für ihn haben sich viele eingesetzt, er hätte ja noch viele Jahre unbehelligt in den USA leben können. Die Familie hat offenbar stark mobilisiert, von der Kirche bis zu Kongressabgeordneten haben sich einige sehr für ihn eingesetzt. Wir haben jedem die Dokumente, die gegen Bartesch vorlagen, gezeigt und daraufhin war Ruhe. Bis auf die Tochter von Bartesch, die uns mit Beschuldigungen, wir seien alle vom KGB, und antisemitischen Beschimpfungen belästigt hat. Und Jimmy Carter.

NU: Das muss ja eine ziemliche Überraschung gewesen sein, als sie einen Brief von Jimmy Carter erhielten?

Sher: Ich erinnere mich, als ob es gestern gewesen wäre. Meine Sekretärin brachte mir den Brief. Zuerst habe ich gedacht, er käme von Freunden, die mir einen Streich spielen wollten, denn ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass Carter sich für diesen SS-Mörder einsetzen würde. Aber da stand es schwarz auf weiß und sogar handschriftlich: dass ich doch in diesem Fall Nachsicht walten lassen sollte – aus humanitären Gründen. Ich war so entsetzt und sprachlos, dass ich den Brief beiseite legte und außer meinen engsten Mitarbeitern niemanden davon in Kenntnis setzte. Vielleicht wollte ich unbewusst neben dem Kampf mit den Österreichern nicht auch noch einen öffentlichen Streit mit einem Ex-US-Präsidenten heraufbeschwören.

NU: Warum sind Sie jetzt damit an die Öffentlichkeit gegangen?

Sher: Ich habe schon länger daran gedacht, vor allem als aufgekommen ist, dass die Carter-Stiftung insbesondere von einem saudischen Scheich finanziert wird, der die Terroranschläge vom 11. September gutgeheißen hat. Als jetzt Carters Buch über den Nahost-Konflikt erschienen ist, war mir endgültig klar, dass er ein Problem mit Israel und der amerikanisch-jüdischen Solidarität hat. Ich habe den Carter-Brief einigen prominenten Freunden gezeigt und alle haben mir geraten, ihn unbedingt zu veröffentlichen.

NU: Gerade Carter hat ja das Image des guten Ex-Präsidenten.

Sher: Vielleicht weil er ein lausiger Präsident war. Nein, im Ernst, er macht natürlich viel Wind mit seinem Einsatz für humanitäre Zwecke. Andererseits muss man sehen, dass er bei Israel einfach nicht fair agiert. Er stellt Israel ganz bewusst an den Pranger. In seinem neuen Buch gibt es nur palästinensisches Leid, die Selbstmordattentate gegen Israel spielen keine Rolle.

NU: Manche vermuten bei Carter persönliche Gründe.

Sher: Ich will ihn überhaupt nicht charakterisieren. Was Carter über Israel schreibt, entlarvt sich doch selbst. Oder seine Auftritte im Fernsehsender Al-Jazeera. Dort hat er den Terror gegen Israel gerechtfertigt. Da macht es doch keinen Unterschied mehr, ob er ein Antisemit ist oder nicht. Das größte Problem, das Israel heute hat, ist, dass es überall an Unterstützung verliert, auch in den USA.

NU: In letzter Zeit häufen sich sogar die kritischen jüdischen Stimmen.

Sher: Sie verfolgen sicher die Debatte, die jetzt in jüdischen Intellektuellenkreisen in den USA und in Großbritannien geführt wird. Sie lassen kein gutes Haar an der Pro-Israel-Lobby. Das Problem ist, dass sie damit den wirklichen Feinden Israels in die Hände spielen, die Israel das Existenzrecht absprechen wollen. Carters Buch passt da bestens dazu. Warum, glauben Sie, veranstaltet der iranische Präsident Ahmadinejad eine Holocaust-Konferenz? Doch auch nur, um Israel seine Legitimität abzusprechen. Wenn man den Holocaust zur Legende abstempelt, dann geht das sehr tief. Ich will da jetzt nichts vermischen, aber man muss das alles in seiner Komplexität sehen und den fatalen Zusammenhang, der besteht.

NU: Welche Auswirkungen wird das auf Israel haben?

Sher: Der Irak-Krieg war auch für Israel fürchterlich. Er hat die USA geschwächt und das hatte Folgen für Israel. In den USA wird jetzt ja auch immer mehr betont, dass man den Iran doch in Ruhe lassen soll mit seinem Atomprogramm, es sei doch nur, weil Israel Druck mache. Das ist sehr gefährlich. Die USA werden immer ein Verbündeter Israels bleiben, allerdings fürchte ich, dass Israel mehr und mehr auf sich allein gestellt sein wird. Die Nazis können sich die Hände reiben, denn wenn immer mehr Juden an Israel Kritik üben, brauchen sie nichts mehr zu tun.

NU: Über Ihre Herkunft ist wenig bekannt?
Sher: Ich wurde in Brooklyn geboren, meine Eltern waren beide klassische Einwandererkinder von der Lower East Side. Deren Eltern stammten aus Galizien und Litauen – mein Großvater aus einer kleinen litauischen Stadt, dessen Polizeichef ich später als Nazi-Verbrecher auf meiner Liste hatte. Mein Vater war Soldat im Zweiten Weltkrieg und stolz darauf, gegen die Deutschen kämpfen zu können. Er wurde verwundet und arbeitete später bei der Post. Wir wohnten in Queens, in einem Häuserkomplex, der für Kriegsveteranen gebaut worden war. Eigentlich war die Gegend ganz und gar nicht jüdisch, sondern von irischen und deutschen Einwanderer dominiert. Doch unter den Veteranen waren viele Juden – es wurde sogar eine Synagoge gebaut. So gab es dann dort doch eine ganze Gruppe jüdischer Kinder, das hat dann natürlich auch manchmal zu Auseinandersetzungen mit den katholischen Kindern geführt. Ich konnte durch ein Stipendium studieren. Meinen Abschluss machte ich 1968, es war ganz und gar nicht feierlich, denn an meiner Universität gab es große Proteste gegen den Vietnam-Krieg. Ich wurde dann auch eingezogen, konnte mich aber einer Reserveeinheit anschließen und bin so dem Einsatz in Vietnam entkommen.

NU: Wie sind Sie zum OSI gekommen, woher kam Ihr Interesse an der Verfolgung von Nazis?

Sher: Natürlich war das bei uns zu Hause ein Thema, aber was mich
vor allem geprägt hat, waren Erlebnisse, die ich mit meinem
Vater hatte. Einmal habe ich ihn begleitet, als er eine deutsche Zeitung an einen Einwanderer aus Deutschland zustellen musste: Der Mann hatte ein kleines Lebensmittelgeschäft „Hans Deli“. Mein Vater gab ihm die Zeitung und sie begannen sich zu unterhalten. Der Mann sagte, er vermisse Deutschland sehr, dort habe man mit den Juden aufgeräumt, nicht so wie in den USA. Mein Vater wurde so zornig, dass er begann, sich mit dem Mann zu prügeln. Ein anderes Mal begegneten wir in der Nähe der Synagoge einem Ehepaar, das sich darüber mokierte, dass die Gegend jetzt auch schon jüdisch werde. Mein Vater brüllte sie an, dass das eine ganz und gar amerikanische Gegend sei und sie sollten gefälligst verschwinden. Später verfolgten wir dann natürlich den Eichmann-Prozess, der mich sehr beeindruckt hat. An der Universität habe ich mich sehr in die Nürnberger-Kriegsverbrecher-Prozesse vertieft, vor allem die Kreuzverhöre. Vielleicht hat mich das geprägt. Als ich gefragt wurde beim OSI mitzuarbeiten, habe ich mit großer Begeisterung angenommen. Insgesamt habe ich dann mehr als 1000 Fälle untersucht und 100 davon auch überführt.

NU: Waldheim war sicher der spektakulärste, im April ist es 20 Jahre her, woran werden Sie sich immer erinnern?

Sher: Was mich erschreckt hat, war, wie ich in Österreich aufgenommen worden bin. Ich war zu einer Persona non grata geworden. Als ich in Wien war, haben Leute auf der Straße vor mir ausgespuckt. Die größte Überraschung stellte für mich Simon Wiesenthal dar, er rief mich beinahe täglich an und flehte uns an, dass wir nichts gegen Waldheim unternehmen sollten. Er wollte danach nie wieder mit mir sprechen. Aber ich sage Ihnen etwas: Die Waldheim-Sache hatte auch ihr Gutes. Die Watchlist-Entscheidung hat sehr viel beeinflusst. Erst danach hat man sich getraut, auch so große Bereiche wie die Schweizer Banken oder die deutsche Industrie anzugreifen, und das hat letztendlich zu Übereinkommen geführt, die sehr wichtig waren.

 

Neal Sher war von 1983 bis 1994 Direktor des Office of Special Investigations (OSI), jener Abteilung des US-Justizministeriums, die für die Ermittlungen gegen ehemalige Nationalsozialisten zuständig war, danach Direktor von AIPAC, einer großen Pro-Israel-Lobbying-Organisation in den USA. Von seinem Posten als Stabschef im Washingtoner Büro der internationalen Kommission, die sich mit Versicherungsansprüchen von Nazi-Opfern beschäftigt, wurde er 2002 enthoben. Ihm wurde vorgeworfen, unerlaubt Reisekosten aus dem Geld des Restitutionsgremiums genommen haben. Sher erhielt in Washington für fünf Jahre Berufsverbot als Anwalt. Mittlerweile lebt und arbeitet er als Anwalt in New York.

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