Die Leute glauben, was sie in der Zeitung sehen

Die Kunst- und Kulturhistorikerin Renée Gadsden hat für das Europäische Forum Alpbach im Auftrag seines Präsidenten Erhard Busek eine Karikaturen-Ausstellung kuratiert. Der Titel: „Vom Stürmer gelernt?“ Das Thema: Die Perpetuierung antisemitischer Stereotype in der Nachkriegspresse – von der Sowjetunion bis hin zu zeitgenössischen westlichen und arabischen Medien. Gadsden ist Assistentin am Ordinariat für Kultur- und Geistesgeschichte der Universität für angewandte Kunst in Wien.
Von Petra Stuiber

NU: Wie kamen Sie darauf, Parallelen zwischen dem antisemitischen Kampfblatt „Stürmer“ und zeitgenössischen Medien zu suchen?

Gadsden: Ausgangspunkt ist die Nürnberger Wochenzeitung „Stürmer“, die von 1923 bis 1945 erschien. Der „Stürmer“ war ursprünglich das Privatvergnügen von Julius Streicher, einem fanatischen Antisemiten. Er hat den Kampf gegen „die Juden“ als seine persönliche Mission gesehen. Der „Stürmer“ hatte in seiner Blütezeit eine Auflage von 500.000 Stück – man muss sehen, dass er den gesellschaftlichen Boden für Hitlers „Endlösung“ bereitet hat. Für mich ist frappierend, dass dieselben Stereotype, die in den „Stürmer“-Karikaturen verwendet wurden, immer wieder kommen.

NU: Welche Stereotype sind das?

Gadsden: Zum Beispiel der „kinderfressende Jude“ – ein Hinweis auf das „Ritualmord“-Stereotyp. Oder der Unsinn von der „Weltverschwörung der Juden“ – einmal gelten die Juden als Repräsentanten des „hässlichen US-Kapitalismus“, dann wieder als Vertreter des „hässlichen Bolschewismus“ – je nachdem, wie es gerade passt. Oder die Tier-Mensch-Konfigurationen: Juden als Spinnen, Skorpione, Hunde, Schlangen – da ist die antisemitische Phantasie oft grenzenlos. So etwas wirkt wie Gift auf die Menschen.

NU: Inwiefern?

Gadsden: Die Leute glauben, was sie in der Zeitung sehen. Am Beispiel des „Stürmer“ lässt sich das sehr gut nachzeichnen. Der Haus-Karikaturist des „Stürmer“ war Philipp Rupprecht, der unter dem Pseudonym „Fips“ zeichnete. Der hat Woche für Woche die „klassischen“ Stereotype gezeichnet: Juden mit großer Nase, Warzen, klein, dick, unrasiert und ungepflegt, mit O-Beinen und Brille. „Fips“ hat dem Antisemitismus im 20. Jahrhundert zwanzig Jahre lang ein konkretes Gesicht verliehen. Möglicherweise haben die Deutschen diesen Rassenwahn irgendwann geglaubt – obwohl er eigentlich nur der persönlichen Obsession und Perversion des Julius Streicher entsprungen ist. Dieser Mann hat sich zum Beispiel intensiv mit Pornographie auseinander gesetzt, hat diese für sich unter „typisch jüdisch“ eingereiht und sich in der Folge an der „Rassenschande“ begeilt. Das hat übrigens Schule gemacht – in Österreich gab es einen eigenen „Stürmer“, ganz unabhängig vom Nürnberger „Stürmer“.

NU: War das nicht lediglich eine eigene „Ostmark“-Ausgabe?

Gadsden: Eben nicht. Im Zuge meiner Forschungen für die Alpbacher Ausstellung habe ich die Erkenntnis gewonnen, dass der österreichische „Stürmer“ ein völlig eigenständiges Produkt war, das schon in den 30er Jahren gegründet wurde – mit eigenem Verlag, eigener Redaktion, eigenen Themen. Es wurde nur aus Bewunderung für Streicher „Stürmer“ getauft. So viel zur „Opfer“-Theorie vieler Österreicher.

NU: Wo sehen Sie die Kontinuität zu heutigen Medien?

Gadsden:Wir zeigen sowjetische Karikaturen der 60er und 70er Jahre aus der Zeit des Kalten Krieges sowie arabische Karikaturen – und zwar in verschiedenen Epochen: in Friedenszeiten, in Zeiten des Sechtagekriegs, also im Juni 1967 und danach. Und wir präsentieren zeitgenössische westeuropäische und arabische Karikaturen. Da sieht man deutlich, dass die Typologie immer wieder kommt.

NU: Zum Beispiel wie?

Gadsden: Wir haben eine Karikatur aus dem „Deutschen Volksblatt“ des Jahres 1938 – mit dem Titel „Amerika der Zukunft“ – einem Cover der deutschen „Wirtschaftswoche“ aus dem Jahr 2001 gegenübergestellt. Das Cover mit dem Titel „Die amerikanische Grippe“ zeigt die „Fratze des US-Kapitalismus“ und sie sieht jener antisemitischen Hetz-Karikatur aus dem Jahr 1938 frappierend ähnlich. Oder nehmen Sie die Karikatur aus der palästinensischen Zeitung „Al-Quds“ vom 17. Mai 2001. Da sehen Sie den israelischen Premier Sharon, der palästinensische Kinder frisst – ein klassisches antisemitisches Klischee. Oder die Zeitung „Ad-Dustour“ aus Jordanien aus dem Jahr 1994: „Der zionistische Teufel“. Immer wieder finden Sie in arabischen Zeitungen die Gleichstellung von Hitler und Sharon.

NU: Ist anti-israelisch gleich antisemitisch?

Gadsden: Ein bekannter deutscher Karikaturist, Fritz Behrendt, sagte einmal, Araber könnten gar nicht antisemitisch sein, weil sie dann gegen sich selbst seien – schließlich gehören sie selbst zu den Semiten. Aber das ist nicht der Punkt: Ich habe das American Jewish Committee und die Anti-Defamation League konsultiert, die hier keine Unterscheidung treffen. Ich kenne die Verhältnisse im Nahen Osten nicht näher und verlasse mich auf diese Definition. Ich halte das auch für gerechtfertigt – ich kenne arabische Kinderbücher, in denen „die Juden“ schon mit allen Mitteln und allen Untergriffen bekämpft werden. Dasselbe machte auch Streicher im „Stürmer“.

NU: Machen Sie einen Unterschied zwischen Karikaturen in Kriegs- und Friedenszeiten?

Gadsden: Nun – den könnte man machen, aber dann trifft das doch kaum die antisemitischen Beispiele aus der sowjetischen Presse. Die Sowjetunion war nie im Kriegszustand mit dem Staat Israel.

NU: Wie verhält es sich mit dem demokratischen „Westen“?

Gadsden: Ich fürchte, es gibt einen latenten, gesellschaftlich tolerierten Antisemitismus, der immer wieder zum Durchbruch kommt in solchen Karikaturen. Die Frage ist immer, ob die Leute unkreativ von einander abkupfern oder ob sie wirklich bösartig sind.

NU: Warum haben Sie den Irakkrieg in Ihrer Ausstellung nicht berücksichtigt?

Gadsden: Ich bin Wissenschafterin, ich meine, dass man mehr Abstand zu Ereignissen haben muss, um die Dinge wissenschaftlich relevant aufarbeiten zu können. Es ist noch zu früh, die Irakkrieg-Berichterstattung historisch evaluieren zu können.

NU: Haben Sie sie dennoch verfolgt?

Gadsden: Ja – und ich habe leider genau dieselben Bilder gesehen und Geschichten gelesen: Den kleinen jüdischen Wurm am Ohr des US-Präsidenten, die „jüdische Weltverschwörung“, „die Juden kontrollieren die USA“ – dieselben Stereotype, dieselben Klischees. Das ist sehr traurig. Leider scheint es, dass die Menschen aus der Geschichte nicht nachhaltig lernen können.

 

Die Ausstellung „Vom Stürmer gelernt? – Politische Karikaturen gegen Ende des 20. Jahrhunderts“ wird vom 25. bis 28. September in der Aula der Universität für angewandte Kunst (Oskar-Kokoschka-Platz 2, 1010 Wien) im Rahmen des internationalen semiotischen Kongresses „Zeichen der Macht, Macht der Zeichen“ gezeigt.

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