Die Freiheit ist stärker als die Angst

Von Peter Menasse

Juli 2011. Ein Einzelgänger tötet auf der norwegischen Insel Utøya in einem beispiellosen Akt der Gewalt über neunzig junge Menschen. Im Internet deponiert er ein Pamphlet, das aus Textmodulen unterschiedlicher Herkunft zusammengesetzt ist. Er will die Welt wissen lassen, dass Europa vor „Marxismus und Islamisierung“ gerettet werden müsse und „multikulturelle“ Kräfte diesem Kampf als Feinde entgegenstünden. Unter den mannigfaltigen Verknüpfungen zu anderen Internet-Einträgen führt er auch Texte der FPÖ-Politikerin Elisabeth Sabaditsch- Wolff an.

Jetzt wird in politischen Kreisen, in Medien und Blogs auch in Österreich heftig darüber diskutiert, ob rechte Politiker, die menschenverachtende Ansichten vertreten, für das Attentat mitverantwortlich zu machen sind. Waren es die Inspirationen aus extremistischen Sprachbildern, war es diese ganze geschlossene Welt aus Hass und Herabwürdigung, die den Attentäter zur Handlung trieben, oder ist er schlicht ein psychisch Kranker, wie es ihn in allen Gesellschaften gibt? Ein Mann, der in eine irreale Welt gekippt ist, die auch aus ganz anderen Versatzstücken hätte gebildet werden können. Eine dritte Position, zu finden bei rechten Bloggern, besteht darin, gleich den Migranten die Schuld daran zu geben, dass man gegen sie losschlagen müsse. Das kennen wir Juden gut, auch wir sind immer dafür verantwortlich gemacht worden, dass man uns vernichten müsse.

Diese letztere Position vertraten auch manche rechten Politiker, die vom Attentat durchaus angetan waren. So fand ein Europa- Abgeordneter der Lega Nord die Ideen Breiviks zu „100 Prozent richtig“ und meinte, dass es die Schuld der „Migranteninvasion“ sei, „wenn diese Ideen in Gewalt gemündet sind“. Jean-Marie Le Pen, Gründer der französischen Front National bezeichnete das Massaker als „Unfall,“ der weniger schlimm sei, als die Naivität der norwegischen Regierung und Gesellschaft.

Die FPÖ hingegen wies alle Zusammenhänge empört von sich, auch wenn Heinz-Christian Strache im Wiener Wahlkampf noch ganz offensiv seine Partei in der Rolle von Kreuzrittern gegen die Türken positioniert hatte.

Im Interview mit NU weist die Sprachwissenschafterin Ruth Wodak (siehe Seite 10) auf eine ähnliche Diskussion in den USA hin. Dort wurde nach einem Attentat auf die Senatorin Gabrielle Giffords darüber diskutiert, inwieweit die Hassreden der Politikerin Sarah Palin die Tat ausgelöst haben könnten.

Diesen Zusammenhang findet auch ein Kommentar der „New York Times“, in dem argumentiert wird, dass Breivik kein Einzelgänger sei. Seine Gewalt wäre in einem ganz speziellen europäischen, dem amerikanischen ähnlichen Umfeld entstanden, das durch wirtschaftlichen Abschwung, Arbeitslosigkeit, Ängste der Mittelklasse und einem hohen Niveau an Einwanderung gekennzeichnet sei. All das diene als Kulisse für das Heraufbeschwören des Gespensts einer muslimischen Übernahme. So würde ein politisches Klima geschaffen, das die Frustrationen zur politischen Rechten kanalisiere.

Wenn also Breivik mit Bestimmtheit ein psychisch instabiler, ein kranker Mensch ist, so lässt sich doch behaupten, dass der Humus für seine Tat in einer sich immer stärker entwickelnden, gesellschaftlichen Grundstimmung zu suchen ist. Es ist die Politik von Rechtsextremen, aber auch von konservativen Kräften, Ausländer als die große Bedrohung zu präsentieren und ihre Entfernung aus unserer Gesellschaft zu fordern oder in Regierungsfunktionen auch zu betreiben.

Vom Verunglimpfen zum Ausweisen, vom Vertreiben bis zum tätlichen Attackieren zieht sich eine gerade Linie. Oder anders: Wo Hetzer sind, finden sich auch Verhetzte. Gerade das hat die jüngere österreichische Geschichte deutlich gezeigt.

Als erfreulich kann gewertet werden, dass die rechtsextremen Parteien in Österreich sich von der Gewalt eindeutig distanzieren. Jetzt fehlte noch, dass sie den Wirrköpfen keinen ideologischen Rückhalt böten. Abrüstung der Worte wäre mehr als gekränkte Rechtfertigung immer dann, wenn sich das Unrecht erhebt.

Ein ganz anderes Klima, eines der Hoffnung, hat der norwegische König Harald V. angeboten, als er sagte: „Ich glaube weiterhin daran, dass die Freiheit stärker ist als die Angst. Ich glaube weiterhin an eine offene norwegische Demokratie und Gesellschaft. Und ich glaube weiterhin an unsere Fähigkeit, in unserem eigenen Land frei und sicher zu leben.“

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