Der wirtschaftspolitische Vater der Tea Party

Der österreichisch-amerikanische Ökonom Ludwig von Mises hat in den 20er-Jahren die Politik des billigen Geldes zum Grundübel der Krisenbekämpfung erklärt. Wie aktuell ist Mises heute, wo Zentralbanken auf der halben Welt die Druckmaschinen auf Anschlag arbeiten lassen?
Von Eva Konzett

Es ist ein feuchtfröhlicher Abend in diesem Herbst 1934. Wie so oft ist der Mises-Kreis im Wirtshaus eingetroffen. Nach der intellektuellen Auseinandersetzung gönnt sich die Truppe nun Bier, Wein und Musik. Der Kreis musiziert gern miteinander, erfreut sich am Wienerlied mit eigenen Texten. An diesem Abend wird jedoch ein Abschiedslied gegeben. Ludwig von Mises, Mittelpunkt des Kreises, wird Wien verlassen und eine Einladung aus Genf annehmen.

Das politische Umfeld lässt ein Bleiben in Österreich nicht zu, der aussichtslose Kampf Mises für Anerkennung in der akademischen Welt hat ihm zugesetzt. Später wird er die Ankunft in Genf „eine Befreiung“ nennen. Eine Heimat kann die Schweiz ihm aber nicht bieten. Mises emigriert 1940 in die USA. Er habe es nicht länger ertragen, „in einem Lande zu leben, das meine Anwesenheit als politische Belastung und Gefährdung seiner Sicherheit empfand“.

Der Ökonom Ludwig von Mieses gilt neben Friedrich von Hayek als der wichtigste Vertreter der wirtschaftsliberalen Österreichischen Schule der Nationalökonomie. 1881 im Lemberg der Monarchie geboren, wächst Mises in Wien auf, wo er auch promoviert. Der Wunsch nach einer Professur bleibt ihm verwehrt – ebenso die Bekanntheit in Österreich. Er arbeitet in der Wiener Handelskammer, gründet das Institut für Konjunkturforschung, hält Privatseminare. Erst in New York wird er die Lehrkanzel besteigen. Er stirbt 1973 ebendort. In Österreich nahezu vergessen, werden in den USA seine Thesen bis heute rezipiert, weiterentwickelt und teils radikalisiert: Die Libertarianern – eine Art marktwirtschaftlicher Anarchisten, die zusehends an Einfluss gewinnen – und die ökonomischen Vision der angrenzenden Tea Party, bauen auf seinen Thesen auf.

Noch in Wien stimmt es Mises todunglücklich, nicht von der Universität berufen zu werden. Die Alma Mater windet sich wegen mehrerer Faktoren, Mises als Kandidaten für einen Lehrstuhl in Betrachtung zu ziehen. Zum einen zeigt sich Mises mitunter schwierig im Umgang, nicht der Mann, „seine Missachtung erfolgreich zu verbergen“, wie Hayek ihn charakterisiert. Außerdem ist Mises jüdischer Herkunft. Und der Antisemitismus in den akademischen Kreisen wächst in der Zwischenkriegszeit. Nicht zuletzt bewegt sich Mises mit seinen Thesen fernab des herrschenden Gedankenguts in der Hauptstadt. Im roten Wien gelten wirtschaftsliberale Theorien als ketzerisch. Er habe, schreibt Mises nach seiner Ankunft in den USA verbittert, ein großer Reformer werden wollen, er sei letztlich aber nur der Geschichtsschreiber des Niedergangs geworden.

Fehlgeleitete Geldpolitik
Mehr als ein halbes Jahrhundert später, Mitte Oktober 2013 steht mit dem Budgetstreit in den USA nicht nur der amerikanische Haushalt, sondern Wohl und Wehe der Weltwirtschaft auf der Kippe. Kurz vor der Eskalation erstreiten Republikaner und Demokraten vorerst eine Einigung. Im Jänner ist die Schuldengrenze wieder ausgereizt. Nicht zum ersten Mal erreicht die größte Volkswirtschaft der Welt dieses Stadium. Fünf Jahre nach Ausbruch der internationalen Finanzund Wirtschaftskrise reflektiert das zähe Ringen im Budgetstreit jedoch die Fragilität der ökonomischen Lage. Noch immer pumpen Notenbanken spottbilliges Geld in die Märkte. Die amerikanische Notenbank Fed hat das Zeitalter der ungewöhnlichen Maßnahmen ausgerufen, in der Europäischen Zentralbank in Frankfurt wird seit 2012 mit der „Bazooka“ geschossen: Die EZB kauft unbegrenzt Staatsanleihen der Krisenstaaten, um die Risikoaufschläge in erträglicher Spanne zu halten. Alles Zeichen, dass die Wirtschaftskrise noch lange nicht ausgestanden ist. Oder werden vielleicht die falschen Kuren angewendet? In seinen geldtheoretischen Schriften der 20er-Jahre beschreibt Mises die Zyklen von Boom und Bust, also Aufschwung und Rezession, als Folge einer fehlgeleiteten Geldpolitik. Billiges Geld und billige Kredite, so glaubt Mises, fördern waghalsige und unrentable Projekte und einen kreditfinanzierten Boom. Eine Krise erfüllt demnach einen Zweck, indem sie Fehlinvestitionen und Preisverzerrungen wieder an die ökonomische Realität angleicht.

Gilt das bis heute? „Mises würde bei dem gegenwärtigen Krisenmanagement die Hände über dem Kopf zusammenschlagen“, sagt Hansjörg Klausinger, Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien. Für Mises läge die Schuld der Krise demnach bei den Zentralbanken und in der Wirtschaftspolitik der Länder, in der Gelddruckerei und den Kapitalspritzen für alles, was als „systemrelevant“ klassifiziert wird. Hier würde die Mises’sche Medizin ansetzen: Keine weitere Ausweitung der Geldmenge, höhere Leitzinsen, eine Rosskur für die ausufernden Haushalte, kein „too big to fail“. „Und dann würde Mises darauf warten, dass das Marktsystem sich selbst regeneriert“. Klausinger schüttelt den Kopf. Er hält wenig von einer derartigen Herangehensweise. „Mises’ Rezeptur ist in größerem Maßstab kaum irgendwo ausprobiert worden. Weder zu seinen Lebzeiten noch heute“, sagt er. Klausinger sitzt in seinem frisch bezogenen Büro im zweiten Gebäude der neuen Wirtschaftsuniversität. In der Ecke stehen noch Umzugskisten, draußen schlendern Studentengrüppchen. „Wissen, Sie“, holt der Professor aus, „die Marktwirtschaft kann mit vielen Störungen umgehen und sich reorganisieren. Es gibt aber ein Ausmaß an Störungen, wo man die Wirtschaft sich nicht selbst überlassen darf, um die notwendigen Anpassungen vorzunehmen.“ Klausinger lässt wenig Zweifel daran, dass gegenwärtig letzteres Szenario eingetreten ist. Keine Interventionen „hieße nun, die Banken zusammenbrechen lassen. Mit allen Konsequenzen“, erklärt der Professor. Welche Konsequenzen? „Schlussendlich der Niedergang.“

Kritik an Sozialismus
Barbara Kolm, Leiterin des Hayek- Instituts in Wien und vehemente Verfechterin des Wirtschaftsliberalismus, kann den Thesen von Mises naturgemäß mehr abgewinnen. „Hochaktuell“ nennt sie seine Kritik an Sozialismus und zentral gelenkter Planwirtschaft, die sie in den Maßnahmen und Regulierungen Brüssels wiederzuerkennen glaubt. Sie hat in ihr Institut eingeladen, das sich in der Grünangergasse im ersten Bezirk befindet. Nur wenige Häuserzeilen entfernt haben die Mises-Schüler an jenem Herbstabend 1934 den Professor verabschiedet. Heute drehte sich der Ökonom „im Grabe um, würde Mises etwa von den Überlegungen zur Bankenunion erfahren“, ist Kolm sich sicher, „vor allem, weil all diese Rezepturen in der Vergangenheit nicht geholfen haben“. „Er hätte hier Sozialismus gewittert“, meint sie – und das sei es schließlich auch. Linke Tendenzen auszumachen, das wäre an sich für Mises nichts Ungewöhnliches: Den Sozialismus sah er eigentlich überall. In Wien sowieso, in der amerikanischen Wirtschaftspolitik Keynes’scher Prägung auch. Selbst seine Kollegen von der von Hayek gegründeten Mont Pelerin Society, nannte er im Streit „Sozialisten“. Und das war als Schimpfwort gemeint. Doch nicht nur ideologisch stemmte sich der liberale Gralshüter gegen den Sozialismus, er rückte ihm auch theoretisch zu Leibe. Seine 1922 publizierte Schrift Die Gemeinwirtschaft beschreibt zum ersten Mal den eklatanten Mangel der Planwirtschaft: Ohne Angebot und Nachfrage, die in Preise übersetzt werden, könnten Ressourcenmängel und Überfluss nicht angezeigt werden. Die Folge: Es wird nicht bedarfsgerecht produziert. Die Mises-Schrift ist die erste Frontalattacke gegen ein System, das damals auch im wissenschaftlichen Betrieb noch durchaus Sympathien erweckte. Heute stellt diese Grundlagenkritik an der Planwirtschaft kaum jemand mehr in Frage. Mises hat neben Hayek viel dazu beigetragen, das sozialistische Wirtschaftssystem zu entzaubern. Und ist damit Mainstream geworden.

Doch auch in den Nischen bleibt die Weltsicht des Ökonomen erhalten. Neben den Libertarianern beruft sich auch die Tea-Party-Bewegung immer wieder auf ihn. Das Mauern dieser Bewegung, die innerhalb der Republikaner großen Zulauf genießt und die auch von Libertarianern unterstützt wird, hat den Budgetstreit maßgeblich beeinflusst. Man gibt sich wirtschaftspolitisch ultraliberal und gesellschaftspolitisch stockkonservativ. Im Eigenverständnis gibt man den wahren Amerikaner. Eine politische Heimat für Mises? „Er würde darauf verweisen, dass Rahmenbedingungen und der Rechtsstaat Voraussetzungen für eine funktionierende Wirtschaft sind“, meint Kolm. Dass manch ein Tea-Party-Anhänger selbst die Privatisierung des Steuerwesens fordert, ginge wohl auch dem österreichischen Liberalen zu weit. Für die ideologischen Ausflüge der Bewegung, Stichwort Waffen, Abtreibung und Homosexualität würde sich Mises vermutlich nicht interessieren und auf die individuelle Freiheit verweisen. Mit dem wirtschaftspolitischen Programm der Tea Party, inklusive Steuersenkungen, strikte Sanierung des Staatshaushaltes, Aufhebung der Gesundheitsreform, Beschneidung der Macht der Bundesregierung sowie Rückkehr zum Goldstandard, käme er aber gut zurecht. Auch Professor Klausinger erkennt die Handschrift Mises in der Tea Party: „Diese Bewegung ist sicher von einem spezifischen Liberalismus geprägt, der in seiner Radikalität Mises viel zu verdanken hat“. Mises würde in der Tea Party in Wirtschaftsfragen wohl Liberale auf Augenhöhe finden. Und auf manch einen stoßen, der noch radikaler gesinnt ist als er selbst. Klausinger: „Auch wenn das schwer vorstellbar ist.“

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