Der Talmund als Wertanlage

Rituelle jüdische Gegenstände als Kunstinvestition? Ein lukrativer Nischenmarkt für Kenner – und mit manchen Fragezeichen versehen.
VON EVA KONZETT

Rekordzuschlag: 8,5 Millionen Euro für „Gutenberg-Bibel des Judentums“

 

Rekorde machen keinen großen Lärm – zumindest nicht hier, in den Sälen des Auktionshauses Sotheby´s in New York. Ein dumpfer Schlag auf das Pult, verhaltener Applaus, nachdem der Auktionator ein letztes Mal zum Angebot aufgerufen hat. Schon verschwindet der jahrhundertealte Bomberg-Talmud, projizieren die Mitarbeiter ein neues Bild an die Wand, rattert der Auktionator neue Kennzahlen ins Publikum.

Doch trotz der Routine im Auktionshaus bleibt an diesem Dezembertag 2015 ein Raunen im Raum. 8,5 Millionen Euro hat Medienberichten zufolge der amerikanische Unternehmer und Kunstsammler Leon Black für diese Gesamtausgabe des Heiligen Buches geboten, die zwischen 1519 und 1523 vom Buchdrucker Daniel Bomberg in Venedig angefertigt wurde und die man als „Gutenberg-Bibel des Judentums“ handelt. Ein Höchstergebnis, eine Seltenheit hier in der 1334 York Avenue, Manhattan, dem Hauptsitz des Auktionshauses. Der 3500 Seiten starke babylonische Talmud, einst für das Studium der heiligen Schrift gedacht, ist angekommen im Spiel von Angebot und Nachfrage, zwischen Täfelchen und Telefonbietern. Mit großem Erfolg zudem: Nie zuvor hat ein Judaika einen höheren Wert erzielt. Zum ersten, zum zweiten. Rekordzuschlag.

Eine Seltenheit: Jüdische Bücher und Manuskripte

Der Markt für Judaika, also religiöse Kunstwerke des Judentums, ist eine Nische. Nur rund 700 private jüdische Sammler gibt es weltweit, schätzen Experten. Dazu kommen Museen und in der absoluten Minderheit nichtjüdische Interessenten. Doch so eingeschränkt der Markt sein mag, so manche Tücke er haben kann, es tut sich was bei den handgeschriebenen Schriften, den Chanukka-Leuchtern aus Silber und den Thora-Schildern. In Übersee, aber auch in Europa. „Es sind schöne Steigerungsstufen zu erzielen“, sagt Georg Ludwigstorff, Silberexperte im Dorotheum gegenüber dem Wirtschaftsblatt im Oktober. Dabei gilt eine goldene Regel: Der Markt für „kleinere“ Objekte, wie sie Ludwigstorff nennt – also beispielsweise Thorazeiger – ist in sich zusammengebrochen. Es gebe einfach „zu viele Fälschungen“.

Ausgerechnet der Antisemitismus und nicht zuletzt die Nationalsozialisten haben dazu beigetragen, dass jüdisch-religiöse Kunstwerke und Schriften (Hebraika) heute zu lukrativen Sammlerstücken aufgestiegen sind. Zahlreiche Werke, welche die Pogrome die Jahrhunderte zuvor überstanden hatten, gingen schlussendlich in Barbarei der Nationalsozialisten unter, Judaika wurden zerstört oder ihre Besitzer ließen sie einschmelzen – um die Spuren des jüdischen Lebens aus ihrem Alltag zu tilgen oder weil sie das Silber und Gold gezwungenermaßen zu Geld machen mussten. Zuvor hatten schon die Emigration der Juden aus Osteuropa in Richtung Westen und nach Amerika und die damit verbundenen Assimilierungstendenzen die Bedeutung der Judaika innerhalb der Gemeinden zurückgedrängt. „Jüdische Bücher und Manuskripte sind sehr selten. Sie wurden verbrannt, zerstört und nur wenige haben aus der frühen Zeit überlebt“, sagt David Redden, Vizepräsident von Sotheby‘s vor der letzten Judaika-Auktion gegenüber der Nachrichtenagentur Associated Press. Es seien schlichtweg Überlebende, die nun zum Verkauf gelangten.

Und sie haben ihren Preis: Rabbinische Manuskripte oder Drucke aus der Vorkriegszeit, rituelle jüdische Gegenstände sind knapp und Rarität seit jeher eine fruchtbare Basis für ein gutes Geschäft.

Doch darf man rituelle Gegenstände überhaupt kommerzialisieren? Im Jüdischen Museum Wien sieht man die Sache kritisch. Zum einen stammen viele Judaika aus zerstörten Synagogen, es stellt sich also durchaus die Frage nach der Provenienz. Zum anderen treibt das Interesse privater Sammler die Preise nach oben und „die öffentlichen Institutionen kommen einfach nicht mehr mit“, sagt die Direktorin Danielle Spera. Anstatt der Öffentlichkeit zugänglich zu sein, verschwänden die Objekte dann zweckentfremdet zu Prestigezwecken hinter privaten Wänden, klagt sie.

Greenstein: Einer der besten Judaika-Kenner

Damit hat Jonathan Greenstein kein großes Problem, er lebt schließlich davon. Der heute 49-jährige Amerikaner war ein Jugendlicher, als er das erste Mal mit Judaika in Berührung kam. In der jüdischen Schule in Brooklyn hatte er sich nicht zu benehmen gewusst, flog raus und musste bei einem Antiquitätenhändler in der Nachbarschaft anheuern. Der hatte alle Hände voll zu tun: Die 1970er- Jahre waren für den Tandler keine schlechte Zeit. Täglich schleppten die Kundschaften ihre Silberschmuckstücke beim Alten an, seit Spekulanten den Silberpreis nach oben trieben. „Selbst die jüdischen Mütterlein kamen, um ihre Kiddusch-Becher einzulösen“, erinnert sich Greenstein. Der Antiquitätenhändler aber, zwar kein Jude, aber ein gläubiger Mann, brachte es irgendwann nicht mehr über das Herz, all die religiösen Objekte einzuschmelzen und begann Jonathan in Judaika-Naturalien auszubezahlen. Heute führt Greenstein das einzige auf rituelle jüdische Gegenstände spezialisierte Auktionshaus in den USA und gilt als einer der besten Kenner der Welt. Wer sich für Judaika interessiert, kommt an Greenstein nicht vorbei.

Doch wie hat sich der Markt für Judaika geändert? Und wer spielt überhaupt mit? „Wir sehen vor allem in den USA ein wachsendes Interesse junger Sammler an dieser Kunst“, erklärt Greenstein. Oft haben diese jüdische Wurzeln, üben die Religion aber nicht mehr aus. „Sie wollen diese Gegenstände nicht für religiöse Zwecke, sondern aus Spiritualität in der Wohnung haben“, sagt Greenstein. Dann steht die Menora eben als Blickfang im aufgeräumten Backsteinloft. Im etwas höheren Preissegment mache sich indes die neuerwachte Sammelleidenschaft der Museen bemerkbar. Das Boston Museum of Fine Arts beispielsweise baut seit 2013 eine Judaika-Sammlung auf, ähnlich das North Carolina Museum of Art in Raleigh. Beide Museen bildeten ihren Grundstein an Judaika mit privaten Sammlungen. In letzterem Falle griffen die Kuratoren bei Sotheby’s in New York zu, als das Auktionshaus im April 2013 die Privatsammlung des amerikanischen Investmentbankers Michael Steinhardt und seiner Frau Judy veräußerte. Die Steinhardt-Sammlung galt als eine der umfassendsten und fundiertesten Judaika-Sammlungen der Welt, was sich im Erlös von 8,5 Millionen Dollar niederschlug. Vielleicht hätte die Sammlung noch mehr erlöst, wäre im Vorfeld nicht ein Objekt von der Auktion zurückgezogen worden, da es aus Wien stammte und die Provenienz nicht gesichert war.

In Steinhardt-Preisklassen bewegen sich indes nur eine Handvoll nichtinstitutioneller Sammler. Greenstein schätzt, dass fünfzehn Privatpersonen willens wären, mehr als 100.000 Dollar für eine Judaika-Rarität auszugeben, die meisten kommen aus den USA, Israel und den Ländern der ehemaligen UdSSR. Das kostbarste Stück, das Greenstein selbst versteigerte, stammte aus Deutschland: Für 100.000 Dollar brachte er zwei Rimmonim, also die Aufsätze der Thorarolle, weg, die deutsche Handwerker 1790 gefertigt hatten.

Doch nicht immer verschwinden die Gegenstände privater Sammlungen aus der Öffentlichkeit. Das Jüdische Museum Wien hat einen wesentlichen Teil der eigenen Judaika-Sammlung auf der Sammlung Berger aufgebaut. Max Berger, in Polen geboren, hatte als Einziger seiner Familie die Schoah überlebt und nach dem Krieg in Wien begonnen, Judaika zu erwerben – zu einer Zeit, als sich kaum jemand für die Objekte interessierte und die Preise nicht annähernd so hoch waren wie heute. Dass seine Objekte jetzt im Museum stehen können, hat aber nichts mit dem ohnehin geringen Budget des Jüdischen Museums zu tun, das solche Ankäufe nicht erlauben würde. Berger selbst hat es so verfügt und seine Judaika-Sammlung der Stadt Wien hinterlassen, die sie im Jüdischen Museum aufbewahrt, ausstellt und somit der Öffentlichkeit zugänglich macht.

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