Wer sind die kleinen Geschäftsleute, die das jüdische Handwerk in Wien weiterleben lassen? NU startet eine neue Serie, in der diese Menschen porträtiert werden. Erster Teil: Der Schuster David Malajev in der Josefstadt.
Von Peter Menasse und Peter Rigaud (Fotos)
In Buchara waren die Juden stets die Handwerker. David Malajev weiß das von den Altvorderen, die dort noch aufgewachsen sind und Ende der 1970er Jahre nach Österreich kamen. Alle miteinander sind sie nach Wien gezogen, denn sie sind ein Clan, eine eng verbundene Familie. So nimmt es auch nicht Wunder, dass David Schuhmacher geworden ist. Schon sein Großvater war Schuhmacher, ebenso sein Vater und mit geringem Risiko kann man darauf wetten, dass auch sein zweijähriger Sohn bei den Leisten bleiben wird.
Wer den Laden in der Lange Gasse 78, direkt an der Station der Straßenbahnlinie 5, betritt, wird überrascht sein, einen ganz jungen, vor kurzem erst im Erwachsenenalter angekommenen Mann vor sich zu sehen. Der Meister der Schuhe ist gerade mal 24 Jahre alt und verfügt doch schon über eine profunde Ausbildung und meisterhafte Überzeugungskraft. Wer da wieder hinausgeht, ohne etwas gekauft zu haben, und seien es nur ein paar Schuhbänder, muss unbändig resistent gegen Redetalent und Charme sein.
Seine Lehrjahre hat David zuerst bei der Firma „bständig“ verbracht, wo er zum Orthopädie-Techniker ausgebildet wurde, anschließend lernte er am WIFI das Handwerk des Schusters und machte sich sofort danach selbstständig. Alles scheint besonders schnell zu gehen bei David Malajev. Mit 21 Jahren war er verheiratet, führte ein Geschäft und wurde bald darauf Vater. Anfangs half seine Frau noch mit, aber seit ihrer Karenz muss er den Laden alleine schupfen. Auch das macht er fix und pragmatisch. Um sechs Uhr beginnt er damit, die Reparaturen zu erledigen, bald nach acht sperrt er auf und pendelt bis zum Abend zwischen Verkaufslokal und angrenzender Werkstatt. Wenn er dann um zwei Uhr am Nachmittag alle Halbsohlen, Absätze und Fersenfutter appliziert hat, kann er sich in Ruhe den Kunden widmen. „Die meisten Kunden kommen schon automatisch am Nachmittag, weil sie wissen, dass ich mir dann mehr Zeit für sie nehmen kann“, erzählt er über einen gelungenen Erziehungsprozess. „Die Leute kommen ja meistens in ein Geschäft, um zu plaudern. Das geht mir und meinen Nachbarn gleich, ob Schneider, Obsthändler oder Fotograf. Wir müssen therapeutisch veranlagt sein, das ist ganz normal und man gewöhnt sich daran mit der Zeit.“
Während dieser Therapieminuten am Nachmittag findet jeder der Kunden irgendetwas Nützliches beim Schuhmacher Malajev. Er ist einer der letzten, wenn nicht überhaupt der letzte Schuhmacher in Wien, der nicht nur handgemachte Herrenschuhe verkauft und alle Arten von Schusterarbeiten durchführt, sondern auch Zubehör vertreibt. Was viele heutzutage in den Drogerien oder bei den Schlüsseldiensten einkaufen, gibt es bei Malajev in bester Qualität und, wie er besonders betont, mit Fachberatung. „Es gibt ja verschiedenes Zubehör, passend für Lackschuhe, Glattlederschuhe oder Raulederschuhe. Da muss man schon das Richtige verwenden. Und zu mir kommen halt Menschen, die ihre Schuhe lieben und sie einmal in der Woche allesamt durchputzen. Die kriegen von mir dann nützliche Tipps.“ Er selbst gibt sich mit dem einmal erworbenen Wissen auch nicht zufrieden und besucht regelmäßig Kurse zu Materialkunde.
Während wir plaudern, betritt ein Mann das Geschäft und beginnt, Plastikringe zum Markieren seiner Schlüssel auszuwählen. Er lässt sich zehn große runde, und zehn ovale und zehn kleine runde weglegen und gustiert bei den Farben. David, der Ungeduldige, hat plötzlich alle Zeit der Welt, gibt Anregungen und berät. Schließlich verlässt der Mann mit dem wohl größten Schlüsselbund der Stadt zufrieden das Geschäft.
Ein anderer Kunde, der sich Ratschläge für die Pflege seiner schwarzen Schuhe geben lässt, erfährt, dass schwarze Schuhpasta meist mit Erde abgemischt ist und daher das Leder austrocknet, also farblose Creme angesagt ist.
Für seine Kunden ist David auch zu Kompromissen bereit. Wohl hängt am großen Kasten mit seinen vielen Fächern zum Ausstellen der handgemachten Schuhe ein jüdischer Kalender, aber zu Weihnachten hat er dennoch für seine Klientel einen Adventkalender in das Schaufenster gehängt. „In jedem Fenster“, berichtet er stolz über diese Geschäftsidee, „gab es ein kleines Geschenk aus meinem Repertoire, das der erste Kunde am Tag mitnehmen durfte.“
Der junge Schuhmacher ist sich nicht zu gut dafür, selbst das Geschäft aufzuwaschen und zu putzen. Wenn er über seine Familie erzählt, lässt sich erahnen, aus welch armen Verhältnissen die Bucharen kommen. Die Mutter seines Vaters ist 1970 nach der Geburt ihres sechsten Kindes an Typhus gestorben.
David sagt dazu: „Das war damals eine schwierige Krankheit, gegen die man in Usbekistan nicht wirklich etwas machen konnte.“ Davids Großvater wollte diese Verhältnisse hinter sich lassen und die ältesten Söhne rasch verheiraten. So brach die ganze Familie bald in Richtung Israel auf. Wien war die übliche Zwischenstation und muss dem ältesten Sohn, Davids Onkel, so gut gefallen haben, dass er kurz nach seiner Hochzeit auf Dauer zurückkam. Nach und nach folgten die jüngeren Geschwister seinem Vorbild und verließen Israel. Heute leben sechs Zweige der Großfamilie Malajev gemeinsam in einem Wohnhaus im achten Bezirk.
David fliegt einmal im Jahr nach Israel, um die Familie seiner Mutter zu besuchen und weil er das Land liebt. „Ich habe zu meiner Frau vor unserer Hochzeit gesagt, dass sie darauf gefasst sein muss, dass wir irgendwann einmal unsere Sachen packen und nach Israel fliegen. Wir fliegen dann einfach heim.“ In Österreich, betont er, fühle er sich wirklich zu Hause, aber irgendwie habe er das Gefühl, in Israel seine Wurzeln zu haben.
Usbekistan hat er noch nie gesehen. Er wisse nur von seinem Vater, der regelmäßig das Grab seiner vor fast vierzig Jahren verstorbenen Mutter besucht, dass sich alles radikal geändert habe und er ihm, David, daher gar nicht zeigen könne, wie es seinerzeit gewesen ist. Die Juden hätten sich damals leicht durchsetzen können, meint David, denn sie wären die Handwerker gewesen. „Essen und Geld hatten die Moslems genug, aber keine geschickten Handwerker. Unsere Frauen haben genäht und die Männer die Schuhe repariert. Das ist ja kein so sonniges Land, wie zum Beispiel Israel, wo man Sandalen oder Flipflops trägt. Nein, dort hat man Schuhe reparieren müssen, so einfach war das.“
Auf die Frage, ob denn gar keine Juden mehr in Buchara lebten, meint David, dass nur mehr die Unflexiblen zurückgeblieben seien. Und man merkt ihm an, dass er für eine solche mangelnde Initiative gar kein Verständnis aufbringen kann. Er selber ist schon wieder an etwas Neuem dran. Ein Verwandter will dem rastlosen jungen Mann das Gewerbe des Immobilienmaklers beibringen. Die Schuhe aber werden ihn sicherlich noch nicht so schnell auslassen, gehen doch die Malajevs seit vielen Generationen wohl besohlt auf dem goldenen Boden dieses Familienhandwerks, das alle brauchen in den kalten Ländern, Moslems, Juden, Christen und Agnostiker.
Schuhmacher David Malajev
Lange Gasse 78, 1080 Wien/Ecke Alserstraße
Öffnungszeiten:
Mo.–Fr. 8:15 bis 13:00 und 14:00 bis 18:00 Uhr, Sa. 9:15 bis 12:00 Uhr
Angebot:
Handgemachte Schuhe, Reparaturen, Zubehör, Schlüssel, Accessoires
Ausgewählte Preise, Stand März 2009
Damen-Gummiabsätze von 8,50 bis 12,50 Euro
Damen-Metallabsätze von 12,50 bis 14,50 Euro
Herren-Gummiabsätze von 12,50 bis 15,00 Euro
Herren-Lederabsätze von 15,00 bis 18,50 Euro
Halbsohlen aus Leder / Damen 25,00 Euro, Herren 30,00 Euro
Halbsohlen aus Gummi / Damen 19,00 Euro, Herren 22,00 Euro
Schutzsohlen / Damen 22,00 Euro, Herren 25,00 Euro
Fersenfutter / Damen 12,00 Euro, Herren 13,00 Euro
Spitzen / Damen 9,50 Euro, Herren 10,50 Euro
Dehnen Schuhe 8,00 Euro
Zippverschluss einnähen je cm 0,60 bis 1,00 Euro