Der Optimist

Danny Wieler schildert im NU-Interview die Fortschritte zwischen jungen Arabern und Juden in Israel. Der Vizedirektor von „Givat Haviva“ betont auch, warum es wichtig ist zu zeigen, dass sich Juden im Holocaust gewehrt haben. Und er erklärt, warum der Kibbuz lebt.
Von Rainer Nowak

Die Entwicklung des Kibbuz? Danny Wieler ist überrascht. „Das hat mich heute noch kein Journalist gefragt.“ Eigentlich schon sehr lange nicht. Dabei lebt der Vizedirektor der israelischen Friedensbewegung „Givat Haviva“, die sich um den Dialog zwischen Israelis und Palästinensern bemüht, schon sehr lange in einem Kibbuz. Und normalerweise spricht der gebürtige Schweizer über diese schwierige Annäherung oder über die zweite große Aufgabe seiner Organisation, nämlich Vermittlung des und Information über den Holocaust für junge Israelis. Aber er rede als begeisterter Kibbuzim auch gerne über die angebliche Krise der israelischen Kollektiv-Gemeinden. Ja, es stimme, dass dem Kibbuz die eigentlichen Aufgaben abhanden gekommen seien. Sowohl die Wahrung der Sicherheit des Landes als auch die wirtschaftliche Urbarmachung seien zumindest großteils von Staat beziehungsweise Wirtschaft übernommen worden. In den Anfangsjahren des Landes hatte der Kibbuz diese zentralen Aufgaben übernommen. Ob nicht auch die ideologische Grundidee des solidarischen Kollektivs verschwunden sei? Wieler stimmt dieser These nur teilweise zu. Natürlich gehe es heute vielen vor allem um das Stillen individueller kommerzieller Wünsche, aber der Kibbuz müsse sich eben auch verändern. Manche seien radikal privatisiert und zu modernen Unternehmen umgebaut worden, sein eigener Kibbuz habe leichte Veränderungen vollzogen, die die Mitglieder – so auch ihn – zu Beginn wenig begeisterten, aber später eben funktionierten. So sei aus der Kibbuz-Kantine und Proviant-Station ein normales Restaurant geworden, in dem jeder auch bezahlen müsse. Alleine der Brotverbrauch sei enorm zurückgegangen. Warum? „Weil früher jeder einfach so viel Brot nahm, wie er wollte, und es dann notfalls wegwarf, heute kauft jeder so viel er braucht. Und früher nahm jeder so viel Freunde und Gäste von außerhalb des Kibbuz mit, wie er wollte, heute muss er dafür eben auch bezahlen“, schildert Wieler. Also eine ganz normale Entwicklung? Wieler lächelt und gibt zu verstehen, dass es im Kibbuz schon noch um mehr gehe. Um eine ordentliche Dosis Idealismus nämlich. Und Optimismus. Das muss bei Wieler, der auf Anfrage auch gut gelaunt Sätze in perfektem, natürlich völlig unverständlichem, Schweizerdeutsch zum Besten gibt, der zentrale Antrieb sein. Hört man ihm zu, wird Frieden zwischen Palästinensern und Israelis plötzlich viel wahrscheinlicher, als es die Nachrichten der vergangenen Monate nahe legen würden. Wieler berichtet begeistert von dem Erfolg seines Projektes Crossing Borders. In dem alle zwei Monate erscheinenden englischsprachigen Magazin schreiben in erster Linie jüdische und arabische Jugendliche aus Israel, den Palästinenser-Gebieten und Jordanien über ihre Hoffnungen, Ideen und Forderungen für ein gemeinsames Zusammenleben. In der vergangenen Ausgabe von Mai/Juni war ein Tenor der Beiträge, dass die Europäische Union nicht zuletzt eine stärkere und vor allem klarere Rolle übernehmen müsste. Wieler ist überzeugt davon, dass in der Region dauerhafter Frieden einmal möglich sein wird. „Wir leben im Nahen Osten. Wir haben ein Patent auf Wunder.“ Die aktuelle Lage beschreibt er mit einem alten chinesischen Zitat: „Ich lebe in interessanten Zeiten. Nur manchmal wünschte ich, sie wären nicht so interessant.“ Dass Israels Regierung Mitte August damit beginnen will, die jüdischen Siedlungen im Gazastreifen zu räumen, ist für Wieler ein erster Schritt in die richtige Richtung. Doch er könne auch Verständnis für die Siedler aufbringen: „Politisch ist der Abzug richtig, menschlich ist er ein Riesenproblem“, meint der Friedensaktivist. „Viele müssen jetzt Häuser verlassen, in denen sie schon seit 30 Jahren leben. Ihre Verwandten sind dort begraben – oft Menschen, die bei Terroranschlägen umgekommen sind. Jetzt haben sie das Gefühl, als würden Angehörige ein zweites Mal ermordet.“ Für Wieler liegt die Verantwortung für die schlechte Situation ganz klar bei einer Person, bei Israels Premier Ariel Sharon: „Sharon hat sie ermuntert, als Pioniere in den Gazastreifen zu gehen. Jetzt sagt er: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan.“ Im Gegensatz zu vielen seiner Landsleute übt Wieler Kritik an jener Barriere, die Israel im Westjordanland errichtet hat. Sie habe den Terror zwar eingedämmt, sie hätte jedoch entlang „der grünen Linie“, der Grenze von 1967, gezogen werden müssen. „Der jetzige Verlauf rund um Jerusalem ist inakzeptabel.“ Wieler kann sich vorstellen, dass Israel große Siedlungen im Westjordanland behält, aber nur im Rahmen eines Gebietsaustausches mit den Palästinensern. Nach Wien gekommen ist Wieler Anfang Juni anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Women in the Holocaust – Frauen im Widerstand“. Erstellt wurde die Wanderausstellung vom Moreshet-Holocaust-Zentrum in Israel, das Wielers „Givat Haviva“ gehört. Nach Israel, den USA und Kanada ist sie erstmals in Europa zu sehen. „Der Holocaust und der Zweite Weltkrieg ist bisher nie aus der Sicht der Frauen gezeigt worden“, sagte Wieler bei der Eröffnung. Die Judenverfolgung aus diesem neuen Blickwinkel zu sehen, ist einer der vielen Projekte, die die Organisation durchführt. Die Vermittlung des Holocaust, die in Israel selbstverständlich zentraler Schwerpunkt im Schulunterricht ist, wird schwieriger, schildert Wieler. Noch gebe es zum Glück Zeitzeugen, die den Jungen ihre schrecklichen Erlebnisse erzählen. Aber man müsse sich auf die Zeit ohne lebende Zeugen vorbereiten. Wichtig sei dabei, jungen Israelis aber natürlich auch Schülern in allen anderen Ländern die Möglichkeit zu geben, selbst an Hand von alten Dokumenten Lebens- und Leidensgeschichten zu recherchieren. „In unserem Archiv haben wir etwa Tagebücher, die die Zeit lebendig machen“, erzählt Wieler. Wichtig sei ihm, die Darstellung zurechtzurücken, Juden seien wie die Lämmer zur Schlachtbank geführt worden. „Es hat sehr viel Widerstand gegeben, auf ganz unterschiedliche Weise, entweder offen oder eben nur versteckt im Kleinen“ wie auch die Frauen-Ausstellung im Nestroyhof zeige. „Das ist wichtig“, sagt Wieler. Denn gerade viele junge Israelis hätten lange nicht verstanden, warum sich die Generation ihrer Großeltern nicht gewehrt habe. Zudem würden erst in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren die Holocaust-Überlebenden über die damalige Zeit erzählen, „lange haben sie geschwiegen“, fast wie die Täter auf der anderen Seite. Nun gebe es damit neue wichtige Erzählungen und Schilderungen. So bleibe die Zeit lebendig, meint Wieler. Und wieder schwingt in seiner Stimme dieser Optimismus mit.

Die mobile Version verlassen