Der emontionale Schlussstrich?

Vor zehn Jahren nahm die Österreichische Historikerkommission ihre Arbeit auf, vor fünf Jahren legte sie ihren Schlussbericht vor. Damit wurde auch ein Kapitel Zeitgeschichte geschrieben. Über das sonderbare Desinteresse am Thema Vergangenheitsbewältigung.
Eine Analyse von Rainer Nowak

Würde man eine Meinungsumfrage in Auftrag geben, ob Österreich alle jüdischen Opfer ausreichend für geraubte Vermögenswerte entschädigt habe, die Antwort wäre klar. Auch die Frage, ob historisch, politisch und moralisch nun alles aufgearbeitet wäre und „bewältigt“ wäre, würde eine klare einheitliche Meinung zeigen. Nur die ungeschickte Formulierung, ob der immer wieder zitierte Schlussstrich für alle Ewigkeiten gezogen sei, würde vielleicht eine vorsichtigere Reaktion bringen. Zu häufig wurde der Schlussstrich von den Rechts- Außen-Vertretern verwendet, und an denen will man schließlich auch nicht anstreifen, jetzt wo alles erledigt ist, nicht?

Das Problem dabei: Eine solche Umfrage würde zwar eindeutige Ergebnisse bringen: Ja, es ist alles entschädigt, getan und erledigt. Österreich war spät, aber doch fair zu den Opfern, jetzt wenden wir uns der Zukunft zu und wenn wir irgendeinen Gedenktag haben, dann schauen wir kurz betroffen, dann geht er auch vorbei. Aber eine solche Umfrage würde dieser Tage gar nicht erst in Auftrag gegeben, weil sich kaum wer für die Antworten interessiert, zumal sie so vorhersehbar sind. Und obwohl sie falsch sind. Denn zahlreiche jüdische Opfer warten noch immer auf ihre Entschädigungen aus dem „General Settlement Fund“, die – soviel steht bereits fest – nur einen Teil ihrer Ansprüche abdecken werden können. Noch immer gibt es offene – finanziell kleinliche – Punkte, die offene Renovierung und Erhaltung der jüdischen Friedhöfe. Noch immer wird über Kunstwerke gestritten, deren Provenienz weniger zweifelhaft ist, wie es in den Medien so schön heißt, sondern einfach jüdisch. Und deren heutiger Besitzer – wie etwa Sammler Rudolf Leopold – sich so verhält wie viele Österreicher in solchen Fragen in früheren Jahren: Er habe niemandem etwas geraubt, er habe nichts getan, sondern immer nur gutgläubig gekauft. Natürlich, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schiele einst jüdische Besitzer hatte, ist unter Kunstkennern auch kaum berechenbar …

Dass er sein Museum mit Steuermitteln finanzieren lassen konnte, macht ihn in dieser Frage keinen Millimeter sensibler. Längst haben vergleichsweise unbekannte Oppositionspolitiker ihre Profilierungschance entdeckt und fordern die Regierung auf, endlich etwas in Sachen Gerechtigkeit für jüdische NS-Opfer zu unternehmen. Ganz so, als hätte es nie ein Washingtoner Abkommen gegeben. Also alles wie immer und alles nicht sehr gut, mit Österreichs historischer Selbstreflexion und Vergangenheitsbewältigung. Ja und nein.

Kleine Rückblende: Wir schreiben das Jahr 1998, gegen Schweizer und österreichische Unternehmen, aber auch den Staat selbst, wurden Klagen vor US-Gerichten eingebracht. Ein ungeheuerlicher Vorwurf gegen Österreich steht im Raum, der dank der Diskussionen durch den Fall Waldheim über die angebliche Opferrolle Österreichs im NS-Regime sehr plausibel klingt: Tausende Österreicher, Private, Unternehmer und öffentliche Institutionen, hatten beim Raubzug gegen ihre jüdischen Mitbürger gierig mitgemacht und sich nach 1945 geweigert, sich vom lieb gewonnenen Raubgut wieder zu trennen. Tausende waren durch die Verfolgung und den Tod jüdischer Familien über Nacht wohlhabend geworden. Nazis waren sie nicht alle, Räuber, Diebe und Hehler schon. Das wussten auch die politischen Führer nach 1945, die Entschädigungen für entzogenes Vermögen, wie es euphemistisch hieß, wurden nur stockend bis überhaupt nicht gezahlt. Erst war es so weit: Die Regierung Klima, die nicht wirklich wusste, wie man mit dem Thema, den Sammelklagen und den Vorwürfen umgehen sollte, erinnerte sich zumindest an die mutigen Worte des Vorgängers Franz Vranitzky, der sich für die Mitschuld Österreichs entschuldigt hatte, und berief eine Historikerkommission unter dem Vorsitz von Clemens Jabloner ein, Präsident des Verwaltungsgerichtshofes, der mit dem Historiker Robert Knight einen internationalen Forscher mit kritischem Verhältnis zu Österreich beruft. Es war Knight gewesen, der in den Ministerratsprotokollen der Nachkriegszeit den legendären Satz des damaligen Innenministers Rudolf Helmer gefunden hatte, der die Restitutionsfälle lieber in die Länge gezogen hätte. Mit Erfolg übrigens.

Fünf Jahre später, Österreich, mittlerweile unter Führung einer schwarz-blauen, später schwarzorangen Regierung, hatte sich mit den meisten Opferorganisationen und den USA auf einen komplizierten Entschädigungsmodus im Washingtoner Abkommen geeinigt, legt die Kommission ihren Abschlussbericht vor: 49 Bände, 17.000 Seiten von insgesamt 160 Wissenschaftern ergeben eine detaillierte Dokumentation über NSRaub und die lange Verzögerung der Restitution bzw. Entschädigung. Schon im Jahr der Präsentation herrscht nicht mehr jenes breite Interesse der Medien und der Öffentlichkeit wie ein paar Jahre zuvor. Heute scheint es manchmal fast erloschen. War die Kommission und die gefundenen Entschädigungslösungen doch der Schlussstrich, vor dem alle warnten? „Nein, das war sie sicher nicht. Aber man darf nicht vergessen, dass es eine wissenschaftliche Aufarbeitung war. Und dort hat sich enorm viel getan“, sagt Jabloner heute, fünf Jahre später. Es gebe einfach mehrere Ebenen, die der Wissenschaft, dort sei der Erfolg des größten wissenschaftlichen Einzelprojekts Österreichs unbestritten, das ist ein Fortschritt der Eliten. Dann wäre da noch die der allgemeinen öffentlichen Einstellung, die Jabloner am Antisemitismus festmacht: „Der war früher auch in zwei Institutionen in Österreich stark: in der Kirche und an den Unis. An beiden ist der de facto verschwunden, das ist ein gutes Zeichen.“ Ja, es gebe natürlich noch ewig gestrige und antisemitische Postings in Zeitungssites. Dass es noch Fälle wie die Kunstrestitution gebe, zeige auch, dass von Schlussstrich noch keine Rede sein könne. Auch Robert Knight hat ein äußerst differenziertes Bild von der österreichischen Debatte, die er, wie er ausdrücklich betont, nur sehr entfernt verfolgt: Die Historikerkommission und die zeitgeschichtliche Aufarbeitung wären mittlerweile eine Erfolgsgeschichte. Die Reflexion in Österreich sei aber natürlich schwierig und bleibe es sicher auch, ist sich der Historiker sicher. Offene Fälle von Kunstrestitution seien doch etwa wieder ein klarer Anlass für eine offene Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle und Vergangenheit. Sagt ein britischer Universitätsprofessor. Der hoffentlich recht hat.

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