Der Balkan und seine Juden

Seit dem Jahr 1948 gibt es das Jüdische Historische Museum in Belgrad. Die Dauerausstellung bietet einen Überblick über die Geschichte, das Leben und die Kultur der Juden im ehemaligen Jugoslawien.
VON IDA LABUDOVIĆ (TEXT) UND MILUTIN LABUDOVIĆ (FOTOS)

Auf dem hügeligen, blutigen Balkan führte man einst große Kriege. Man lebte mit der Sehnsucht nach Frieden, nach Schönheit und Jugend, und man sang darüber.

Durch Jahrhunderte hindurch hat sich bei den Menschen, die einst für die Befreiung von den Türken kämpften, eine Toleranz gegenüber anderen Völkern entwickelt. Mut, Ergebenheit, Treue und ein starkes Gerechtigkeitsgefühl prägten diese Menschen. Zumindest in der Vergangenheit war es so. Von dieser Vergangenheit und davon, wie die Gemeinde ungestört in einer fremden Umgebung gelebt hat, erzählt das Jüdische Historische Museum in Belgrad.

Wir befinden uns in einem Viertel der Belgrader Altstadt, in der Umgebung von großbürgerlichen Häusern, an deren Fassaden noch immer die Initialen der ehemaligen Eigentümer sichtbar sind. Kastanienbäume und kräftig blaue Hortensien schaffen Ruhe in der pulsierenden Großstadt. Ganz in der Nähe steht die einzige noch erhaltene Moschee Belgrads aus dem 16. Jahrhundert.

Im gleichen Gebäude, wo sich das Museum und das Archiv befinden, hat auch die Jüdische Gemeinde Belgrad und die Föderation der jüdischen Gemeinden Serbiens ihren Sitz. Entworfen wurde es 1928 vom Architekten Samuel Sumbul, errichtet von der sephardischen Gemeinde der Stadt. Damals wie heute spielte und spielt sich dort sowie in der Synagoge das Leben der Belgrader jüdischen Gemeinde ab.

Keine Ghettos in Serbien, Bosnien und Mazedonien
Der Eingang in das Museum, das sich im ersten Stock befindet, ist aus Sperrholz gefertigt, mit einer auffallenden Menora aus Eisen als Türklinke. Er vermittelt den ersten Eindruck des Museums, das seit dem Jahr 1948 existiert und das im Stil des sozialistischen Realismus konzipiert wurde. Eine der drei Angestellten öffnet die Tür zu einer Wohnung, die in Ausstellungs- und Archivraum geteilt ist. Den Besucher erwarten keine spektakulären optischen Eindrücke, dafür aber viele geschichtliche Informationen. Alle Objekte der Dauerausstellung werden in einfachen Vitrinen gezeigt, dazu gibt es Schautafeln mit Informationen. Eine Landkarte am Anfang der Ausstellung zeigt die Migrationen der Juden auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien vom Römischen Reich bis zur Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Auf Schwarzweiß-Fotos sieht der Besucher jüdische Viertel, Gassen und Ghettos, Friedhöfe und Synagogen in den verschiedenen Städten des ehemaligen Jugoslawien. In den Ländern unter türkischer Herrschaft – Serbien, Bosnien und Mazedonien – gab es allerdings keine Ghettos hinter Mauern und eisernen Toren. Jüdische Ghettos bestanden nur in Kroatien, Dalmatien und Slowenien. Dokumente, Bücher und Briefe sowie Fotografien von Menschen und Einrichtungen zeigen, wie sich das Leben und die Gemeinde gesellschaftlich, politisch und kulturell entwickelt und organisiert hat. Bis hin zum Zweiten Weltkrieg.

Im Anschluss an den geschichtlichen Teil der Ausstellung sieht man Judaika und Ritualobjekte aus verschiedenen Ländern von Holland bis Italien, über Österreich und Ungarn bis hin nach Nordafrika und Israel.

Tukadu – die Kopfbedeckung der sephardischen Jüdinnen
Neben einer Vitrine, in der die traditionelle Kleidung ausgestellt ist, hängt ein großes Bild. Es entstand Ende des 19. Jahrhunderts und zeigt drei Frauen in den typischen sephardischen Trachten mit ihren Kopfbedeckungen. Die Jüdinnen haben ihre Tukadus (in Ladino) bzw. Tokados (Kastilisch) aus Spanien mitgebracht. In konischer oder zylindrischer Form wurden sie aus Seide, Samt oder Brokat gefertigt. Der Tukadu war auch ein Zeichen der ethnischen Zugehörigkeit, das noch in den 1940er-Jahren von manchen älteren Jüdinnen getragen wurde.

Das jüdisch zeremonielle Gewand, ein langes Kleid aus Samt, war mit goldenen und silbernen Stickereien und manchmal mit Perlen geschmückt. Die Schuhe wurden aus den gleichen Materialien und in gleicher Farbe hergestellt. Üblicherweise trugen die Frauen neben ihrer sephardischen auch serbisch-orientalische Kleidung, weil sie sich nicht von den Menschen ihrer Umgebung unterscheiden wollten.

Gemeinsam im Krieg
Serbische Juden haben sich selbst als Serben mosaischen Glaubens bezeichnet. Ihre Nationalität und ihr Bekenntnis sind nicht nur in Dokumenten zu finden. Auf vergrößerten Fotografien sieht man Juden, die im Ersten Weltkrieg Seite an Seite mit Serben gekämpft haben. Sie haben in diesem furchtbaren Abschnitt der Geschichte besondere Loyalität und Verbundenheit mit ihrer Heimat gezeigt.

Während der Nationalsozialismus in den dreißiger Jahren in Deutschland immer stärker wurde, setzten auch auf dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien politische Veränderungen ein. Immer mehr Arbeiter und gebildete junge Menschen identifizierten sich mit den Ideen des Kommunismus. Ein Teil von ihnen waren auch Juden. Auf einer schwarzen Tafel im Museum befinden sich Bilder von jungen Juden, die sich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs den Partisanen anschlossen.

Mit Luftangriffen auf Belgrad begann am 6. April 1941 der deutsche Balkanfeldzug. Nach nur wenigen Monaten konnten die Deutschen Belgrad zur „judenfreien Stadt“ erklären. Damit beginnt die tragische Geschichte der Juden am Balkan und der berührende Teil der Ausstellung: Aufnahmen von Massengräbern mit unzähligen Toten, Abbildungen aus den KZs und persönliche Gegenstände.

Etwa 4500 Juden haben als Partisanen gegen die Nazis und die deutsche Okkupation gekämpft. Einige von ihnen, die nach dem Krieg zurückkehrten, erlangten führende Positionen in der Politik der Nachkriegszeit. So zum Beispiel Moša Pijade, ein enger Vertrauter des jugoslawischen Staatschefs Josip Broz Tito, der schließlich auch Präsident des Parlaments wurde. Ein 1942 aufgenommenes Foto zeigt die beiden in Uniform in Jajce, dem späteren Gründungsort der SFR Jugoslawien.

Ein Platz für Recherchen
Das Museum ist ein Ort, an dem man sich als Besucher willkommen fühlt. In einem kleinen Zimmer neben dem mit Büchern, Zeitschriften und Foto-Dokumenten reich gefüllten Archiv befindet sich ein großer Schreibtisch, an dem Studenten, Schriftsteller, Wissenschaftler und Chronisten tagsüber recherchieren und arbeiten können. Seit dem Jahr 1971 veröffentlicht das Museum auch Sammelbände mit Beiträgen über die lange Geschichte der Juden am Balkan.

Das Museum bietet neben der Dauerausstellung in loser Folge wechselnde Sonderausstellungen. Die aktuelle ist den serbischen Juden im Ersten Weltkrieg gewidmet. Veranstaltungen, wie zuletzt Vorträge über das gleichnamige Thema, bereichern das Angebot dieses kleinen Museums.

Jevrejski istorijski muzej
Kralja Petra 71a, 11000 Beograd

www.jimbeograd.org

Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag: 10 bis 14 Uhr
Eintritt frei

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