Der Antisemitismus ist auch nicht mehr, was er einmal war

Der Universalkünstler Arik Brauer feiert im Jänner seinen achtzigsten Geburtstag. NU sprach mit ihm über seine Jugend als Gassenbub, feige Nazis der Gegenwart und seine Sorge um Israel.
Von Danielle Spera (Interview) und Peter Rigaud (Fotos)

NU: Du bist Jahrgang 1929, dein Vater war Jude, er kam aus Litauen, war Schuhmacher, aufgewachsen bist du in Ottakring. Wie war das Leben damals in der Wiener Vorstadt?

Brauer: Ich hab von Anfang an ein Doppelleben geführt, ich war ein richtiger Gassenbub, obwohl ich ein „heiliges“ Elternhaus hatte. Es war sehr bescheiden, mein Vater war Schuhmachermeister. Wir hatten eine Zimmer- Küche-Wohnung, Klo am Gang, Wasser am Gang, so wie eben damals die meisten Menschen gelebt haben. Aber wir haben nie Hunger gelitten, im Gegenteil, wir haben sogar die Nachbarskinder immer wieder zum Essen bei uns gehabt. Wir konnten im Sommer aufs Land fahren, waren bei Verwandten untergebracht, einem Bauern oder Kleinhäusler. Wir hatten ja auch einen nicht jüdischen Zweig. Meine Mutter war ein Mischling, wie das die Nazis genannt haben. Das ganze Leben bei uns in Ottakring hat sich in Richtung Wienerwald abgespielt. In die Stadt ist man wie ins Ausland gegangen. In die Stadt – das war über den Gürtel. Ich erinnere mich an meinen ersten Weg mit meiner Mutter in die Stadt. Da sind wir die Burggasse zu Fuß hinuntergegangen, da gab es bei einer Kirche eine Heiligenfigur, den Sebastian, die hat mich sehr beeindruckt. Und dann habe ich zum ersten Mal die Stephanskirche gesehen, vor der habe ich Angst gehabt. Ich kann mich genau erinnern, da bin ich vom Graben ums Eck gebogen und plötzlich stand dieser Architekturberg vor uns, grau in grau, das hat mich enorm beängstigt, aber das war ja von den Erbauern vermutlich auch beabsichtigt.

Du hast gesagt „heilige“ Familie, im Sinn von religiös?

Nein, meine Eltern waren überhaupt nicht fromm, sie waren Austromarxisten. Hochgehalten wurden die Naturfreunde, die Kinderfreunde oder der Abstinenzlerbund. Musik war meinen Eltern auch wichtig. Wir hatten in der Zimmer-Küche-Wohnung einen Stutzflügel und da wurde fleißig Schubert gespielt. Für meine Mutter und meine Schwester war Schubert eine zentrale Figur.

Da sind zwei Welten zusammengekommen, ein Gassenbub mit jüdischen Wurzeln.

Ja, als ich größer wurde, war ich immer auf der Gassn, habe mit dem „Fetzenlaberl“ Fußball gespielt und hab auch die Sprache der Gassenbuben gesprochen, wahrscheinlich war ich der einzige Jud in Wien, der den Wiener Dialekt richtig konnte. Aber einmal in der Woche bin ich in die Religionsstunde in der Zinkgasse im 15. Bezirk gegangen. Dort waren die Kinder anders gekleidet, mit Strümpfen und Gummi über den Knien oder Strumpfbandgürtel, das hab ich dort zum ersten Mal gesehen. Aber dort wurde auch anders gesprochen. Da waren auch Kinder, deren Eltern aus Galizien gekommen sind, die haben jiddisch gesprochen. Mein Vater hat übrigens auch Jiddisch gekonnt. Ich hab schon damals gut singen können, da haben sie mich sehr bald animiert, im Kinderchor vom Turnertempel (Synagoge im 15. Bezirk, Anm. d. Red.) mitzusingen. Aber das war knapp vor dem Einmarsch der Hitlertruppen, damit war meine Karriere als Tempelsänger beendet, bevor sie begonnen hat.

Wie sehr warst du vom Judentum geprägt, hast du etwas davon mitbekommen, hat dein Vater, habt ihr die Feiertage eingehalten?

Nein, wir waren nicht religiös, wir sind auch nicht in den Tempel gegangen, in unserem Umfeld hat es auch praktisch keine jüdischen Familien gegeben. Trotzdem haben mich meine Eltern in den Religionsunterricht geschickt, das ist ja auch typisch für die jüdische Selbstzerfleischung. Weihnachten haben wir nicht gefeiert, es war für uns mehr ein Liederabend mit sozialistisch angehauchten Weihnachtsliedern. Ich hatte natürlich aus dem Religionsunterricht jüdisches Wissen und habe mich damit gebrüstet. Dieses Doppelleben habe ich eigentlich mein ganzes Leben lang standhaft durchgezogen.

Hast du selbst in dieser Zeit Antisemitismus erlebt?

In der Schule war das enorm. Ich war das einzige jüdische Kind in meiner Klasse, wenn es eine Streiterei oder Rauferei gab, hat es gleich geheißen: das Judengfrast. Aber als echter Gassenbub hab ich gewusst, wie ich mich verteidigen muss. Ab 1938 war mir dann klar, dass es keine Gerechtigkeit gibt, denn ich durfte nicht mehr zurückschlagen. Ich bin so erzogen worden, dass man sich anständig verhält, dass Gutes belohnt und Böses gerügt wird, Schläge gab es in unserer Familie nicht. Und plötzlich ist meine Weltordnung zusammengebrochen. Gleich nach dem Einmarsch 1938 gab es in unserer Schule ein Sportfest, Höhepunkt war ein Wettlauf um den Märzpark. Ich war sehr sportlich und habe das Rennen gewonnen. Der Lehrer war in einem Dilemma. Dann hat er mich ausgeschieden. Ein Kind hat gefragt: „Warum denn, der Brauer war doch der Schnellste?“ Da hat der Lehrer geantwortet: „Nein, er hat die anderen behindert, das ist typisch für einen Juden, die können sich nicht sportlich verhalten.“ Der erste Preis war aber ohnehin ein Hitlerbild.

Dein Vater konnte aus Wien flüchten. Wie war das für euch als Familie, das Zurückbleiben in Wien?

Ja, meinem Vater ist es gelungen, sich nach Litauen durchzuschlagen, wir wollten eigentlich mit, mussten aber nach Wien zurückkehren. In Wien hat es ja fast bis zum Kriegsende jüdische Institutionen gegeben. Offenbar hat man im Judenreferat gewusst, wenn es gar keine Juden mehr gibt, dann wird auch das Judenreferat aufgelöst und dann müssen sie an die Ostfront. Ich war ja zuerst noch in der gojischen Schule, das war fürchterlich, da hab ich schnell begriffen, wo es langgeht. Danach war ich in wechselnden jüdischen Schulen, die immer wieder geschlossen wurden, weil viele Kinder verschickt worden sind und wir sind immer weniger geworden.

Wie ist es deiner Mutter ergangen?

Wir sind weiter in unserer Zimmer- Küche-Wohnung geblieben, meine Mutter musste im Gegensatz zu mir keinen Judenstern tragen. Ich hatte auch das „J“ im Pass. Aber ich glaube, meine Mutter hat auch keine „arischen“ Lebensmittelkarten bekommen. Nachdem man ihr die Ersparnisse weggenommen hat, hat sie Wäsche für verschiedene Familien gewaschen und damit ein bisschen Geld verdient, damit wir irgendwie leben. Dann ist sie in einer Spedition untergekommen und hat uns durch ihre Arbeit dort über den Krieg gerettet.

Deine Mutter war keine Jüdin, war es je ein Thema für sie überzutreten?

Wozu? Warum denn? Nach welcher Halacha bin ich kein Jude? Wenn es nach den Reformern geht, ist es völlig egal, welcher Elternteil Jude ist. Die Reformer sind übrigens im Judentum heute in der Mehrheit. Eigentlich ist es genau das, was die Nazis gemacht haben, Rassismus auf der anderen Seite. Meiner Meinung nach genauso lächerlich.

Wie war das Leben, das Überleben in Wien als U-Boot?

Ich habe, nachdem es keinen Schulunterricht mehr gab, als Lehrling in der Tischlerei der Kultusgemeinde zu arbeiten begonnen. Auch da wurden wir immer weniger, unser Meister, Herr Sussmann, ist nach Theresienstadt deportiert worden. Wir mussten für einen hohen SS-Funktionär eine Villa in der Hinterbrühl einrichten, gleichzeitig waren die Russen schon in Ungarn. Ich musste noch im Herbst 1944 einen begehbaren Hühnerstall bauen für den SS-Mann Rücksinger, ein sehr pingeliger Mann. Es war grotesk, dass wir, die Tischler der Kultusgemeinde, die Wohnungseinrichtungen für SSBonzen gemacht haben. Die meisten der Tischler waren übrigens burgenländische Juden, hoch qualifizierte Handwerker, die wunderbare Möbel bauen konnten.

Wie lange ist das gut gegangen?

Nach und nach sind alle abgeholt worden, dann haben sie mir auch meine Kennkarte abgenommen, das hat geheißen, Transport am nächsten Tag. Da habe ich mich sofort versteckt, glücklicherweise waren sie nicht mehr im Stande genau zu kontrollieren.

Wie habt ihr das Kriegsende erlebt?

Ich habe in der Seitenstettengasse den Einschlag einer Kettenbombe erlebt. Ich wurde in eine Einfahrt geworfen und bin so unverletzt geblieben. Die Feuerwehr hat vorbeigeschaut, einer hat gerufen: „Wir haben etwas Besseres zu tun, als tote Juden auszugraben.“ Ich habe dann mitgeholfen, die Toten und Verletzten herauszuziehen. Dann waren aber schon bald die Russen da und da bin ich schon zwischen den russischen Panzern herumgesprungen.

War das dann schon deine Annäherung zum Kommunismus?

Dass der Marxismus etwas Tolles ist, habe ich mit der Muttermilch mitbekommen! Es hat eine Zeit gedauert, bis ich diese Muttermilch wieder ausgespuckt habe. Die Russen haben uns befreit und niemand anderer. Wir sind mit weißen und roten Fahnen auf sie zugelaufen, meine Schwester hat „Wolga, Wolga“ gespielt am Klavier, daraufhin haben sie uns auch zu essen gebracht. Später sind die Russen mit den Pferdewagen gekommen und da haben dann die Vergewaltigungen begonnen. Meine Schwester war 18, einmal ist ein betrunkener Russe zu uns gekommen, da hat sie sich im Klappbett versteckt, bis er weg war.

Du hast dich aber dann doch der KPÖ angeschlossen.

Durch einen Bekannten, den Heini Klein. Da gab es kleine Trupps, die den Volkssturmleuten die Panzerfäuste weggenommen haben, unter dem Motto: Schleichts euch, der Krieg ist aus! Das war in den letzten Kriegstagen, da war ich gleich dabei. Dann ist mein Cousin, der Rudi Spitzer, zurück aus der Emigration gekommen, als englischer Offizier, in dieses Elend, um hier den Sozialismus aufzubauen. Er hat mich bestärkt, dass ich mit der KPÖ auf dem richtigen Weg sei. Da war ich dann in der Jugendbewegung aktiv, habe aber sehr bald die Problematik erkannt. Es sind dann immer mehr junge Juden zurück aus England gekommen, um hier den Sozialismus aufzubauen, sie sind schon in England geschult worden. Es war eine komische Situation, wir haben sie nicht mehr als Juden, sondern als Emigranten gesehen, sie haben anders gesprochen, waren natürlich gebildeter, fast alle aus bürgerlichen Familien und keine Arbeiterkinder. Darüber wurde aber nie gesprochen. Ich war so etwas wie ein Bindeglied, obwohl ich aus einer Arbeiterfamilie stammte. Dann hat die Kaderabteilung begonnen mich zu fördern. Da habe ich aber schon begonnen mich zurückzuziehen. Ich habe instinktiv gespürt, dass das in eine falsche Richtung läuft. Allerdings habe ich dort sicher sechs, sieben Jahre verplempert. Meine Karriere als Maler hat dadurch erst später begonnen, während der Ernst Fuchs schon längst ausgestellt hat.

Was hast du in der KP überhaupt gemacht?

Es gab eine Theatergruppe mit einem Chor, dort war ich aktiv. Ich habe auch politische Musicals geschrieben. Das wurde auch hochgejubelt, weil es „aus dem Volk“ kam. Dann habe ich einen Kinderchor geleitet, wollte aber lieber nach Israel. Das hat aber der Rudi Spitzer vorerst verhindert, er hat gemeint, zuerst müssen wir den Sozialismus aufbauen, das geht ja eh geschwind, jetzt musst du noch dableiben. In der KP haben sie mich „Singerl“ genannt, weil ich bei den Ausflügen immer mit der Gitarre unterwegs war und voll in meinem Element. Der Name ist mir dann in dieser ganzen Zeit picken geblieben. Allerdings habe ich bald die Diskrepanz zwischen Kunst und Totalitarismus gesehen. Das haben die Funktionäre gespürt, die haben dann schon gewusst, dass ich nicht mit Leib und Seele dabei bin. Mir war die Freiheit wichtiger, sie haben mich auf eine Parteischule geschickt und gesagt, deine Kunst kann warten, bis der Sozialismus gesiegt hat. Jetzt musst du in die Betriebe gehen, das hab ich dann auch gemacht, gemeinsam mit dem Hrdlicka.

Wie siehst du die Situation denn heute, im Lichte der Finanzkrise, wo es heißt, der Kapitalismus ist tot?

Die Probleme des Kapitalismus werden nicht durch Kommunismus beantwortet. Alles, was schlecht ist am Kapitalismus, trifft auch auf den Kommunismus zu, obwohl das scheinbar ganz anders funktioniert, der menschliche Egoismus und die Gier und das sinnlose Streben nach immer mehr, sind im Kommunismus noch penetranter, dort ist es unkontrolliert, es hat eine andere Façon. Die Antwort auf den Kapitalismus, die hab ich auch nicht parat, aber sie ist sicher nicht, wie man auf Hebräisch sagt: „Zbang ve gamarnu – ein Schlag und es ist erledigt.“ Hier muss mit kleinen Schritten zurechtgestutzt werden und da sind die Europäer weiter voran als die Amerikaner. Es ist ein Balanceakt, wie alles im Leben.

Dein Vater ist im KZ ermordet worden, wann habt ihr davon erfahren?

Mein Vater war in Riga, zusammen mit einem anderen Schuhmacher, sie haben dort gearbeitet, von dort haben wir noch Briefe bekommen. Dieser befreundete Schuhmacher ist dann nach Russland gegangen, ist allerdings nach Sibirien deportiert worden. Mein Vater ist aber in Riga geblieben. Dort hat er auch noch Schuhe für die Nazis gemacht. Er war ein Künstler, er hat sehr gute orthopädische Schuhe machen können: „Schich far Menschn mit gekrimte Fiss“, hat er immer gesagt. Letztendlich ist ein Überlebender zu uns gekommen und hat uns erzählt, dass er die Leiche meines Vaters aus der Gaskammer geholt hat.

Hast du je Rachegefühle verspürt?

Ich sehe Menschen nicht als Paket: die Araber oder die Deutschen. Ich sehe einzelne Menschen, wie es im Talmud steht, jeder Mensch ist eine Welt. Nur gegen die Menschen, die meinen Vater getötet haben, gegen die hege ich unverzeihlichen Hass, bis an mein Lebensende. Ich lebe damit, weil ich sie nicht kenne. Ich möchte nicht in die Situation kommen, über einen der Täter Macht zu haben. Ich bin glücklich, dass ich kein Richter bin. Dieses Gefühl, jede Hand, die ich hier einem Österreicher gebe, ist eine Mörderhand, das empfinde ich aber nicht, dazu bin ich zu sehr in Österreich verankert. Ich würde hier sonst nicht friedlich und glücklich leben können. In der Thora appelliert Abraham an Gott, die Stadt Sodom nicht zu vernichten, wenn es zehn Gerechte gibt. Das lehrt uns, keine Pakete zu schnüren und zu sagen, alle Menschen sind böse.

Wie war das Leben überhaupt im Wien der Nachkriegsjahre, Juden sind ja nicht gerade mit offenen Armen empfangen worden?

Diesen hautnahen Antisemitismus habe ich nicht gespürt. Es war komisch, sobald ich den Stern getragen habe, bin ich auf der Straße nicht mehr verfolgt oder angepöbelt worden. Ich hatte das Gefühl, das war den Leuten dann doch zu viel. Das war vielleicht zu krass mittelalterlich. Nach dem Krieg war der Antisemitismus ganz sicher weiter latent vorhanden. Dann gab es aber auch den Philosemitismus. Da hab ich oft gehört, na du bist ja a Jud, deshalb bist du ein Genie. Der Qualtinger hat zu mir gesagt: „Du bist a Jud, du brauchst dich nicht anzusaufen. Du bist ja auserkoren, hast keinen Minderwertigkeitskomplex, den du mit Alkohol besänftigen musst!“ Das ist natürlich auch lebensgefährlich. Ich hatte einmal einen Schweizer Bergführer, der hat gesagt: „Nur keine jüdische Hast“ und ich hab geantwortet: „Na wenn schon Hast, dann eine jüdische, weil ich bin ein Jud.“ „Aber was“, hat er gesagt, „du kannst kein Jud sein, ein Jud kann doch nicht so klettern!“

Der Satz mit der „jüdischen Hast“ hat sich ja hartnäckig gehalten, zuletzt von Bundeskanzler Gusenbauer zu Journalisten gesagt …

Das stört mich eigentlich nicht. Es trifft ja ein bisschen den Punkt. Ich weiß, dass ich hastiger bin und geschwinder im Reagieren als der durchschnittliche Wiener, vielleicht wird das als Hast gesehen, na, soll ich schlafen am helllichten Tag?

Wie in vielen anderen Bereichen gab es auch an der Akademie den so genannten gleitenden Übergang, das heisst, dass viele Lehrer aus der NS-Zeit übernommen worden sind. Hat man das gespürt, wie haben diese Lehrer auf das Jüdische in deiner Malerei reagiert?

Mit Schweigen. Der Antisemitismus als offizielle Ideologie war ja mit einem Mal verschwunden. Ich habe als Tänzer im Raimundtheater gearbeitet, nicht weil ich ein Tänzer werden wollte, ich hab nur so getan, als wär ich einer, aber ich war eigentlich recht erfolgreich. Da hat der Jan Kiepura in einer Operette gesungen, der war ein Star. Die ortsansässigen Sänger haben dann gesagt, der soll sich heimschleichen, der polnische Jud. Bemerkungendieser Art berühren mich nicht. Wenn heute auf der Straße jemand zu mir Saujud sagte, würde ich sagen, schönen guten Tag. Mein Vater hat nicht geglaubt, dass man vergasen wird und hat mit dem Leben bezahlt, sie haben Seife aus ihm gemacht. Wenn mich jemand vergasen wollte, kriegt er eine Atombombe mitten ins Gesicht. Das ist der Unterschied zwischen heute und damals.

Glaubst du, dass es den Österreichern bewusst ist, welchen Verlust sie durch die Vertreibung und Ermordung der Juden erlitten haben, welche geistige und schöpferische Kraft dem Land verloren gegangen ist?

Allen so genannten Intellektuellen, also Menschen, die sich mit diesen Dingen beschäftigen, ist es natürlich bewusst, weil es so auffällig und so deutlich ist, dass sogar Leute, die vielleicht antisemitische Gefühle haben, das nicht wegleugnen können. Bewusst oder unbewusst wissen sie, welche Bedeutung das Jüdische in der Geisteswissenschaft und Kultur zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Wien hatte. Für die Menschen, die sich nicht so sehr damit beschäftigen, für die also die Kultur so selbstverständlich ist wie die Luft, für die ist sie einfach da. Da gibt es ja in Wien Kultur, wo man hinschaut, auf jedem Dach sind die tollsten Kunstwerke zu sehen, das nehmen sie vielleicht gar nicht bewusst wahr, trotzdem lebt sie im Herzen der Menschen. Wenn sie dann nicht in Wien sind, sind sie ganz unglücklich und wissen aber gar nicht warum. Denen geht das Jüdische sicher nicht ab, weil sie gar nicht abschätzen können, welches Ausmaß das hatte. Wenn ein Wiener Bürgermeister, wie der verstorbene Helmut Zilk, sich hinstellen und sagen kann, diese Stadt braucht 50.000 Juden, da weiß man, dass es Menschen gibt, an die das gerichtet war. Zilk hat das übrigens vor zwanzig Jahren gesagt, für solche Aussagen hat er ja auch seine Hand verloren.

Reisen war schon früh sehr wichtig für dich, nach Paris mit dem Fahrrad.

Ja, da hat mich der Ernst Fuchs eingeladen, komm nach Paris, sei mein Gast, hat er gesagt. Eine Zeit lang hab ich unter der Brücke geschlafen, oder bei Bekannten, aber ich habe von Anfang an nicht vorgehabt, in Paris zu bleiben. Ich bin von Paris mit dem Rad nach Italien gefahren und war von Florenz so begeistert. Pisa, Venedig und mit dem Rad nach Hause zurück. Etliche Jahre später bin ich dann mit meiner Frau Naomi nach Paris übersiedelt, da waren wir dann mehr als sechs Jahre. Dort waren wir sehr verwurzelt, haben die Sprache gelernt und haben einen breiten Freundeskreis gehabt, hauptsächlich französische Juden. Die Franzosen sind sehr in sich abgezirkelt. Wir sind in diese Künstleratmosphäre eingetaucht, ich habe Yves Klein oder Mathieu kennengelernt. Ich habe dort meinen Durchbruch als Künstler erzielt.

Warum dann die Rückkehr nach Wien?

Der Hauptgrund war das Wohnungsproblem. Wir hatten ja schon zwei Kinder, haben aber in einem winzigen Loch gewohnt, obwohl ich schon gut verdient habe, konnten wir uns keine größere Wohnung leisten. Ein Auto haben wir aber schon gehabt. Es war ja auch schwierig, denn ich habe manchmal Bilder verkauft, manchmal nicht. In Wien waren Wohnungen damals viel günstiger. Ich habe ein Atelier im dritten Bezirk gefunden. Meine Mutter hat hier gelebt. Außerdem: Heimaterde ist Heimaterde, und ich wollte Skifahren gehen. Allerdings habe ich mein französisches Autokennzeichen und unsere kleine Wohnung lange behalten. Dann bin ich aber in Wien so erfolgreich geworden, dass ich die Pariser Wohnung hergeschenkt habe. Dann hat auch noch meine Frau die Villa gefunden, in der wir heute noch leben. Meine Frau hat immer das Glück in die Familie gebracht.

Du bist dann auch nach Israel gereist, wie war diese erste Reise?

In Wien war ich ideologisch enttäuscht. Nach der Katastrophe von Prag und Budapest war die KPÖ für mich endgültig erledigt. Stalin war der Todfeind des Humanismus. Nachdem der Mensch ohne Hoffnung nicht leben will oder kann, haben meine Schwester und ich gesagt, auf nach Israel! Meine Schwester war Tänzerin, so sind wir als Tänzer mit einem Engagement nach Israel gegangen. Fast ein Jahr hat mich meine Schwester trainiert, ich war aber viel zu alt, um das noch richtig zu lernen, ich konnte aber gut springen, so haben wir die folkloristischen Tänze gut geschafft. Wir sind also 1953 nach Israel gegangen und haben dort in einem Cabaret gearbeitet. Ich war 24 Jahre alt, nach zwei Wochen habe ich meine künftige Frau Naomi kennengelernt. Ich bin sofort in Israel in die Jugendbewegungen reingekommen, Hashomer Hazair, Rikudei Am, also die Tanzbewegung. Die Kabarettwelt war uns fremd, auch meiner Schwester. Wir haben Volkstänze gemacht und viele Ausflüge unternommen. Wir haben noch das paradiesische Israel der frühen Zeit erlebt, wo alle ihre Türen offen gelassen hatten, wo man in jeden Kibbuz gehen konnte, um zu übernachten, wo man das Gefühl hat, ich lebe in einem Volk von Brüdern. Alle waren gleich arm, alle haben die gleichen Khaki-Hosen angehabt, die gleichen Hemden und im Winter die hässlichen Pullover, es war herrlich. Ich habe ununterbrochen gemalt, und bin dann zurück nach Wien und habe mein Studium fertig gemacht.

Wie hast du Ivrit gelernt?

Hebräisch habe ich sehr schnell gelernt, ich konnte ja kein Englisch, ich habe nie eine Sprache gelernt. Ich konnte mich aber irgendwie verständigen. Heute kann ja jeder Englisch, heute ist die Sprache präsent. Ohne Englisch kann man nicht einmal das Radio aufdrehen. Damals war Englisch so wie wenn jetzt jemand Japanisch kann. Kein Mensch hat Englisch können, nur der Kurt Waldheim mit seinem Akzent. Mit meiner Frau hab ich also nach drei Monaten das Englisch abserviert und ich habe nach einem halben Jahr Hebräisch, zwar mit schweren grammatikalischen Problemen, aber fließend reden können. Naomi hat pausenlos gequatscht, das macht sie bis heute. So habe ich die Sprache gelernt. Dann sind wir nach Paris und mit dem Geld, das ich dann verdient habe, haben wir begonnen in En Hod unser Haus zu bauen.

Du hast ein Haus in Israel, ein Haus in Wien, wo fühlst du dich mehr zu Hause?

Das ist eine gute Frage. Sterben möchte ich, wie alle Juden, in Israel, aber leben tu ich lieber in Wien. In Israel habe ich einen großen Freundeskreis, der aber immer kleiner wird. Heutzutage sterben ja Leut, die früher nicht gestorben sind. Es ist ja wahrscheinlich das Schicksal des Alters, dass die anderen sterben. Ich bin sehr glücklich in Wien, die Stadt ist in jeder Hinsicht wunderbar. Man hat einen Kreis von Menschen um sich, die keine Antisemiten sind.

Wie beurteilst du den Antisemitismus heute in Österreich?

Ich sehe den Antisemitismus nicht so dramatisch, ich habe den Antisemitismus der 1930er Jahre kennengelernt, da kann ich nur sagen, der Antisemitismus heute ist auch nicht das, was er einmal war. Ich meine, dieser Olympia-Gacker, der da jetzt Parlamentspräsident ist, das stört mich nicht. Es ist ja kläglich, es findet sich ja nicht ein einziger Nazi, der sich hinstellt und sagt: „Ja, wir haben vergast und das war richtig, weil die Juden gehören weg.“ Nein, hier sagen sie: „Wir wussten das alles nicht“ und reden um den Brei herum, das ist wirklich zum Kotzen. Das stört mich am meisten an den Nazis hier, dass sie keine wirklichen Nazis sind, die sich dazu bekennen. Wenn der Antisemitismus nicht gefährlich ist, ist er mir wirklich wurscht.

Wie siehst du die Zukunft Israels – vor allem, wenn du an den Iran denkst, der vermutlich bald über eine Atombombe verfügen wird? Als Besucher hat man das Gefühl, dass viele Israelis Zukunftsängste haben.

Ich mit meiner ganzen Fantasie, die ich immer gehabt habe, kann mir nicht vorstellen, wie es weitergehen soll. Meine einzige Hoffnung ist, dass es anders kommt, als man denkt. Fest steht, dass es in 20 Jahren zwischen Jordan und Mittelmeer eine überwältigende arabische Mehrheit geben wird. Und zwar Menschen, die vom Säuglingsalter an dazu erzogen wurden, dass die Juden weggehören. Ihre Erziehung ist: Das ist unsere Welt, unser Land. Ich weiß nicht, wie der jüdische Staat weiter bestehen soll. Als jüdische Minderheit in einem arabischen Land, das haben wir gehabt, da hätten wir gleich in Marokko bleiben können oder im Jemen, da hätten wir nicht davonlaufen brauchen. Die einzige Chance, die besteht, ist, dass der Islam auch seine Entwicklung durchmacht. In fünfzig Jahren wird auch die arabische Welt anders ausschauen, ich hoffe, dass sie im Stande ist, eine Minderheit zu akzeptieren und zu ertragen. Im Arabischen gibt es nicht einmal ein Wort für Rassismus. Das ist ihnen fremd. Im Islam war man wesentlich toleranter als im Christentum. Was sie so stört an den Juden, ist nicht die Religion, sondern die westliche Zivilisation. Dasist ihnen unerträglich – aus einem Grund: Sie wollen Auto fahren, sie wollen Computer haben, sie wollen die neuesten technischen Errungenschaften, aber sie wollen unter keinen Umständen die Gleichberechtigung der Frau. Das ist für sie das Ende der Welt. Ich spreche jetzt nicht von den Philosophen, sondern vom Volk, von den Männern. Die Männer sind arme Teufel, ohne Hoffnung, ohne Bildung, ohne Selbstbewusstsein. Aber sie sind die Chefs der Familie und die Beherrscher der Frauen und der Kinder. Wenn man ihnen das wegnimmt, haben sie nichts mehr. Diese Modernisierung lehnen sie ab. Das ist auch der Grund, warum die Palästinenser nicht im Stande sind, diese Mezzie anzunehmen, die sie haben könnten, wirtschaftlich und kulturell, die diese jüdische Minderheit in ihrer Welt bietet. Die andere Alternative ist eine riesige Mauer in einer feindlichen Welt und man behauptet sich. Das ist eine Zeit lang sicher möglich, aber ob es ein Vergnügen ist und ob es kreativ sein kann, ist sehr fraglich. Ich sehe das sehr pessimistisch.

In Europa fliegen Israel nicht viele Sympathien zu. Woran liegt das und wie gehst du damit um, dass man in Europa Israel hauptsächlich als Aggressor sieht?

Die Massenmedien beschäftigen sich nicht mit den Ursachen, sondern mit den Wirkungen. Was eine Headline macht, ist ein Hubschrauber, der Hamas-Leute verfolgt und dabei zwei Kinder tötet. Was aber die Ursache dafür ist, interessiert niemanden. Das Denken und Fühlen der Menschen ist von den Massenmedien geprägt. Israel ist der Besatzer, der technisch Überlegene, der diktiert. Man hat das Bild des David gegen Goliath. Wenn man den Fokus vergrößert, schaut das Bild ganz anders aus. Da ist eine Welt von Hass und mitten drinnen liegt das Sandkörnchen Israel, das sich mit seiner technischen Überlegenheit, ohne die es nicht mehr existieren würde, versucht zu verteidigen. Die Palästinenser wollen alles, den Staat und vor allem ohne Juden.

Du bist eigentlich ein Universalgenie, du bist Maler, Grafiker, Keramikkünstler, Architekt, Musiker, warst Tänzer – was von all dem ist oder war dir in deinem Leben das Liebste?

Mein Beruf und meine Berufung ist die Malerei. Das war mir immer klar, in meiner Familie hatte niemand ein Faible dafür, nur für Musik. Ich habe aber schon als Kind begonnen zu zeichnen, das haben alle bemerkt. Ich konnte mit acht Jahren schon Porträts zeichnen, da haben alle gesagt, ich sei ein Wunderkind. So habe ich mich entschlossen, Maler zu werden und bin davon keinen Millimeter abgerückt. Ich sage ganz ehrlich, ich habe gegen Ende des Krieges gedacht, ich muss durchkommen und die Malerei wird mir dabei helfen.

Die Bibelthemen, die bei dir immer wieder vorkommen, zeigen auch von einem detaillierten Wissen über die Thora.

Ja, die Thora habe ich wirklich intensiv studiert. Die Bibel ist als Kunstwerk einfach unglaublich, einmalig. Sie kommt mir insofern entgegen, als sie etwas vom phantastischen Realismus hat. Je mehr man gräbt, desto mehr kommt man drauf, was historisch ist. Dann kommen die Wunder, die natürlich menschliche Erfindungen sind, aber als Erfindungen ein Wunder sind. Dass das Meer sich teilt, das muss einem erst einfallen. Das Meer teilt sich und sie marschieren durch, das hat eine derartige Wucht. Das Wunder ist, dass das jemandem eingefallen ist.

Im Jänner feierst du deinen 80. Geburtstag, siehst du das als einen Zeitpunkt, um Bilanz zu ziehen?

Nein, ich bin ja mein Leben lang durch körperliche Tüchtigkeit aufgefallen, ich bin immer sehr beweglich gewesen, beim Skifahren muss ich mich sogar zurückhalten, sonst sagen die Leute, na der macht sich aber wichtig.

Dann ein herzliches Mazel Tov zum Achtzigsten und Danke für das Gespräch.

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