Denk ich an Österreich in der Nacht …

Von Peter Menasse

In Deutschland töten Nazi-Terroristen unschuldige Menschen. Fein raus, Österreich? Nein, ganz im Gegenteil. Es muss uns angst und bange werden.

Wir lesen über die Zwickauer Terrorgruppe, dass sie von V-Männern des deutschen Verfassungsschutzes unterwandert war, dennoch aber ihre Morde ungestört und über Jahre verüben konnte. Hier liegt offensichtlich ein fataler Fehler im System der deutschen Verwaltung vor, der unter anderem auch in der föderalen Struktur begründet ist, deretwegen Einheiten des Bundes und der Länder nebeneinander und scheinbar schlecht koordiniert tätig sind. Die Mörder hatten leichtes Spiel.

Was wir jetzt erleben, ist eine radikale Aufarbeitung der Geschehnisse in einem Land, in dem sich alle wesentlichen politischen Kräfte gegen den Nationalsozialismus verschworen haben. Das Bild, das die deutsche Bundesregierung mit Angela Merkel an der Spitze im Bundestag bei einer Gedenkfeier für die Opfer der Terroristen zeigt, signalisiert echtes Entsetzen und Trauer.

Blenden wir nach Österreich. Wenige Tage danach sagt Herbert Kickl, ein 43-jähriger Abgeordneter der FPÖ im österreichischen Parlament in einer Replik auf den Sozialminister, dass „viele dieser armen Menschen in Österreich deswegen so arm sind, weil sie Pensionisten sind … und weil sie damals nicht davongelaufen sind …, so wie andere, die Sie verhätscheln.“

Er ist danach zu feige, um zu seiner so klar lesbaren Botschaft zu stehen. Er habe Wirtschaftsflüchtlinge der jüngeren Vergangenheit gemeint, sagt er auf Vorwürfe. Abgesehen davon, dass diese Erklärung mehr als einfältig ist, was hätte dann das Wort „damals“ in seinem Sager zu suchen, zeigt es auch, wie dieser Mann, der seine Ungeheuerlichkeiten unter dem Schutz der Immunität absondert, sofort den Mut verliert, wenn er Stellung beziehen muss. Wir haben das als Kinder in den späten 1950er-Jahren oft gehört. Während unsere Eltern über den Tod aller Verwandten trauerten, denen die Flucht vor den Nationalsozialisten ins Ausland nicht gelungen war, sagten uns Erwachsene aus anderen Familien immer wieder Sätze, wie den folgenden: „Ihr Juden hattet es schön im Ausland und genug zu essen, während uns hier die Bomben auf den Kopf gefallen sind.“

Kickl wiederholt jetzt die Monstrositäten seiner Großelterngeneration, im österreichischen Parlament, mehr oder weniger unwidersprochen. Niemals könnte dieser Mensch in Deutschland nach solchen Aussagen weiterhin politisch tätig sein. Aber hierzulande vertritt er die Position einer großen Partei, die auf der Lauer liegt, die Mehrheit im Land zu übernehmen.

Der Wiener Anwalt Georg Zanger berichtet davon, dass die Staatsanwaltschaft Anzeigen, die Umtriebe der FPÖ betreffen, seit der Einbringung im Frühjahr 2010 einfach nicht bearbeitet. Aufbauend auf Berichten in österreichischen Medien, die von Kontakten ranghoher FPÖ-Mitglieder zu „eindeutig neonazistischen oder rechtsextremen Organisationen im Inund Ausland“ sprechen, hat er versucht, die gesamte Struktur dieser Beziehungen zu analysieren. Es sei auch zu untersuchen, meint der Anwalt, was es bedeute, wenn Leute ständig das Verbotsgesetz in Frage stellen. „Wenn jemand so massiv für die Abschaffung des Verbotsgesetzes eintritt“, so Zanger, „kann das nur bedeuten, dass er das tun will, was jetzt verboten ist. Und das ist eine Vorbereitungshandlung zum Verstoß gegen das Verbotsgesetz.“

Es ist nichts geschehen im Lande Österreich. Die Anzeige ruht bei der Staatsanwaltschaft.

Was hat das alles mit den Mordtaten in Deutschland zu tun? Wir wissen, dass die österreichische Neonazi-Szene mit jener in Deutschland gut vernetzt ist. In der „Presse“ sagt ein Sprecher des Innenministeriums dazu, dass man von direkten Verbindungen nichts wisse, sie aber sehr logisch seien. So haben wir uns die Arbeit der Exekutive immer vorgestellt.

Wir sehen des Weiteren, dass die Staatsanwaltschaft mit Härte und Ausdauer Tierschützer verfolgt. Anzeigen zur Verunglimpfung von Ausländern, zu Hetzreden und Ähnlichem bleiben liegen. Wir sehen, dass das österreichische Parlament keine Überlegungen anstellt, ob Zellen, wie jene in Deutschland, auch in Österreich tätig sind. Es denkt scheinbar niemand daran, zu untersuchen, ob es auch ein V-Männer-System ähnlicher Art vom hiesigen Verfassungsschutz gibt.

Österreich verleugnet und verharmlost, wie es das immer getan hat. Für dieses Land gilt in Analogie zu Heinrich Heines Gedicht: Denk ich an Österreich in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.

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