Das Zünglein an der amerikanischen Waage

Nur zwei Prozent der US-Wähler sind Juden. Doch sie spielen in manchen Schlüsselstaaten eine entscheidende Rolle.
VON OLIVER GRIMM

Wenn sich ihm die Gelegenheit bietet, ein Thema in Klischees zu hüllen, kann sich Donald Trump bisweilen nur schwer im Zaum halten. „Ihr mögt mich ja nur, weil meine Tochter zufällig jüdisch ist“, rief der republikanische Präsidentschaftskandidat Anfang Dezember in Washington seinem Publikum aus der Republican Jewish Coalition zu (Ivanka Trump ist ihrem Gatten, dem Immobilienerben Jared Kushner, zuliebe konvertiert; siehe auch S. 21 zum Thema Konversion). Dann ließ er das Zerrbild vom reichen Juden folgen, von dessen Geld die Politiker abhängig sind: „Ich will euer Geld nicht. Ich will euer Geld nicht. Ich bezahle meine Kampagne selber.“ Und auch das antisemitische Vorurteil, alle Juden seien Schacherer, scheint sich in Trumps Weltbild zu finden: „Schaut, ich bin ein Verhandler wie ihr. Wir sind Verhandler“, sagte er in seiner Fundamentalkritik am internationalen Abkommen über das iranische Atomwaffenprogramm, die er mit der Behauptung, dass Präsident Barack Obama das Schlimmste sei, was Israel jemals passiert ist, abschloss.

Der polternde Demagoge Trump dürfte mit solchen Auftritten, sofern in den knapp zwei Monaten bis zum 8. November nichts Unerwartetes passiert, ein jahrzehntelanges Projekt der Republikanischen Partei torpedieren: die Stärkung der jüdischen Wählerbasis. Zwar sind nur zwei Prozent der USWähler Juden. Doch in Schlüsselstaaten wie Florida oder Ohio kann es auf sie ankommen. In Florida zum Beispiel leben rund 636.000 Juden. Im Jahr 2012 trennten Präsident Barack Obama und Mitt Romney dort nur 74.309 Stimmen. Wenn es den Republikanern gelingt, hier auch nur ein bisschen dazuzugewinnen, kann das entscheiden, wer am 20. Jänner 2017 als neuer Präsident angelobt wird.

Demokratische Dominanz schrumpft

Seit die entsprechenden Daten systematisch erfasst werden, bekennt sich durchwegs eine deutliche Mehrheit der amerikanischen Juden zur Demokratischen Partei. Laut der aktuellsten Erhebung des Pew Research Center sind 64 Prozent der US-Juden Demokraten, 26 Prozent Republikaner und neun Prozent Unabhängige (belastbare Umfragewerte für die Unterstützung Trumps und Hillary Clintons sind nach den beiden Parteitagen noch nicht erhoben worden). Zum Vergleich: Nur 44 Prozent aller Amerikaner sind erklärte Demokraten, dafür bekennen sich 37 Prozent zu den Republikanern, während sich 18 Prozent als unabhängig bezeichnen. 2012 stimmten 69 Prozent der Juden für Obama und nur 30 Prozent für Romney.

Doch diese klaren Zahlen kaschieren die Tatsache, dass die demokratische Dominanz bei den jüdischen Wählern seit Jahrzehnten schrumpft. Im Jahr 2000 zum Beispiel erhielt Al Gore noch 79 Prozent der jüdischen Stimmen. In einem lesenswerten Essay im Forward („How Republicans Tried To Flip the Jewish Vote – and Created Donald Trump“) erinnerte Samuel Freedman im Juli daran, dass in den Wahlen der Jahre 1932 bis 1944 rund 82 bis 90 Prozent der Juden für die Demokraten stimmten. Das war in erster Linie damit zu erklären, dass diese Generation der mehrheitlich aus Mittel- und Osteuropa eingewanderten Juden nur gemäßigt religiös waren. Sie hatten sich bereits mit dem Auszug aus dem Schtetl in kosmopolitische Metropolen wie Vilnius, Warschau oder Kiew von der Orthodoxie gelöst und dem Sozialismus zugewandt. Das spiegelte sich nach der AtlantikÜberfahrt auch in ihrem Wahlverhalten wider: 1920 stimmten mehr amerikanische Juden für die (inzwischen längst untergegangene) Socialist Party als für die Demokraten.

Bei den meisten amerikanischen Gesellschaftsgruppen lässt sich mit wachsendem Wohlstand eine latent konservativere politische Gesinnung feststellen. Doch Amerikas Juden, die mittlerweile die wohlhabendste soziale Schicht des Landes sind, blieben den Demokraten und ihrer egalitären Botschaft treu. „Juden verdienen wie Episkopale und wählen wie Puertoricaner“, hatte der einflussreiche Publizist Milton Himmelfarb einmal geunkt.

Doch nach dem Sechstagekrieg begann sich die politische Gemengelage im amerikanischen Judentum zu verändern. Freedman beschreibt in seiner Analyse, wie der Zionismus nicht nur in Israel, sondern auch in den Vereinigten Staaten religiös aufgeladen wurde. Die Siedlerbewegung in den besetzten Gebieten wurde für immer mehr amerikanische Orthodoxe zum Leitmotiv ihrer politischen Gesinnung. Vor allem der rechte Flügel der Republikaner nutzte die Israel-Frage als ideologischen Spaltkeil, nach dem Motto: Wer nicht bedingungslos für Israel ist, ist gegen uns Juden.

Diese ideologische Verhärtung spiegelt sich in den handelnden Personen wider. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu setzte 1996 im Rennen gegen Shimon Peres auf den republikanischen Wahlberater Arthur Finkelstein, der Umfragen und Strategien für die eingangs erwähnte Republican Jewish Coalition erstellt. Die Finanzierung dafür kam vom Las-Vegas-Casinomogul Sheldon Adelson – jenem Adelson, der gelobte, heuer rund 100 Millionen Dollar in Donald Trumps Wahlkampf zu stecken.

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