Das Weizmann Institut: Spitzenforschung aus Israel

„Mittelmäßigkeit ist etwas, was wir uns eindeutig nicht leisten können.“
Von Michael Stampfer

Ein Garten für die Wissenschaft … Haim Harari ist ein wortmächtiger Mann. Der theoretische Physiker leitete als Präsident das Weizmann Institut von 1988 bis 2001 und führt seine Gäste heute noch gerne über den großzügigen, grünen Campus, den er wesentlich mitgestaltet hat. Zwischen Palmen und Bougainvillea-Sträuchern verteilen sich die zahlreichen Forschungslabors, Ausbildungsstätten und Wohngebäude des Instituts. Fast jedes davon hat seine Geschichte. Der Sager zum ruinösen Charakter der Mittelmäßigkeit passt zum Mikro- und Nanostrukturzentrum, in dem Grundlagen für neue Materialien und Bauprinzipien für Halbleiter entwickelt werden. Als es Anfang der neunziger Jahre gelang, mit Professor Heiblom von IBM einen Spitzenwissenschaftler für den Aufbau dieses Zweigs zu engagieren, hatte das Institut insgesamt gerade größere finanzielle Probleme zu bewältigen. Die zuständige interne Planungskommission schlug zwei Varianten vor: 5 Millionen Dollar als Mindestbetrag oder 15 Millionen für eine großzügige Erstausstattung des Labors. Man entschied sich, großzügig zu investieren. Es sollte das nicht die einzige Stelle sein, bei der die österreichischen Besucher mit leichter Wehmut aufhorchten. Das Weizmann Institut ist eine der wissenschaftlichen Vorzeige-Einrichtungen in dem an guter Forschung nicht eben armen Israel. (Der letzte Chemienobelpreis beispielsweise ging an das kleine Technion in Haifa.) Die Hauptaufgabe dieser Forschungseinrichtung mit integrierter Graduiertenausbildung ist die Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften und damit verknüpft die Ausbildung von Master- und vor allem Doktoratsstudierenden im Rahmen der Forschung. Damit ist der Garten Weizmann zwar beträchtlich groß für ein Forschungszentrum, aber klein im Vergleich zu einer Volluniversität. Die von einer niedrigen Mauer umgebenen 1,2 Quadratkilometer des Campus sind bevölkert von etwa 2.500 Leuten, StudentInnen, ProfessorInnen, TechnikerInnen, GärtnerInnen usw. Und das Land gehört dem Institut, einschließlich einer großen Baulandreserve. Erneutes Aufseufzen bei den österreichischen Gästen. Der Blick über die Institutsmauer fällt auf umgebende und teils vom Institut „stammende“ (Spin-off) Hochtechnologie- Unternehmen. Der Leitung und den ForscherInnen reicht es freilich nicht, nur die regionale Umgebung oder Israel allein im Blickfeld zu haben. Ziel des Instituts ist es, in ein paar Bereichen weltweit an der wissenschaftlichen Spitze mitzuspielen. … denn Orangenplantagen alleine reichen nicht. Die Geschichte des Instituts spiegelt im Kleinen ein Stück der Geschichte der Bemühungen um die Staatswerdung Israels und ihrer Verwirklichung wider. Dr. Chaim Weizmann war zugleich erfolgreicher Chemiker und Politiker, erst als Führer der zionistischen Bewegung, dann als erster Präsident des Staates Israel. Zum Einwanderungs- und Aufbauprogramm der Zwischenkriegszeit gehörte auch der starke Glaube, dass es mit Landwirtschaft allein nicht getan sei und der erträumte Staat auch wissenschaftliche Einrichtungen brauche, die wieder zu Wertschöpfung führen. „Science-Based Industries“, eine auf den Wissenschaften aufbauende Wirtschaft nennen wir das heute. Mit der Gründung des „Daniel Sieff Research Institute“ im Jahr 1934 begann inmitten von Orangenplantagen in der Kleinsiedlung Rehovot die Geschichte. Es gab als Erstes nur das Chemieinstitut für Chaim Weizmann selbst, bezahlt von den Eigentümern der Kaufhauskette Marks & Spencer. 1944 wurde es – diesmal mit Geld von amerikanischen Spendern – in ein Forschungsinstitut mit fünf Arbeitsgruppen ausgeweitet und erhielt seinen heutigen Namen. Die „heißen“ Themen waren damals: Polymere, Krebsforschung, Mathematik, Biophysik und Isotopenforschung. Man versuchte von allem Anfang an Stars nach Israel, also in ein damals wissenschaftliches Nirgendwo, zu locken. Das Resultat war ein höchst erfolgreicher Beginn mit zwei arrivierten Immigranten und drei jungen, viel versprechenden heimischen Forschern. In der Nachkriegszeit und in den neunziger Jahren erlebte das Institut besonders große Wachstumsschübe, insgesamt in seiner Geschichte aber auch Phasen, in denen hart gegen ein Abrutschen in das Mittelmaß gekämpft werden musste. Heute steht das Weizmann Institut sehr erfolgreich da: in einigen Feldern wissenschaftlich an der Weltspitze, was sich daran zeigt, wie oft Arbeiten in wissenschaftlichen Publikationen zitiert werden. Auch gelang es erfolgreich, in neuen und sehr komplexen Bereichen, wie etwa der Hirnforschung, die Biologie, die Physik, die Chemie und die Computerwissenschaften zu disziplinenübergreifender Arbeit zusammenzuspannen. Sam Safran, der Vizepräsident für Forschung, betont, dass dazu starke organisatorische Klammern bei gleichzeitig hoher Flexibilität vonnöten sind: „Unsere Abteilungen sind rund um Forschungsschwerpunkte mit einer Mischung aus Wissenschaftsdisziplinen organisiert.“ Haim Harari assistiert und verweist auf die Wichtigkeit physischer Nähe für die Zusammenarbeit, den so genannten Cafeteria-Effekt. Kann man mit wissenschaftlicher Forschung Geld drucken? Leider ist es vorerst und in den meisten Fällen umgekehrt: Wissenschaftliche Forschung ist teuer. Personal, Laborausstattung, Materialien, Gebäude und vieles mehr sind zu bezahlen, gerade naturwissenschaftliche Spitzenforschung ist extrem kostenintensiv. Das Weizmann Institut braucht etwa 170 Mio. Dollar im Jahr. Wer gibt das Geld dafür her? Knapp 40 Prozent kommen vom Staat Israel in Form einer Basisfinanzierung. Knapp 30 Prozent erhält man für Forschung in konkreten Projekten, überwiegend aus staatlichen und gemeinnützigen Quellen. Interessant dabei ist auch, dass das Institut ein sehr aktiver Mitspieler in den Forschungsprogrammen der Europäischen Union ist. Es bleiben 30 Prozent, die aus privaten Mitteln stammen. Dabei denken wir als Mitteleuropäer sofort an Auftragsforschung der Industrie, sind damit aber auf dem Holzweg. Erstens betreibt das Institut Grundlagen- und keine angewandte Forschung. Zweitens sind es vielmehr Rückflüsse aus Patenten bzw. Lizenzverträgen und Schenkungen von Gönnern. Denn im Weizmann Institut versteht man es, Spenden zu akquirieren: Die reichen GeberInnen sitzen auf der ganzen Welt, können durch geschickte Abschreibmodelle Steuern sparen und so haben zahlreiche von ihnen schon einen Scheck über zehn Millionen Dollar unterschrieben. Dafür trägt vom größten Gebäude bis zur letzten Blumenrabattl- Einfassung alles groß und leuchtend die Namen der SpenderInnen. Das hat viel mit der angesprochenen Strategie der Stärkung der Wissenschaften als Grundlage für eine erfolgreiche Wirtschaft zu tun, viel aber auch mit den Werten der Bildung und des Gebens in der jüdischen Kultur, und das noch einmal verstärkt durch die entsprechende amerikanische Kultur der Donations. Ebenso hat das Institut eine hervorragende Politik entwickelt, langfristige Verwertung von geistigen Eigentumsrechten zu kultivieren. Derzeit scheint der Traum vom Gelddrucken wahr geworden zu sein: Die jährlichen einschlägigen Einkünfte liegen bei etwa 90 Millionen Euro. Das ist für eine Einrichtung dieser Größe einsamer Weltrekord. Das Geld geht sowohl an die ErfinderInnen als auch an das Institut. Diese gewaltigen Einkünfte fließen zum Teil in den Aufbau eines Vermögens, das in den USA verwaltet wird und derzeit etwa 500 Mio. Dollar beträgt. Das Institut erreicht damit einen höheren Grad an Unabhängigkeit auch für die Zukunft. Und so mischt sich in die Bewunderung der österreichischen Gäste beim Abschied aus dem grünen Forschungsgarten auch ein gerüttelt Maß an ein wenig neidischer Wehmut. n Die Homepage www.weizmann.ac.il bietet einen guten Überblick. Dr. Michael Stampfer, Geschäftsführer des Wiener Wissenschafts-, Forschungs- und Technologiefonds (WWTF), hat im September 2004 das Weizmann Institut besucht, um Lehren für österreichische Forschungseinrichtungen zu gewinnen. www.wwtf.at

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