Das verheimlichte Attentat

Der deutsche Kanzler Konrad Adenauer war im März 1952 Ziel eines Bombenattentats. Ein Polizeibeamter wurde getötet, als er versuchte, die Bombe zu entschärfen. Das enthüllt der deutsche Journalist Henning Sietz in seinem neuen Buch. Dahinter könnten Mitglieder einer radikalen zionistischen Splittergruppe gesteckt haben – eindeutige Beweise dafür bleibt der Autor jedoch schuldig.
Von Danielle Spera

Ein Journalist auf der Suche nach einer Geschichte. Alltäglich. Langweilig, wenn sich nichts Großartiges findet. Doch plötzlich stößt er auf eine kleine Notiz in einer Zeitung und merkt nach kürzester Zeit, dass er etwas Sensationelles in der Hand hat: ein versuchtes Attentat auf den deutschen Kanzler Konrad Adenauer. Tatsächlich erinnert man sich nicht, jemals von einem Attentatsversuch auf Adenauer gehört zu haben, wo noch dazu ein Polizeibeamter getötet wurde. Ein Attentat, das offensichtlich mehr oder weniger totgeschwiegen wurde. Scheinbar war niemand daran interessiert, die Hintergründe aufzudecken, die Akten werden Ende der 70er Jahre ohne Ermittlungserfolg geschlossen. Der Journalist aber gibt sich damit nicht zufrieden, ein geradezu detektivisches Interesse erwacht, er vertieft sich in die Materie, bis er Informationen über die Hauptverdächtigen bekommt, die früheren Ermittler aufspürt und praktisch beginnt, den Fall neu aufzurollen.

Er verfasst einen Artikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, sein Chefredakteur erklärt ihm: Machen Sie ein Buch daraus. Henning Sietz nimmt den Rat an und schreibt ein Buch: Im Mittelpunkt steht die Frage: Warum sollte dieser Fall weder verfolgt noch aufgeklärt werden? Immerhin war der Bundeskanzler der jungen Bundesrepublik Deutschland Ziel eines Attentats gewesen. Was also war geschehen?

Im März 1952 explodiert im Keller des Polizeipräsidiums von München eine Bombe. Wenige Stunden zuvor hatten zwei Buben auf dem Hauptbahnhof ein Paket von einem Unbekannten übernommen. Sie sollten das Päckchen, adressiert an den damaligen deutschen Kanzler Adenauer, zur Post bringen. Doch die beiden werden stutzig, als der Unbekannte ihnen folgt. Sie bringen das Paket statt zur Post zur Polizei. Der Sprengmeister wird gerufen, er findet in dem Paket den zweiten Band eines Brockhaus-Lexikons, öffnet ihn und fliegt dabei in die Luft. Der Sprengstoffexperte stirbt an Ort und Stelle, zwei Polizisten werden schwer verletzt. Man schreibt den 27. März 1952.

Fünf Tage zuvor haben in der Nähe von Den Haag die historischen Verhandlungen zwischen deutschen und israelischen Unterhändlern über das Wiedergutmachungsabkommen begonnen. Es soll der Bundesrepublik die Rückkehr in die Gemeinschaft der Völker ermöglichen und Israel die finanzielle Rettung sichern. Kurz darauf werden zwei weitere Briefbomben, adressiert an die deutsche Delegation bei den Wiedergutmachungsverhandlungen, entdeckt und entschärft.

Am 1. April 1952 gehen Bekennerschreiben bei verschiedenen Nachrichtenagenturen ein. Darin werden die Wiedergutmachungsverhandlungen vehement abgelehnt. Eine „Organisation jüdischer Partisanen“ schreibt: „Die Welt soll wissen, dass das jüdische Volk niemals die Rückkehr der Deutschen in die Gemeinschaft der Völker zulassen kann.“

Tatsächlich waren viele Israelis über den Beschluss der Knesset, mit Deutschland zu verhandeln, empört: Man wollte von den Deutschen kein Blutgeld für den millionenfachen Mord. Vor der Knesset kam es sogar zu Ausschreitungen. Jüdische Zeitungen schrieben allerdings damals, dass die unterzeichnende Organisation ihnen völlig unbekannt sei und dass jeder Beweis, dass das Attentat auf Konrad Adenauer von radikalen Juden verübt worden sein könnte, fehle.

Am 2. April meldete sich aber im deutschen Generalkonsulat in Marseille ein Mann, der sich weigerte, seinen Namen zu nennen, sich aber für einen jüdischen Emigranten ausgab und einen anderen jüdischen Emigranten als Täter nannte.

Sietz findet einen der damals leitenden Untersuchungsbeamten und begibt sich mit ihm nochmals auf Spurensuche. Für die Ermittler hatte sich aus vielen Mosaiksteinen ein jüdischer Täterkreis abgezeichnet. Adenauer soll dazu gesagt haben: „Für mich ist das die Tat eines Verrückten. Ebenso wie jeder anständige Deutsche es ablehnt, mit den Wahnsinnstaten sadistischer Gestapoleute identifiziert zu werden, lehne ich es ab, das Judentum mit dem blödsinnigen Fanatismus eines Einzelnen zu belasten, nur weil dieser zufällig Jude ist.“

Auch Henning Sietz glaubt nach seinen Nachforschungen fest daran, dass eine Splittergruppe der „Irgun Zwai Leumi“ hinter dem Attentat steht. Diese radikale zionistische Untergrundbewegung, die mit Terroranschlägen gegen die Briten in Palästina kämpfte, ist nach der Gründung Israels aufgelöst worden. Sietz stellt die Theorie auf, dass sich aber nicht alle „Irgun“-Mitglieder mit der Auflösung zufrieden gaben, sondern auf eigene Faust weiter aktiv geblieben sein könnten.

Sietz schildert ausführlich die Geschichte der „Irgun“ und den Einsatz konkurrierender jüdischer Untergrundgruppen in Europa, die um Einfluss in Israel kämpften. Der Autor nennt 15 Personen aus diesem Kreis, die er als Drahtzieher des Adenauer-Attentats ausmacht. Interessantes Detail am Rande, auch der anerkannte Psychotherapeut Moshe Feldenkrais war bei „Irgun“ aktiv und 1948 an einem Attentat auf ein britisches Militärlager in Deutschland beteiligt. Eine von unzähligen Aktionen, um die Briten zu zwingen, den Zuzug jüdischer Einwanderer nach Palästina zu gestatten.

Sietz beschreibt detailliert, woran die Ermittlungen scheiterten, beweisen kann er allerdings nichts und so steht auch am Ende des Buches kein Täter fest. Allerdings skizziert der Hamburger Journalist die Situation in der Bundesrepublik genau. Allein durch seine Schilderung jener Personen, die mit der Ermittlung betraut sind, lässt sich die Stimmung in Deutschland nach dem Krieg gut nachvollziehen. Im neuen Bundeskriminalamt setzt sich das Personal aus hochrangigen nationalsozialistischen Beamten zusammen, die reiche Erfahrung beim organisierten Töten von Juden gesammelt hatten. Dass diese Beamten dann in den 50er Jahren jüdische Verdächtige verhören, also jüdische Partisanen von ehemaligen SS-Männern befragt werden, beschreibt die unappetitliche Situation sehr treffend und lässt tief blicken.

Im Laufe des Buches geht Sietz bei den unterschiedlichen Aspekten, die den von ihm vermuteten Hintergrund des Adenauer-Attentats bilden, sehr ins Detail. So sehr, dass man bei der Lektüre fast vergisst, was eigentlich Thema sein sollte. So widmet er zum Beispiel einige Seiten ausführlichst der Technik des Bombenbauens, oder geht bei zu Unrecht Verdächtigten so sehr in Einzelheiten, dass der rote Faden im Unendlichen an Detailinformationen verloren geht.

Schlusspunkt des Buches bilden zahlreiche Vermutungen über die Hintergründe des Attentats auf Adenauer. Dabei bemerkt Sietz, dass es wohl nicht plausibel sei, dass „verbohrte Alt-Nazis, verbitterte SS-Männer oder wild gewordene Landser“ das Attentat begangen hätten. Ein Aspekt, der zwar im ganzen Buch nicht erwähnt wird – ein Gedanke, der einem aber doch bei der Lektüre hie und da durch den Kopf geht. Auch den tschechischen Nachrichtendienst schließt Sietz aus, denn der Anschlag (sprich die Bauart der Bombe und die „Übergabe“) seien „unter dem Niveau dieses Geheimdienstes“ gewesen. Daher muss sich alles ausschließlich auf eine Gruppe radikaler Juden konzentrieren, die ja tatsächlich im Kern der Ermittlungen stand, schreibt Sietz.

Oder auch nicht, denn handfeste Beweise fehlen bis heute. So plausibel die nüchterne und sachliche Darstellung auch klingen mag, die Tatsache, dass sich Sietz letztendlich doch auf Spekulationen einlassen muss, da einwandfrei belegte Tatsachen fehlen, macht seine Theorie heikel, umso mehr als sie – vom Autor ungewollt – von Anhängern der „Weltverschwörungstheorie“ ausgeschlachtet werden könnte. Was bleibt ist ein interessanter Einblick in den politischen Alltag der 50er Jahre in Deutschland, Frankreich und Israel.

 

Henning Sietz: „Attentat auf Adenauer – Die geheime Geschichte eines politischen Anschlags“

Siedler Verlag, Berlin 2003; 341 S., Abb., 19,90 Euro

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