Das Toleranz-Paradoxon

„Edel sei der Mensch, hülfreich und gut!“

Ob der Mensch ein guter ist, man weiß es nicht. Unumstritten steht aber fest, dass Ronni Sinai und Nathan Spasić nicht Kantor und Innenminister werden wollen.

Ronni: Nathan, mein Lieber, mich beschäftigt etwas, ich bekomme kaum ein Auge zu …

Nathan: Nu, wieso? Bist du etwa positiv? Schließlich ist das heutzutage ja das neue negativ. Oder umgekehrt.

Ronni: Nein, das heißt, ja, ich bin Covid-negativ. Bis jetzt. Aber ich hab da so ein Buch gelesen, dass der Mensch im Grunde gut sei. Nun hab ich da allerdings meine Zweifel: Die Trumpianer, die Verschwörungsmythiker, die Terroristen, ich selbst, alle miteinander sind doch meschugge, und das ist ein schmeichelhafter Begriff.

Nathan: Ich bin beruhigt. Auch weil mit Trump die letzten Verschwörungstheoretiker aus dem Weißen Haus ziehen. Doch ob die Nachfolge „im Grunde gut“ ist – das bezweifle ich. Was bedeutet das denn überhaupt? Denkst du, dass wir alle einen guten Kern in uns haben?

Ronni: Du bestimmt, Nathan. Was mich betrifft, bin ich mir nicht so sicher. Woraus besteht der gute Kern denn? Dringt man zu ihm überhaupt vor, so zerfällt er schon beim Hinsehen zu Staub. Ich bin vielleicht ein guter Mensch, aber ein schlechter Jude. Warum? Na, weil ich Leute nicht mag, bei denen es umgekehrt ist. Und Toleranz ist doch die gute Eigenschaft schlechthin, nu? Leben und Trump leben lassen. Wo ist denn bei dir die rote Linie der Toleranz überschritten?

Nathan: Das gute alte Toleranz-Paradoxon. Wie kann man beispielsweise einem Menschen tolerant gegenüberstehen, der andere aufgrund ihrer Herkunft oder Religion diskriminiert? An das Gute per se glaube ich nicht. An das Schlechte im Übrigen auch nicht. Ich denke, dass die Zuschreibung immer ein wenig das Werkzeug der Obrigkeit ist. Wir haben das ja nach dem Attentat in der Wiener Innenstadt gesehen, wo ganz aufgeregt darüber diskutiert wurde, ob die zwei jungen Männer mit türkischem Migrationshintergrund nun Helden seien oder nicht, weil einer von ihnen offenbar ein Naheverhältnis zu den Grauen Wölfen hätte. Das fand ich eigentlich recht schäbig. Den geretteten Personen wird wohl die politische Orientierung der jungen Männer egal sein.

Ronni: Und genau darum geht es unter anderem in dem Buch von Bregman. Wenn vermeintliche Feinde einander in Stresssituationen gegenüberstehen, kommen sie einander emotional sehr nahe und zeigen sich auf einmal solidarisch und hilfsbereit. Frontsoldaten hatten angeblich häufig Schießblockaden, als sie sich im Krieg noch von Angesicht zu Angesicht begegneten. Stichwort: Dem Russen lieber einen Tschick anbieten, statt ihn über den Haufen zu ballern. In aller Regel fällt es Menschen deutlich leichter, sich selbst für andere in Gefahr zu begeben, als jemanden zu töten. Ich persönlich töte nur in Ausnahmefällen. Zum Beispiel für Nougatschokolade.

Nathan: Ohne mich allzu sehr in pazifistische Gewässer zu begeben und dir damit die Möglichkeit zu bieten, mich als Hippie abzustempeln, halte ich fest, dass sich die Menschheit grundsätzlich an ein paar der zehn Gebote halten könnte. „Du sollst nicht töten“ beispielsweise – oder, wie man in Wien sagt: „Schleich di’, du Oaschloch!“ Ich denke, dieser Satz ist auch ein Appell an unseren Sicherheitsapparat und die politischen Verantwortlichen. Es ist doch erschreckend, dass Pubertierende mit löchrigem Bart, die gerade erst den Stimmbruch überwunden haben, sich inmitten unserer Stadt zu Attentätern ausbilden und scheinbar ohne große Mühe auf die Gesellschaft losgehen können.

Ronni: Nu, als ich noch jung war, hab ich nicht einmal an löchrigen Bart zusammengebracht. Andernfalls wäre ich vielleicht auch zum Terroristen geworden. Der Stimmbruch hat mich just zur Bar Mizwa erreicht, Grönemeyer hätte nicht besser aus der Thora vorgetragen. Was meinen Gesang betrifft, habe ich mich bis heute nicht wesentlich verbessert, aber …

Nathan: … Kantor wirst du eh keiner mehr. Und du lenkst geschickt vom Thema ab.

Ronni: Ja, hab ich von unseren Politikern gelernt. Dabei trage ich gar keine Verantwortung. Zurücktreten tu ich auch nur zur Verteidigung. Apropos Rücktrittskultur. Ich finde, man sollte Verantwortlichen eine Chance geben, die Dinge aufzuklären und in Ordnung zu bringen. Es kommt außerdem selten was Besseres nach. Oder reißt du dich um den Posten des Innenministers?

Nathan: Ich denke, mit Kickl wurde ein Tiefpunkt österreichischer Sicherheitspolitik erreicht, so gesehen kann es nur noch bergauf gehen. Und in diesem optimistischen Geiste schlage ich vor, dass wir uns auf Folgendes einigen: Du wirst nicht Kantor und ich nicht Innenminister – und das ist auch gut so. Mein letztes Wort.

Ronni: Ach Nathan, dein vorletztes!

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