Das sind geklebte Bewegungen

NU sprach mit dem Spezialisten für Körpersprache Samy Molcho über die schaustellerischen Qualitäten der politischen Spitzenkandidaten, den schmalen Grad zwischen Authentizität und Künstlichkeit sowie richtige und falsche Gesten im Wahlkampf.
Von Barbara Tóth

NU: Herr Molcho, auf der politischen Bühne h e rrscht Wahlkampf. Welcher der vier Spitzenkandidaten ist der beste Schauspieler?

Molcho: Derjenige, der authentisch ist. Wer authentisch ist, ist charismatisch. We n n jemand authentisch ist und es bleibt, wirkt er immer glaubwürdiger als jemand, der versucht, seine Person total zu verändern. We n n man jemanden in eine Zwangsjacke steckt, versucht, ihm ein vollkommen anderen Profil zu geben, ist er mit Sicherheit verkrampft und verhalten – und damit wirkungslos.

NU: Authentisch – das trifft in vollem Maße wohl am ehesten auf den Parteichef der Grünen, Alexander Van der Bellen, zu.

Molcho: Er ist locker, das stimmt. Er ist ein wenig patriachalisch, was die Österreicher mögen, aber sanft und sehr klar. Vor allem ist er völlig unverkrampft, wenn er spricht. Er erweckt Vertrauen. Wenn er mit dem Zeigefinger zeigt, ist es nie eine stechende, aggressive Geste, sondern eine weiche, mahnende. Er zeigt eine Richtung auf, aber er ist nicht aggressiv. Seine Hände gehen oft parallel, das zeigt Pragmatismus. Er schützt seine Gedanken von links und rechts wie durch eine Mauer. Dennoch bleiben seine Hände dabei weich und zeigen dadurch Flexibilität. Van der Bellen sitzt oft leicht zurückgelehnt, rutsch ein wenig nach hinten und verschränkt die Arme am Hinterkopf. Das machen wir, wenn uns eine gute Formulierung gelungen ist. Wir sind zufrieden, die abstehenden Ellbogen schützen unsere n Kopf und damit unsere bereits fertig gedachten Gedanken. Er ruht in sich.

NU: Ruht SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer in sich?

Molcho: Das glaube ich nicht. Er ist noch ein bisschen gehemmt. Vor allem in Situationen, wo er die Verpflichtung hat, seine Rolle vor einem großen Publikum zu spielen. In dem Moment ist er verhalten und das ist schade. Neuerdings lächelt er manchmal ein wenig selbstironisch, spielt mit dem eigenen Image. Er schaut dabei manchmal aus wie ein Lausbub, das weckt Sympathien bei Frauen. Gleichzeitig signalisiert das Lächeln Staatsmännisches.

NU: Das ist wohl auch der Grund, warum wir d e rzeit nur lächelnde Politiker sehen. Läßt sich ein überlegenes Lächeln so einfach antrainieren?

Molcho: Das ist sehr schwer. Ein dauerhaftes Lächeln, das auch während dem Reden bleibt, ohne verkrampft zu wirken, ist sehr schwer zu erlernen. Man muß lächeln und gleichzeitig ausatmen, sonst verkommt das Lächeln zu einer Maske. Der ehemalige SPÖ-Chef Viktor Klima etwa hatte zuletzt nur mehr gelächelt, man konnte nicht mehr differenzieren, was nimmt er ernst, was nicht. Wichtig ist, das Lächeln im richtigen Moment einzusetzen. Das alles ist sehr schwer zu erlernen und bedarf langen Trainings. Das ist wie bei einem Schauspieler. Und was sind Politiker anderes als Schauspieler? Ein Politiker steht vor Publikum. Das ist sein Beruf, zusätzlich zum ideologischen Programm.

NU: Sogar Bundeskanzler Wolfgang Schüssel bemüht sich derzeit um ein freundliches Gesicht.

Molcho: Ja, aber dennoch zeigt sein Gesicht weder Freude noch Traurigkeit. Er mag lächeln, aber zeigt dabei keine Gefühle. Wi r können uns an seinem Gesicht nicht orientieren. Er hält eine Maske konsequent vor sein eigentliches Ich, er ist wie eine Figur aus einem venezianischen Karneval. Früher hatte er die Masche. Sie war da, ob es nun passte oder nicht. Sie war sein Schutz. Heute bleibt im nur noch sein Gesicht, die schmalen Lippen. Es lässt viele Fragen offen: Wo ist er involviert, wo nicht? Was berührt ihn, was nicht? Wie wird er reagieren? Was sind seine Absichten?

NU: Auch FPÖ-Obmann Mathias Reichhold(*) lächelt unentwegt, seine Gegner belächeln ihn aber längst als österreichische Ausgabe des Antihelden „Forrest Gump“. Zurecht?

Molcho: Alles an ihm ist Milde. Er hat keine Dynamik, zeigt keine Zähne. Er steht in der Mitte wie ein lieber Bauer. Mich erinnert er an den ehemaligen US-Präsidenten Jimmy Carter. Auch er wurde nach schweren Skandalen an die Spitze gewählt, er hielt sich, wie wir wissen, nicht lange.

NU: Gibt es Gesten, die Menschen universell ansprechen und gewissermaßen ein sicheres Ticket für politischen Sympathiegewinn sind?

Molcho: Viele Bewegungen sind universell, weil Menschen das gleiche biologische Programm haben. Dann gibt es codierte Bewegungen, die sich von Kultur zu Kultur unterscheiden. Im deutschsprachigen Raum muss man sich beispielsweise in die Augen schauen, Afrikaner schauen Respektpersonen nie an, ein Japaner tut es nur, wenn er ein Samurei ist. Die optimale Kraft in meinem Körper habe ich, wenn ich mich gerade halte. Dann ist mein Kopf gerade, mein Brustkorb stark. Das bedeutet: Konfrontation, Kampfbereitschaft. In dem Moment, wo ich Luft aus meinem Bru s tkorb lasse, ändert sich die Stimmung. Ich sacke zusammen, mein Kopf neigt sich.

NU: Wie zeigt man Überlegenheit?

Molcho: Überlegen ist, wer Ruhe behält. Schwach ist, wer sich verkrampft. Im Western kommen fünf Bösewichte, der Held isst ruhig seine Bohnensuppe weiter. Politiker schauen den Gegner nicht an, wenn er sie attackiert. Lieber blättern sie in den Unterlagen, zupfen an ihrem Sakko. Wer seinen Gegner anschaut, läuft Gefahr, unterbewusst zu nicken – und damit Einverständnis zu signalisieren.

NU: Was ist der größte Fehler, den ein Politiker in seinen Gesten machen kann?

Molcho: Sich zumachen und sich rechtfertigen. Sich wie ein Block bewegen, die Brust und die Schulterpartie „stauen“. Hände in den Schoß legen. Sich schuldig fühlen. Die Hände zu schnell zurückziehen – das zeigt Unsicherheit. Handbewegungen sollen grundsätzlich zwischen Gürtel und Augenlinie stattfinden. Fallen die Hände aus, fehlt ein Element. Thomas Klestil etwa behält beim Sprechen seine Oberarme eng am Körper. Damit signalisiert er: Ich gehe kein großes Risiko ein. Gleichzeitig benutzt er sehr oft die linke Hand, manchmal fährt sie ihm regelrecht aus. Die linke Seite ist die Gefühlsseite, das heißt, er kann seine Gefühle weit von sich weisen.

NU: Ist ein Politiker automatisch schwach, wenn er Gefühle zeigt?

Molcho: Nein. Frauen reagieren sehr positiv auf Politiker, die Gefühle zeigen. Wenn Männer Gefühle zugeben, Rührungen zeigen und gleichzeitig klar bleiben, wirkt das auf jeden Fall. Anteilnahme zeigen und gleichzeitig eine politische Antwort haben – als Geste darf dann der Zeigefinger auch wieder auftauchen.

NU: Politiker lassen sich im Wahlkampf im Schnellsiedeverfahren Gesten antrainieren. Kann man Menschen so schnell ummodeln?

Molcho: Unmöglich. Das ist wie der Unterschied zwischen einem lebendigen Bild und einer Fotomontage. Dann sieht man geklebte Bewegungen. Fred Sinowatz zum Beispiel: einhervorragender Politiker, aber niemand, der mit erhobener Faust spricht. Das haben ihm seine Berater antrainiert. Das war nicht authentisch. Entscheidend ist auch, was ich aus Fehlern mache. Wer einen Fehler zugibt, kann daraus eine Stärke machen. Gusenbauer etwa hat eingestanden, dass er sich nicht als politisches Model eignet. Das war klug.

NU: Sie arbeiten mit Schauspielern, würd e n Sie auch Politiker beraten?

Molcho: Eine äußere Veränderung ohne innere Veränderung geht nicht. Der Körper ist der Handschuh der Seele. Wenn ein Politiker seine Körpersprache verändern will, steht für mich an erster Stelle seine Weltanschauung. Kann er sie verändern? Will er sie nur wegen der Wahl verändern? Dann ist das nicht viel mehr als eine schlechte Inszenierung. Dazu bin ich zu sehr Künstler, um das zu akzeptieren.

 

(*) Das Interview fand vor dem Rücktritt Reichholds als Parteiobmann statt.

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