Das Schmerzensgeld ist sehr hoch, sodass man ruhig ein bisschen was aushalten kann

„Die Masse, die Feuer legt, hält sich für unwiderstehlich. Alles wird zu ihr stoßen, während es um sich greift. Alles Feindliche wird von ihm vernichtet werden.“ Es war angeblich die ehe-malige Rapid-Heimstätte „Pfarrwiese“, die den in unmittelbarer Umgebung wohnenden Elias Canetti zu seinem Klassiker „Masse und Macht“ inspiriert hat. Und tatsächlich: Kaum ein anderes Kollektiv lässt so viel Raum für sozialpsychologische Betrachtungen wie die Fanschar im Fußballstadion.
Von Fabian Burstein

Dabei verwirren vor allem die Widersprüche: Euphorie und Niedergeschlagenheit liegen genauso nah beieinander wie Völkerverständigung und Fremdenhass. Rapid-Präsident Rudolf Edlinger kann von dieser Achterbahnfahrt ein Lied singen: Der Meisterklub von 2005 — heuer nur abgeschlagener Fünfter — hat die besten Fans im Land. Und die gefürchtetsten.

NU: Wir sprechen heute über die vielen kontroversiellen Seiten des Fußballs. Da drängt sich zunächst die Frage auf, was die Faszination des Sports ausmacht, dass man sich nach zig Jahren Politik auch noch den Job des Vereinspräsidenten antut. Edlinger: Präsident bei einem Tra-di-tionsverein wie Rapid zu sein, ist ein sehr hartes Geschäft. Die Emotion spielt eine so große Rolle, dass man sich oft wundert, wie realistische Per-sönlichkeiten ihren Gefühlen und ihrer wirtschaftlichen Unvernunft freien Lauf lassen. Als ich gefragt worden bin, ob ich das Präsidentenamt übernehmen würde, gab es bei Rapid einige wirtschaftliche Eruptionen. Man hat mir zugebilligt, dass ich bei allem Fantum dafür sorge, dass der Verein nicht in die Zahlungsunfähigkeit schlittert. NU: Sie haben die Emotionalität angesprochen. Ist es da legitim, dass am Fußballplatz ein etwas rauerer Ton herrscht? Edlinger: Da muss man unterscheiden: Ich glaube nicht, dass es sehr viele Fans gibt, die im direkten Gespräch von Fan zu Spieler ausfällig werden würden. Es existiert aber eine Art kollektive Aggressivität: Also die Tribüne, die etwas schreit, das wider die guten Sitten ist. Im Kollektiv ist man stark und aggressiv. Solange sich das auf verbale Emotionalität beschränkt, muss man damit umgehen können. Wenn es das Verbale überschreitet oder politische Randgruppen versuchen, ihr Süppchen zu kochen, muss man massiv dagegen einschreiten. NU: Wir stehen vor einer WM unter dem Motto „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Die akribische Vorbereitung auf Straßenschlachten wirkt da etwas paradox. Edlinger: Wir leben in einer Zeit und in einem geografischen Raum, wo die demokratischen Systeme sehr stark gefestigt sind. Radikale Elemente sind in der Regel hoffnungslose Minderheiten, die nur dann sichtbar werden, wenn sie bestimmte Ereignisse zum Anlass nehmen, um in Erscheinung zu treten. Insofern besteht kein Zweifel, dass unter Umständen rechtsradikale Minderheiten versuchen könnten, die Fußball-WM zu einer Bühne zu missbrauchen. Und da finde ich es auch richtig, dass sich die öffentlichen Instanzen darauf vorbereiten, um so was im Keim zu ersticken. NU: Bundespräsident Fischer hat einmal gesagt, dass es ihm peinlich ist, wenn bei Länderspielen ein Pfeif-konzert die Gast-Hymne begleitet. Wie geht’s dem Rapid-Präsidenten, wenn die Vorstellung der Gegner durch Schimpfwörter garniert wird? Edlinger: Mir würde es persönlich niemals einfallen, bei einem Spieler vorweg Unmutsäußerungen zum Ausdruck zu bringen. Andere Leute sehen das anders. Wo es bei der Verbalität bleibt, muss man es bei einem Sport wie Fußball einfach zur Kenntnis nehmen. Dort, wo die Grenzen der Verbalität überschritten werden, muss man einschreiten. NU: Der Kapitän von Lazio Rom begegnet seinen Fans mit dem Faschistengruß, Barcelona-Stürmer Eto’o wäre unlängst wegen rassistischer Verhöhnungen fast vom Platz gegangen. Warum gibt es gerade beim Fußball die Tendenz, dass neben der emotionalen auch die politische Entgleisung hinzukommt? Edlinger: Ich glaube nicht, dass man da von einer Tendenz sprechen kann. Wobei man immer wachsam sein muss. Mit einer bestimmten Quantität stellt man auch eine kollektive Anonymität her. Warum es das nicht bei anderen Sportarten gibt? Weil dort weniger Leute sind. Personen, bei denen man schon aufgrund ihres Aussehens davon ausgehen kann, dass sie rassistische Laute von sich geben, kommen leichter in ein Stadion mit 30.000 Leuten rein, als in eine Volleyball-Halle, wo 150 Leute sitzen. Außerdem brauchen diese Menschen ihr Publikum. Wenn sich aktive Sportler derartig betätigen, dann ist das wirklich extrem problematisch. Ich würde einen Spieler, der sich so benimmt, sofort hinausschmeißen. Und wenn er der Beste wäre. Unabhängig von der politischen Gesinnung: Neofaschisten liegen außerhalb des demokratischen Verfassungsbereiches. Das hat in so einem publikumswirksamen Bereich wie dem Fußball nichts verloren. NU: Bei beiden Wiener Vereinen gibt es Minderheiten, die dieser Gesinnung nahe stehen. Hat der moderne Fußball Identitäten untergraben? Schließlich ist Rapid ein traditioneller Arbeiterverein und die Austria ein Klub mit jüdischer Verwurzelung. Nur dürfte das vielen Fans nicht bekannt sein. Edlinger: Tendenziell ist das schon bekannt. Aber das spricht eigentlich für den modernen Fußball, dass diese Uraltparolen in der Versenkung verschwunden sind. Noch vor zehn bis fünfzehn Jahren hat es solche Sprechchöre gegeben. Die sind weg und da bin ich sehr froh, weil sie den Fußball und sein Fantum in eine Richtung führen würden, die man bekämpfen müsste. WEB-TIPPS: www.skrapid.at www.ray-magazin.at Rudolf Edlinger (geb. 1940) absolvierte nach einer Ausbildung zum Lithographen die Handelsschule und später den Lehrgang für Werbung und Verkauf an der Hochschule für Welthandel. Seine Polit-Karriere startete er 1964 als Bezirkssekretär der SPÖ Währing. Mit 29 Jahren zog Rudolf Edlinger in den Wiener Landtag ein, 1986 schaffte er den Sprung in die Wiener Landesregierung, der er bis zu seiner Angelobung als Finanzminister angehörte. Die Liebe zum SK Rapid entdeckte Rudolf Edlinger als Sechsjähriger bei einem Besuch der legendären Pfarrwiese, frühere Heimstätte des Traditionsvereins. Auf Funktionärsebene ist der ehemalige NAC-Jugendspieler den Grün-Weißen seit 1989 verbunden. 2001 übernahm Edlinger das Amt des Vereinspräsidenten. Fabian Burstein arbeitet in der Werbung und schreibt überdies die monatliche Kolumne „TV-Protokolle“ im österreichischen Magazin ray (www.ray-magazin.at). Als Fan und Jahreskartenbesitzer des SK Rapid Wien erlebt er Woche für Woche die Höhen und Tiefen des heimischen Fußballs.

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