Das neue Staatsbürgerschaftsgesetz – eine kleine Revolution

Martin Engelberg

Es muss zirka zehn Jahre her sein. Ein österreichischer Spitzenpolitiker (ich lasse seine Parteizugehörigkeit hier bewusst weg) und ich sahen einander fassungslos an. Soeben hatte ich ihn gefragt, ob es denn nicht möglich und angebracht wäre, auch den Nachkommen österreichischer Jüdinnen und Juden, die aus dem nationalsozialistischen Österreich geflohen waren, die österreichische Staatsbürgerschaft anzubieten. Er konnte sich das ganz und gar nicht vorstellen und sagte so etwas wie: „So was bringen wir nie durch.“ Für mich war es damals wie ein Schlag in die Magengrube.

Spät, sehr spät, im Jahr 1993, unter der Kanzlerschaft von Franz Vranitzky, wurde es überhaupt erst den Verfolgten des Naziregimes selbst möglich gemacht, die österreichische Staatsbürgerschaft zurückzuerlangen, die sie durch Flucht oder Vertreibung verloren hatten oder die ihnen aufgrund der Nürnberger Rassegesetze entzogen worden war. Und dieses späte Zeichen der Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft war mit oftmals langwierigen und komplizierten Verfahren verbunden.

Die Bundesregierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz setzte dann diesen wichtigen und überfälligen Schritt. In der Sitzung des Ministerrates am historisch bedeutungsvollen 13. März 2018, also 80 Jahre nach dem sogenannten „Anschluss“, wurde beschlossen: „Als ein weiterer, wenngleich später Schritt der Wiedergutmachung soll daher nunmehr eine Regelung geschaffen werden, die auch den Nachkommen von Vertriebenen des Nationalsozialismus den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft unter Beibehaltung der bisherigen Staatsbürgerschaft ermöglicht.“

Vor allem im Zuge der Endverhandlungen der Gesetzesänderung geschah dann aus meiner persönlichen Wahrnehmung Erstaunliches: Alle von verschiedener Seite vorgelegten Entwürfe wurden überarbeitet, sämtliche bürokratischen und formalen Einschränkungen beseitigt und die Gruppe der Anspruchsberechtigten maximal ausgedehnt. Somit stellt die im September 2019 im Nationalrat beschlossene Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes nachgerade eine kleine Revolution für Österreich dar. Hier die wichtigsten Eckpunkte:

Erstens können jetzt Nachkommen von Verfolgten unbeschränkt die österreichische Staatsbürgerschaft als weitere Staatsbürgerschaft erlangen. Die Einschränkungen der Antragsberechtigung auf lediglich drei Generationen oder auf fünf Jahre oder nur auf väterliche Vorfahren (wie in manchen Medien berichtet) stammten aus unterschiedlichen Entwürfen, die aber schlussendlich allesamt gestrichen wurden.

Zweitens wird in den Erläuterungen zum Gesetz festgehalten, dass an die „Nachvollziehbarkeit des Vorliegens der Voraussetzungen … kein unverhältnismäßig hoher Maßstab anzulegen sein“ wird. Den Nachkommen werden also keine unnötigen bürokratischen Hemmnisse zum Nachweis ihrer Anspruchsberechtigung in den Weg gelegt. Eine weitere, ganz wichtige Klärung.

Drittens sind jetzt auch Personen anspruchsberechtigt, deren Vorfahren Bürger der Donaumonarchie bzw. deren Nachfolgestaaten waren und daher 1938 gar nicht österreichische Staatsbürger waren, sofern sie ihren Hauptwohnsitz damals in Österreich hatten.

Viertens wurde auch noch der Zeitraum, währenddessen die Vorfahren die österreichische Staatsbürgerschaft verloren oder aufgegeben hatten, bis zum 15. Mai 1955 erweitert – dies, um auch die Fälle von verhinderter Rückkehr nach Österreich oder verspäteter Ausreise zu berücksichtigen. Damit sind auch die Nachkommen jener Personen umfasst, die beispielsweise 1945 aus dem KZ befreit wurden und erst später auswanderten, die als Folge der erlittenen Verfolgung erst nach dem Kriegsende emigrierten und beispielsweise in Österreich nicht mehr Fuß fassen konnten.

Dass die Beschlussfassung im österreichischen Nationalrat einstimmig erfolgte, gab dieser Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes noch eine zusätzliche Bedeutung. Es war ein bewegender Moment für mich, zumal ich die Ehre hatte, sehr eng an der Ausarbeitung des Gesetzes mitzuarbeiten. Ich bin daher auch, neben den Klubobleuten, als einer der Sponsoren des Gesetzes namentlich genannt.

Schlussendlich hat der Nationalrat dann noch die Bundesregierung aufgefordert, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um den zuständigen Behörden die zusätzlichen Personal- sowie Finanzressourcen zur Verfügung zu stellen, damit diese die Bearbeitung der Anträge, die von Nachkommen der Opfer des Nationalsozialismus gestellt werden, „kundenfreundlich, professionell und rasch durchführen können“. Erste Schätzungen des Außenministeriums gehen von der eindrucksvollen Zahl von 500.000 bis 800.000 Anspruchsberechtigten aus. Daher wird die Antragstellung erst ab 1. September 2020 möglich sein.

Schlussbemerkung: An einer Antragstellung Interessierte können für weitere Informationen die für sie zuständige österreichische Vertretungsbehörde kontaktieren. Sehr gerne können Sie sich auch an mich wenden (martin.engelberg@parlament.gv.at). Ich werde mich bemühen, Sie dann über die aktuellen Entwicklungen auf dem Laufenden zu halten.

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