Das jüdische Museum in Paris

Viel edles Holz und viel Glas: Im „Musée dart et dhistoire du Judaisme de Paris“, dem jüdischen Museum in Paris, erzählt das offizielle Frankreich lieber eine Geschichte aus ferner Vergangenheit.
Von Michaela Spiegel

Das jüdische Museum, oder, wie es sich französisch offiziell tituliert, das Museum für jüdische Kunst und Geschichte von Paris, befindet sich am Rand des jüdischen Viertels, an der Grenze des alten «Marais» zum überholt modernen und heute schon eher heruntergekommenen Viertel der ehemaligen Pariser Markthallen «les Halles».

Claude de Mesmes, Graf d’Avaux, Finanzberater unter Mazarin, Bot­schafter Louis’ XIV in Holland, Venedig, Großbritannien und Schweden, Mitunterzeichner des Friedensvertrags von Westfalen 1648, beauftragte den königlichen Hofarchitekten Pierre le Muet (zu Deutsch: Peter der Stumme) mit dem Bau dieses Stadtpalais in der Rue du Temple. Und Pierre le Muet baute ihm um einen großzügigen Innen­hof, eine nach außen hin schweigende Festung, die ich durch ein Respekt einflößendes Renaissanceportal be­trete und mich sogleich mit der Frage „wohin ich wolle“ konfrontiert, einer Sicherheitsdurchleuchtung unterziehe, mit dem Hinweis, es sei nicht gestattet zu fotografieren. Meine Kamera darf ich dennoch mit­nehmen, es gibt scheinbar keine Schließfächer.
Der Prachtbau, der im 17. und 18. Jahrhundert von Herzog zu Herzog weiterverkauft beziehungsweise vererbt wurde und nach seinem zweiten Eigentümer, Paul de Beauvilliers, Herzog von Saint-Aignan, benannt ist, wurde 1823 vom französischen Staat erworben, der das Gebäude an Handwerker und Kaufleute vermietete. 1942 wurden von den darin befindlichen 100 Mietern 40 verhaftet und deportiert. Die vom Künstler Christian Boltanski gestaltete, darauf Bezug nehmende Gedenkmauer in einem winzigen Hinterhof springt französisch offiziell nicht gerade ins Besucherauge.
Seit 1962 befindet sich das Palais im Besitz der Stadt Paris. Nach aufwändigen Renovierungsarbeiten unter dem damaligen Bürgermeister Jacques Chirac, eröffnete er 1998 als Staatspräsident auf 1.900 m2 Ausstellungsfläche das Museum für Kunst und Geschichte des Judentums. An dieser Gedenktafel, auf der Prachttreppe, kann kein Blick vorbei.

Viel edles Holz und viel Glas beherbergen in der Beletage und im Dachgeschoß 6.000 Objekte (davon 1.500 permanent ausgestellt) jüdischer Kulturgeschichte, Hand­werkskunst, und jüdischem Brauchtums. Die Sammlung setzt sich aus den 1951 von der American Jewish Restitution Successor Organization zurückerstatteten Objekten, darunter zahlreiche Architekturmodelle osteuropäischer Synagogen, der grafischen Sammlung jüdisch-deutscher und -russischer Künstler, Künstlern der École de Paris von Marie Chabchay (der Konservatorin des ersten jüdischen Museums im 18. Arrondissement) und der Sammlung Strauss-Rothschild zusammen. Isaac Strauss kam 1827 als Zeremonienmeister an den Hof Louis Philippes und war später musikalischer Leiter der Thermalbäder von Vichy. Er trug schlichtweg alles, was man unter den Begriff Judaika fassen kann, zusammen und zeigte 1878 im Rahmen der Weltausstellung im Palais de Trocadéro seine historischen Schätze, die von Baroness Nathaniel de Rothschild erworben und dem französischen Staat vermacht wurden.
Dazu kommen Donationen und Leihgaben des Nationalmuseums des Mittelalters Cluny (Grabstelen aus dem 13. und 14. Jhdt.), des Museums Moderner Kunst Centre Georges Pompidou, des Louvre, des Musée d’Orsay, des Nationalmuseums Afrikanischer und Ozeanischer Kunst, der Nationalbibliothek und des Nationalmuseums für Keramik.
Für meine Begriffe ein bisschen viel national, ein bisschen viel französisch offiziell.

Zwischen all dem Mittelalter, der sephardischen, ashkenasischen und nordafrikanischen Handwerkskunst, der Erläuterung jüdischen Brauch­tums zwischen Geburt und Tod, und des jüdischen Kalenders jedoch immer wieder kleine, aber sehr feine Foto­porträts von Frauen und Männern, jungen und alten Menschen, die auf leicht zu übersehenden Tafeln mit wenigen Worten einen persönlichen Kommentar zu ihrer jüdischen Identität, zu ihrem Jüdischsein im Paris von heute erzählen. Es handelt sich um eine temporäre künstlerische Intervention und ich finde leider nirgends einen Verweis auf den Fotografen.

Das offizielle Frankreich scheint mir hier lieber eine Geschichte aus ferner Vergangenheit zu erzählen und das tut es – eher überkorrekt, wenn man französische Museen kennt – sogar zweisprachig (französisch und englisch). Das offizielle Frankreich vermittelt mir in seinen prachtvollen Sälen, deren Renovierung angeblich mit 30 Millionen Euro zu beziffern ist, eine geografische Zeitreise durch Volks­kunst und Brauchtum bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts.
Ich bewege mich hier durch angewandte französische Repräsentation, durch ein architektonisches Glanzstück aus Tradition und Renovierungskunst, durch saubere französische Ge­­schichte.

Vom Dachgeschoß geht es an der Bibliothek vorbei, die 15.000 Publikationen, wie die gesamte Dokumentation der „Affaire Dreyfus“, beherbergt, die derzeit leider gerade anderwärts ausgestellt wird, zur bildenden Kunst hinunter. Im Vergleich zur Ausstellungsfläche für Kunsthandwerk scheint dieser Bereich winzig, dennoch finden sich einige Chagalls, Modiglianis, Soutines, neben einem Raum für zeitgenössisch Wechselhaftes.

Die Hintertreppe führt durch ein schönes leeres Museumsrestaurant mit Mohn- und Topfenstrudeln (welche ich denn doch lieber in der nicht weit entfernten und sehr lebendigen Rue des Rosiers genieße) in den Museumsshop, danach zurück zur Eingangshalle. Eine Fülle von Prospektmaterial unterrichtet mich über die zahlreichen Aktivitäten des Museums für Besucher jeden Alters, sich mit jüdischem Brauchtum vertraut zu machen.

Ich überquere den Innenhof und gelange zurück in die Rue du Temple. Von der gegenüberliegende Straßenseite mache ich einige Fotos von der Fassade. Der Sicherheitsmann vom Eingang stürzt auf mich zu und meint, er habe mir verboten, im Museum zu fotografieren. Bin ich noch im Museum? Bin ich im 19. Jahrhundert? Ich bin im 21. Jahrhun­­­­dert und schaue mir als Nächstes das am anderen Ende vom Marais errichtete und letztes Jahr eröffnete Mémorial de la Shoah an, Gedenkstätte
und wissenschaftliches Doku­men­­tationsarchiv einer anderen französischen Geschichtsschreibung.

PS:
Als umfassende Lektüre zum jüdischen Leben in Paris ohne historische Gedächtnislücken empfehle ich den Ausstellungskatalog „Vivre et survivre dans le Marais – au coeur de Paris du Moyen Age à nos jours,“ der 2005 bei Editions Le Manuscrit (www.manuscrit.com, ISBN: 2-7481-5132-1) im Rahmen einer Ausstellung im Pariser Rathaus publiziert wurde.

Das jüdische Museum in Paris

Adresse:
Hôtel de Saint-Aignan
71, rue du Temple
75003 Paris
Tel.: +33/1/53 01 86 60
www.mahj.org

Bewertung:
Musterschaustück für angewandte französische Repräsentation mit
schönem, aber leerem Museums­restaurant. Ein architektonisches Glanzstück aus Tradition und Renovierungskunst mit rigorosen Sicherheitsmaßnahmen – und wenig Leben.

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