„Das Judentum ist kein exklusiver Klub“

VON THEODOR MUCH

Nach alter Tradition ist Jude, wer jüdische Eltern oder zumindest eine jüdische Mutter hat – oder nach bestimmten Kriterien zum Judentum übergetreten ist. Diese Definition gilt auch für alle jüdisch-progressiven Gemeinden in Europa und die meisten liberalen Gemeinden weltweit.

Das Judentum ist absolut kein exklusiver, in sich geschlossener „Klub“. Proselyten wurden zu allen Zeiten – manchmal mit mehr, öfter mit weniger Schwierigkeiten, doch grundsätzlich immer – im Judentum aufgenommen. In biblischen Zeiten war die Konversion mit einer einfachen Absichtserklärung verbunden (siehe: Buch Ruth), und in talmudischen Zeiten waren zuerst Minimalforderungen zu erfüllen. Erst später entwickelte sich eine genau einzuhaltende Prozedur. Menschen, die einmal im Judentum aufgenommen worden sind, werden als völlig gleichwertig mit „Juden durch Geburt“ angesehen, und jede Beleidigung oder Herabsetzung von Konvertiten gilt als schwere Sünde.

In den vergangenen Jahrzehnten wurde die orthodoxe Konversion immer schwieriger und Konversionswillige werden dort oftmals alles andere als willkommen geheißen. Doch diese Verhärtung im Umgang mit Menschen, die zum Judentum übertreten wollen, steht im Gegensatz zu klaren Aussagen von großen orthodoxen Rabbiner – wie Ben Zion Ouziel, Yitzchak Herzog oder David Hoffmann –, die auch dann Konversionen nicht ablehnten, wenn klar war, dass ein Heiratswunsch ein Hauptmotiv zum Übertritt war oder man davon ausgehen konnte, dass die Konvertiten nicht alle Mizwot einhalten würden. So schrieb Rabbiner Ouziel: „ … denn es ist besser zu konvertieren, als die Familie – besonders die Kinder – der Vernichtung preiszugeben.“ (Piskei Ouziel 63a).

Freundliche Prozedur bei Konversionen

Bei Or Chadasch, der jüdisch-progressiven Gemeinde Wien, finden alljährlich mehrere Konversionen statt, wobei die Prozedur die gleiche ist wie bei der Orthodoxie, nur eben weit freundlicher. Vor der Zulassung zum Konversionskurs werden Kandidaten zunächst auf ihre Ernsthaftigkeit, Motivation und Grundkenntnisse des Judentums geprüft, dabei werden sie auch über all die zukünftigen Verpflichtungen, aber auch möglichen persönlichen Konsequenzen eines Gijur aufgeklärt. Im Rahmen des Konversionskurses müssen die Kandidaten rund ein bis zwei Jahre ernsthaft lernen und sich – als (noch) Nicht-Mitglieder – in das Gemeindeleben einbringen.

Für eine gültige Konversion bestehen folgende Grundvoraussetzungen: Beschneidung, Eintauchen in das rituelle Bad (Mikwe) und die Ablegung einer Prüfung vor einem rabbinischen Beit Din (ein Gremium aus mindestens drei Rabbinern). Im Gegensatz zur vielfachen Praxis der heutigen Orthodoxie werden Konversionswillige in konservativen und progressiven Gemeinden von Anfang an – im Geiste der Schule Hillel und den Aussagen der oben genannten orthodoxen Rabbiner – freundlich und fair behandelt und nicht als eine unerwünschte Gefährdung des Judentums gesehen. Das ist auch einer der Gründe, weswegen weltweit die meisten Gijurim nichtorthodoxe Übertritte sind. Es ist auch empörend, traurig und kontraproduktiv, wenn ernsthafte konservative oder liberale Übertritte von der Orthodoxie nicht anerkannt werden und Kinder aus solchen Familien in Wien nicht die jüdische Schule besuchen dürfen.

Theodor Much ist Leiter der Hautambulanz im Hanusch-Krankenhaus Wien und hat eine Ordination in Baden. Seit der Gründung der jüdisch-liberalen Gemeinde Or Chadasch ist er deren Präsident. Buchautor, u. a.: Zwischen Mythos und Realität: Judentum wie es wirklich ist; Bruderzwist im Hause Israel; Wer killte Rabbi Jesus? Religiöse Wurzeln der Judenfeindschaft; Noah und Co; Willkommen im Jenseits; Der grosse Bluff: Irrwege und Lügen der Alternativmedizin.

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