Das Ego eines kleinen Landes

Heuer wird der Songcontest in Israel ganz anders sein.
VON JACQUI BALL LICHT
ÜBERSETZUNG: KITTY WEINBERGER

Nadav Guedj vertritt Israel beim ESC 2015

In den letzten Jahren hat sich die israelische Öffentlichkeit an der Eurovision zunehmend desinteressiert gezeigt – so sehr, dass die schlechte Qualität der Lieder nicht mehr nur Ärger verursachte, sondern schon lächerlich war. Die Israelis genießen nahezu ihr Desinteresse, statt einfach abzudrehen. Dafür gibt es einige mögliche Gründe.

Da sich immer mehr Länder beteiligen, musste die Eurovision einen Ausscheidungsmodus mit einem Semifinale einführen. Aber das funktioniert einfach nicht, wenn dein Sänger nicht ins Finale kommt. Seit der Einführung des Semifinales 2004 hat es Israel sechsmal nicht geschafft, ins Finale zu kommen; letztes Jahr passierte das zum vierten Mal in Folge. Das war ein schwerer Schlag für das Ego eines kleinen Landes, das den Song contest in der Vergangenheit dreimal gewonnen hat (1978, 1979, 1998).

Eine andere Möglichkeit ist die Politik. Israelis glauben oft, dass die Abstimmung nicht nur das Talent der Sänger und Liederschreibers berücksichtigt, sondern dass auch Länderallianzen den Ausschlag geben. Obwohl die meisten Israelis ohne Weiteres die schlechte Qualität der israelischen Beiträge zugeben, glauben sie auch, dass viele Europäer gegen sie stimmen, egal wie die Lieder sind.

Trotzdem beschlossen die Organisatoren, dass es nun genug sei. Heuer wurde der Auswahlprozess mit dem populären Reality-Wettbewerb „Rising Star“ verknüpft. Dieser ist sehr ähnlich wie „American Idol“ oder „X Factor“, aber mit einem Publikum, das abstimmt. Heuer kämpften nach einem Vorsingen zwölf junge Künstler um die Chance, Israel beim Song Contest zu vertreten.

Das war ein kluger Schachzug, weil mit den hohen Quoten bei der Show schon ein Publikum für die Eurovision gewonnen wurde. Und wie oft bei Reality-Shows, wurde diesmal ein sehr junger Kandidate mit einer unglaublichen Stimme als Sieger gewählt. Der 16-Jährige setzte sich gegen eine Reggae-Band und zwei talentierte Sängerinnen durch – und er bringt auch ein neues, lautes Teenager-Publikum, im Gegensatz zu den eher Älteren, die schon immer beim Songcontest zugeschaut haben.

Mit einem starken Kandidaten und einer neuen Anhängerschaft hat Israel heuer vielleicht tatsächlich eine Chance zu gewinnen, auf jeden Fall aber den Contest zu genießen.

Wenn wir über die Eurovision diskutieren, sollen wir dann auch über Politik diskutieren? Möglicherweise. Sollen wir die Relevanz von europäischer Einheit und von Nationalismus in Frage stellen, ohne zu diskutieren, was an den Ostgrenzen Europas (oder natürlich auch im Nahen Osten) passiert? Wahrscheinlich.

Aber vergessen wir nicht, dass der Eurovision Song Contest ein freudiger Wettstreit der Länder sein soll. Vergessen wir den Zynismus und genießen wir die Show. Lasst uns alle glauben, dass die Stimmen für die Qualität des Liedes und des Sängers abgegeben werden.

Wie Dana International sang, als sie 1998 den Song Contest gewann: Viva la Diva.

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