By the Rivers of Babylon

Die Ausstellung „Stars of David“ im Jüdischen Museum Wien präsentiert das Jüdische in und rund um die Populärmusik des 20. Jahrhunderts. Gehört gehört!
EMPFEHLUNG: BARBARA TÓTH

Eine Ausstellung wie diese muss mit Leonard Cohen anfangen. „Now I’ve heard there was a secret chord that David played, and it pleased the Lord, but you don’t really care for music, do you?” beginnt seine wunderbar sentimentale Ballade „Hallelujah“. Generationen von Teenagern haben diese Zeilen und den ikonischen Refrain „Hallelujah! Hallelujah! Hallelujah! Hallelujah!“ mehr oder weniger nüchtern oder bekifft mitgesungen. Im Lichte eines Lagerfeuers, einer Kerze, oder einfach nur zu Hause vor der Plattensammlung des älteren Bruders. Viele vermutlich ohne zu wissen, dass der kanadische Musiker Cohen Jude ist.

Genauso wie der Träger der bekanntesten Zunge der Hardrock-Welt, Gene Simmons von „Kiss“. Geboren als Chaim Witz in Israel, spricht Simmons bis heute neben Englisch auch noch Deutsch, Hebräisch und Ungarisch – die Sprachen seiner Vorfahren, von denen fast alle im Konzentrationslager ermordet wurden.

Oder die „Beastie Boys“. Die drei Rapper, die in den 1980er Jahren den Hip Hop auch für weiße Vorstadtjungs populär machten, hießen eigentlich Mike Diamond, Adam Horovitz und Adam Yauch. Yauch starb 2012. Karriere machten sie als Mike D, Ad-Rock und MCA.

Auch Bob Dylan legte seinen jüdischen Namen Robert Zimmerman ab, bevor er zur lebenden Legende wurde – und den Katholizismus für sich entdeckte. Wie sagte es so schön Gene Simmons von „Kiss“? Es ist gar nicht cool, wenn jüdische Musiker wie Dylan ihre Namen ändern. „Aber jüdische Namen klingen nicht cool, wir Juden verstehen das.“

Cohen, „Kiss“, die „Beastie Boys“ und Dylan sind nur vier von sehr, sehr vielen Beispielen jüdischer Musiker und Produzenten, die an der Geschichte der Populärmusik des 20. Jahrhunderts maßgeblich beteiligt waren. Kurt Weill und George Gershwin, Randy Newman, Paul Simon, Billy Joel, Barbra Streisand, Amy Winehouse, Serge Gainsbourg, in Wien Geduldig und Thimann, Arik und Timna Brauer, Marika Lichter – sie alle werden erwähnt. Im Jüdischen Museum Wien sind sie und viele andere im Rahmen der Ausstellung „Stars of David. Der Sound des 20. Jahrhunderts“ zu sehen und vor allem zu hören. Verschiedenste Genres werden von den Kuratoren Alfred Stalzer und Marcus G. Patka dabei angerissen, von Klezmer und Operette über Musical und Chanson bis zu Jazz, Pop, Punk& Rap und sogar Reggae.

König David als Rockstar

Man kann die Geschichte jüdischer Musik mit dem antiken König David beginnen lassen, über den Museumsdirektorin Danielle Spera in der Einleitung zum lesenswerten Ausstellungskatalog als ersten Rockstar schreibt, man kann über alte Dankeslieder der Israeliten räsonieren, über das Hohelied und die Psalmen. Einer davon, „An den Strömen von Babylon saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten“ wurde von der Rocksteady- Gruppe Melodians 1970 zum Song „Rivers of Babylon“ vertont. In der Version der deutschen Disco-Gruppe Boney M. gehört er zum Standard-Repertoire von Tanzparties. Auch Bob Marley, der eines seiner Alben „Exodus“ nannte, interpretierte ihn. Marley zählt sich zu den jamaikanischen Rastafaris, einer Sekte mit deutlich jüdischen Einflüssen. Womit das Jüdische am Reggae erklärt wäre.

Ist das alles nicht ein bisschen viel und gleichzeitig zu wenig? Eine Ausstellung, die den Anspruch hat, den Beitrag von Jüdinnen und Juden in der jüngsten Musikgeschichte und Popkultur zu würdigen, muss notgedrungen im Überblickshaften, Anekdotischen, auch Oberflächlichen verbleiben. Man hätte drei Ausstellungen daraus machen können, schrieb Die Presse.

Gerade in Wien macht diese Herangehensweise trotzdem Sinn. In der Stadt, in der man sich über Jahrzehnte zuraunte „Das ist ein Jude!“ oder „Die ist ja jüdisch“, in der Stadt, in der bis heute ältere Jahrgänge sich schwer damit tun, das Wort „Jude“ auszusprechen, weil sie es noch als Schimpfwort oder Tabu erlernt haben, ist dieses simple Darstellen von Jüdischem in der Musikwelt absolut angebracht. „Seht her, sie sind alle Jüdinnen und Juden, und es ist völlig normal, darüber zu sprechen!“ lautet damit eine – versteckte – Botschaft der Ausstellung.

Noch vor zwei Jahrzehnten wäre das freilich undenkbar gewesen. Da stand Pop für die Überwindung religiöser, ethnischer und sozialer Merkmale. Wer Jüdinnen und Juden unter den Musikschaffenden heraussuchte und auf ihr Jüdisch-Sein reduzieren wollte, hatte böse Absichten, war Antisemit, Ewiggestriger. Heute dagegen kann ein Jüdisches Museum selbstbewusst und gleichzeitig unbefangen eine Leistungsschau dieser Art zeigen. Was für eine Entspannung.

Objekte mit großer Symbolkraft

„Das Tolle an dieser Ausstellung ist, sie bietet wirklich für jeden etwas“, erklärte Museumsdirektorin Spera zur Eröffnung. Völlig zu Recht. Im ersten Raum werden die großen jüdischen Komponisten Leonard Bernstein und George Gershwin gewürdigt. Bernstein in Form eines Fracks, Gershwin als Andy-Warhol-Porträt. Es gibt viele solcher Objekte mit großer Symbolkraft, wie einen Chanukka-Leuchter mit einer Inschrift für Sammy Davis Junior, „whose achievements, won by courage and integrity, say to every man: Yes, we can“. Der große Einfluss jüdischer Emigranten auf die amerikanische Popkultur wird anhand des aus Russland stammenden Einwanderers Irving Berlin erzählt, der die Patriotenhymne „God Bless America“ schuf. Eine kleine „Hall of Fame“ präsentiert Goldene Schallplatten jüdischer Stars, darunter Pink. In der Mitte steht ein Oscar von Erich Wolfgang Korngold. Diesen erhielt er 1936 für die Filmmusik zu Anthony Adverse. Rund 50 Prozent aller Oscar-Gewinner für Filmmusik sind jüdischer Herkunft. Jerry Goldsmith komponierte mit der Musik zu Star Wars und Star Trek gleich zwei Ikonen der modernen Popkultur.

An einer kleinen Jazzbar kann man sich mit Hilfe von Kopfhörern in die Werke von Stan Getz, Benny Goodman, Charlie Parker und Giora Feidman vertiefen. Die Klarinette wird als das typischste jüdische Instrument gewürdigt, weil sie so schön „menscheln“ kann. „Schluchzen (krechzn), jammern (kwetschn), seufzen (kneithsn) und lachen (tshok)“. Sie ist auch das instrumentale Verbindungsstück zwischen Klezmer und Jazz. Berühmte Bandleader wie Benny Goodman oder Artie Shaw waren Juden.

Das ist fürs Erste alles sehr anschaulich. Wer in die Tiefe gehen will, sollte sich jedenfalls via WLAN die weiterführenden Informationen vor Ort runterladen und sich die Zeit nehmen, die Interviews anzuhören, die die Kuratoren mit jüdischen Musikern geführt haben. Ben Sidran, Journalist und Musiker, erzählt etwa, wie wichtig jüdische Manager für das Durchbrechen der „Rassengrenze“ zwischen „weißen“ und afroamerikanischen Musikformen waren. „Rock’n’Roll war komplett jüdisch“, erklärt er. Nicht nur, weil mit Mike Stoller und Jerry Leiber zwei jüdische Künstler viele große Elvis-Presley-Hits schrieben, sondern auch, weil sich in den Liebesliedern dieser Zeit immer auch der jüdische Traum vom „Liebe deinen Nächsten“ widerspiegelte.

Auch der Ausstellungskatalog ist absolut lesenswert. Hier erfährt man etwa, was es mit der Nazisymbolik jüdischer Punkbands auf sich hat. Danach lässt sich dann kundig darüber diskutieren, ob Punk tatsächlich als die „vielleicht weitest verbreitete künstlerische Verarbeitung der Schoa“ bezeichnet werden kann. Schließlich waren nicht nur Malcolm McLaren, der Erfinder der „Sex Pistols“, sondern auch der Manhattener Joey Ramone von der Punkband „The Ramones“ jüdischer Herkunft. Oder ob es sich nicht vielleicht so verhält, wie es der jüdische Komikers Lenny Bruce sah: „Egal, ob man katholisch ist oder sonst was, wenn man aus New York kommt, ist man automatisch jüdisch.“

Die mobile Version verlassen