Beschneidungsdebatte – Revisited

Von Martin Engelberg

Zum Thema Beschneidung ist mit ziemlicher Sicherheit in den vergangenen Wochen alles gesagt worden – Zeit für ein Resümee und eine Analyse dieser Debatte aus jüdischer Sicht.

1. Auch ohne Sommerloch hätte diese Diskussion Schlagzeilen gemacht. Eine Beschneidungsdebatte, noch dazu in Deutschland und Österreich, hat alle Ingredienzen für eine publizistische Bombe: Juden, Genitalien/Sexualität, vermeintlicher Kindesmissbrauch, Antisemiten, drohende Vertreibung der Juden aus Deutschland. Das Resultat: Der Suchbegriff „Beschneidungsdebatte Deutschland“ bringt bei Google ca. 892.000 Ergebnisse.

2. Tatsächlich stellt sich heraus, dass diese Diskussion von nicht mehr als insgesamt fünf Personen – fast könnte man annehmen, in einer konzertierten Aktion – aufs Tapet und zur Explosion gebracht wurde: ein Rechtsprofessor, der dieses Thema seit Jahren zu seinem „Claim to fame“ – zu seiner Profilierungsmöglichkeit erkoren hat; eine Staatsanwältin, die sich anhand dieses einen Falles des Themas bemächtigt und sich über geltende Richtlinien hinwegsetzt, um ein Urteil gegen die Beschneidung zu erwirken; ein Richter, der ein Urteil fällt, mit dem die Beschneidung kriminalisiert wird, und gleichzeitig den Angeklagten freispricht, damit niemand gegen das Urteil berufen kann; schließlich ein Freund des erstgenannten Rechtsprofessors, der gegenwärtig US-Korrespondent der Financial Times Deutschland ist und von den USA aus (sic!) über dieses Urteil berichtet und die Diskussion in Gang bringt.

3. Auch in Österreich melden sich vier „Experten“ in einer Pressekonferenz zu Wort. Ihre einseitigen und beschneidungsfeindlichen Aussagen werden praktisch von allen österreichischen Medien unkommentiert übernommen. In einem Kommentar in der Presse weise ich nach, dass diese „Experten“ höchst fragwürdig sind, überhaupt keine Expertise zu diesem Thema haben und völlig manipulativ unwissenschaftliche Untersuchungen zitierten. Interessanterweise reagieren die „Experten“ auf diese öffentliche Bloßstellung nicht.

4. Ein weiterer Beweis, wie wichtig es für uns Juden ist, in einer solchen Situation klar und fundiert Stellung zu beziehen. Dabei sind auch die öffentlichen Auftritte von Rabbiner Hofmeister zu erwähnen, der den jüdischen Standpunkt ausgezeichnet vertrat.

5. Bemerkenswert die Reaktion der „großen“ Politik in Deutschland und Österreich: Praktisch einhellig wird das Recht auf Beschneidung außer Streit gestellt. In Deutschland wird eine Gesetzesinitiative vorbereitet, welche die Beschneidung ausdrücklich erlaubt; in Österreich hat die Justizministerin klar festgelegt, dass die Beschneidung in Österreich kein strafrechtlicher Tatbestand ist.

6. Mindestens ebenso auffallend ist die weitgehende Unbedarftheit und Unwissenheit, mit der weite Teile der Bevölkerung dem Thema Beschneidung und unserem jüdischen Ritus insgesamt gegenüberstehen. Dabei sind gar nicht die Antisemiten gemeint, die bei solchen Themen sofort Morgenluft wittern und sich in den diversen Internetforen auslassen. Erstaunlich sind die zum Teil völlig kruden Vorstellungen von uns Juden, bei denen der Mief mittelalterlicher Vorurteile zum Vorschein kommt. Hier hat die jüdische Gemeinde gemeinsam mit aufgeschlossenen, informierten und sympathisierenden Menschen, deren es G’tt sei Dank ja durchaus genug gibt, noch viel Informations- und Aufklärungsarbeit zu leisten. Die nächsten Debatten, zum Beispiel über das koschere Schächten, sind „just around the corner“.

7. Last but not least: Diese Diskussion hat (wieder einmal) gezeigt, wie wichtig es ist, dass unsere Gemeinde geeint vorgeht. Da sind Diffamierungen, persönliche Angriffe und Herabsetzungen nicht hilfreich, auch wenn diese „nur“ im Rahmen eines internen Wahlkampfs publiziert werden. Man sollte nicht unterschätzen, wie sehr das dennoch von der Außenwelt wahrgenommen wird und unserer Gemeinde insgesamt schadet.

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