Avigdor Lieberman Außenminister? Vollkommen logisch!

Von Martin Engelberg

Bei Erscheinen dieser Ausgabe von NU wird Avigdor Lieberman aller Wahrscheinlichkeit nach bereits Außenminister von Israel sein. Groß ist schon jetzt das Entsetzen darüber. Wie ist das möglich? Schert sich Israel nicht mehr um sein Image? Wie soll es da zu einem Frieden kommen?

Tatsächlich ist Liebermans Erfolg vor allem eines: vollkommen logisch. Warum? Mit Lieberman verhält es sich so wie mit allen Populisten. Sie haben in vielen Dingen recht und sprechen treffsicher die heikelsten politischen Probleme an. Werden sie in die politische Verantwortung einbezogen und herrschen stabile demokratische Strukturen, scheitern Populisten entweder völlig – oder wandeln sich zu „normalen“, manchmal durchaus erfolgreichen Politikern.

Die Israelis haben in der Geschichte den unterschiedlichsten politischen Stoßrichtungen, die zu einem Frieden mit den Palästinensern führen könnten, ihr Vertrauen geschenkt und wurden enttäuscht. Allein in den letzten 20 Jahren gab es zuerst die Niedergeschlagenheit über das Scheitern des Oslo-Friedensprozesses unter Rabin und Peres.

Am eindrücklichsten war die Enttäuschung im Fall von Ehud Barak. Er wurde 1999 mit großer Mehrheit und mit einem klaren Mandat zu abschließenden Friedensverhandlungen mit den Palästinensern gewählt. Der Friedensgipfel Camp David II im Juli 2000 verlief nachgerade exemplarisch für das Dilemma der Israelis im Umgang mit den Palästinensern. Arafat versperrte sich jedem Kompromissvorschlag. „You have been here fourteen days and said no to everything“, warf Bill Clinton Arafat nachher vor.

Ariel Sharon entwickelte dann eine neue Strategie: der Versuch der räumlichen Trennung zwischen Israelis und Palästinensern mittels des berühmt gewordenen Grenzzaunes und der Räumung von Gaza. Die Palästinenser brachten auch diesen Weg zum Scheitern, indem sie den Süden Israels mit Raketen beschießen.

In der Zwischenzeit ist der israelisch- palästinensische Konflikt noch viel komplexer geworden. Inzwischen gibt es eine klare Spaltung zwischen der sekulären palästinensischen Verwaltung in der West Bank und der fundamentalistischen Hamas, die in Gaza regiert. Die Hamas selber ist in einen militärischen und einen politischen Flügel geteilt, Letzterer hat Führer in Gaza und Damaskus, jene in Damaskus nimmt ihre Anweisungen von Syrien und dem Iran entgegen.

Israel muss also gleichzeitig gegen die Hamas kämpfen, einen Waffenstillstand samt Herausgabe der Geisel Gilat Shalit verhandeln, sollte die palästinensische Verwaltung in der West Bank stärken und die Siedlerlobby im eigenen Land in Schach halten.

Als wäre das noch nicht kompliziert genug, muss sich Israel eine Strategie gegenüber dem Iran und seinen Ambitionen als Nuklearmacht überlegen, Friedensverhandlungen mit Syrien führen, sich auf die neue USFührung einstellen und last but not least die Auswirkungen der globalen Wirtschaftskrise bekämpfen.

Ist jetzt nicht alles klar? In welchem anderen Land dieser Welt würden sich Menschen angesichts dieser Bedrohungslage und der unglaublichen Komplexität der Umstände nicht auch Politikern anvertrauen, die – zumindest scheinbar – klare und einfache Antworten haben?

Avidgor Lieberman steht genau dafür sowie für das in Israel stark zunehmende Gefühl, bereits genug Anstrengungen für eine friedliche Lösung gemacht zu haben. Schlussendlich spricht Lieberman – als bisher einziger Politiker Israels – ganz direkt die Probleme der arabischen Minderheit in Israel an – also jener Araber, die die israelische Staatsbürgerschaft besitzen und die bereits jetzt zwanzig Prozent der Gesamtbevölkerung Israels ausmachen.

Nicht nur ihre Loyalität zum israelischen Staat wird in Frage gestellt, zunehmend sorgt man sich auch um die demografische Entwicklung. In 20 Jahren könnte die arabische Minderheit auf 30 bis 35 Prozent anwachsen, das entspräche dann bereits dem Anteil der französischsprachigen Wallonen an der Gesamtbevölkerung Belgiens. Bedenkt man die großen Probleme dort, in einem Land, das sich friedlich und in größtem Wohlstand mitten in Europa befindet, möchte man sich nicht ausdenken, wohin das in Israel führen könnte. Ein weiterer Grund mehr für Liebermans Erfolg.

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