Aus Liebe zum Bauhaus-Stil

Das neue Denkmalschutzund Architekturzentrum für die „Weiße Stadt“ in Tel Aviv wird im Jahr 2017 offiziell eröffnet.
VON ANITA HAVIV-HORINER

Das Max-Liebig-Haus – Zentrum Weiße Stadt

 

Nahost „Israel ist nicht in Europa – aber von Europa“, schreibt Dan Diner in seinem Aufsatz „Gestaute Zeit“. Auch wenn das im heutigen Israel nicht immer erkennbar ist, auf die „Weiße Stadt“ in Tel Aviv, die weltweit größte Konzentration von Gebäuden der klassischen Moderne, auch bekannt als Bauhaus-Stil, trifft seine Aussage zu.

Die Planung und Errichtung dieser Gebäude ist eng mit dem Schicksal jüdischer Architekten verbunden, die Deutschland nach 1933 verlassen mussten. Diese Flüchtlinge brachten das Bauhaus ins damalige Palästina – aus Dessau, derselben Stadt, in der wenig später, in einer ehemaligen Zuckerraffinerie, Zyklon B hergestellt werden sollte.

Die zwischen 1933 und 1948 in Tel Aviv errichteten ca. 4.000 Bauhaus- Gebäude sind von den Ideen geprägt, welche diese rund 20 jüdischen Architekten aus Deutschland ans Mittelmeer mitbrachten. Die europäischen Flüchtlinge hatten es verstanden, ihre Werke an das Klima und die Umwelt der neuen Heimat anzupassen, und sogar die hebräische Sprache zu bereichern. Hans- Christian Rößler erinnerte in der FAZ am 8. Mai 2013 daran, dass deutsche Begriffe wie Wasch- und Kratzputz, die einst die Bauhaus-Architekten mitbrachten, bis heute im israelischen Bauwesen verwendet werden.

Die „Weiße Stadt“ bildet einen Anknüpfungspunkt für den deutsch-israelischen Dialog, auch und gerade nach dem 2015 mit zahlreichen offiziellen Feierlichkeiten begangenen 50. Jubiläum der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Da heutzutage die politischen Spannungen zwischen Deutschland und Israel schwer zu übertünchen sind, bedarf es kreativer Ansätze, um die so oft beschworenen „besonderen“ Beziehungen nicht auf ein verbales Klischee zu reduzieren.

Weltkulturerbe „Weiße Stadt“

Tel Avivs Bauhaus-Gebäude wurden 2003 ins UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen. Nach der Verleihung begann die Stadt gemeinsam mit der UNESCO, einen Denkmalschutz-Plan zu entwickeln. Diesen gilt es auch zu finanzieren, allerdings wird Denkmalschutz in Israel nicht großgeschrieben. Das gilt auch für die 1909 gegründete Stadt Tel Aviv. Hier sprang das deutsche Bundesbauministerium helfend ein: Es stellte rund 2,8 Millionen Euro für den denkmalgerechten Erhalt und die nachhaltige Entwicklung der Weltkulturerbes „Weiße Stadt“ bereit. 2015 unterzeichneten Ministerin Barbara Hendricks und der Tel Aviver Bürgermeister Ron Huldai eine Vereinbarung über eine langfristige Zusammenarbeit bis 2025.

Die deutsche Beteiligung dient vor allem dem Aufbau eines Denkmalschutz- und Architekturzentrums für die „Weiße Stadt“, das 2017 offiziell eröffnet werden soll.

Ein passender Standort wurde schon bestimmt: das Max-Liebig-Haus, ein bedeutendes Baudenkmal in der Idelsonstraße 29, mitten in der „Weißen Stadt“. Gestaltet wurde der Bau von Dov Karmi, dem berühmten Architekten, der als Erster seiner Zunft mit dem Israelpreis ausgezeichnet wurde.

In der oberen Etage des Besucherzentrums liegt eine Museumswohnung, in welcher der größte Teil der Originalelemente erhalten blieb. Dort können Besucher auch die von der österreichischen Architektin Margarete Schütte-Lihotzky inspirierte Küche besichtigen. Das strenge Küchendesign mit aus Deutschland importierten Fliesen von Villeroy & Boch basiert auf dem Vorbild der Frankfurter Küche, die von der Loos-Schülerin Schütte-Lihotzky entworfen worden war. Das Leitmotiv der Wienerin war, die Emanzipation der berufstätigen Frauen in den 1920er Jahren durch ihr zeitsparendes Design im Alltag zu unterstützen. Dieses Konzept passte perfekt zur Realität der zionistischen Pionierinnen der damaligen Zeit.

Allen Beteiligten schwebt ein attraktiver und transdisziplinärer Ort der Begegnung vor, u.a. wird die Auseinandersetzung mit dem Schaffen von Modernisten wie Adolf Loos und dessen aktuelle Relevanz im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen.

Baufachleute, Forscher und Handwerker werden dort stimmige Konzepte für die Sanierung der Gebäude und des Viertels erarbeiten – in engem Austausch mit den Eigentümern, öffentlichen Stellen und Bewohnern des Viertels. „Denn wir dürfen nicht vergessen, dass dieses Ensemble kein Museum ist“, wie Ministerin Hendricks zu bedenken gab, „sondern ein lebendiges Stadtviertel.“

„Weniger ist mehr“

In der Stadtverwaltung von Tel Aviv ist die Architektin Sharon Golan-Yaron für den Denkmalschutz verantwortlich. Während ihrer Kindheit in Tel Aviv schenkte sie den bröckelnden Fassaden der Weißen Stadt wenig Beachtung. Dies änderte sich mit ihrem Architekturstudium in Chicago. Dort verinnerlichte sie das Leitmotiv des deutschamerikanischen Architekten Ludwig Mies van der Rohe: „Weniger ist mehr.“ Als sie später in Berlin lebte, wurden sechs Wohnhaussiedlungen der Berliner Moderne auf die Welterbe-Liste der UNESCO aufgenommen. Damals erst erfasste sie, welche architektonischen Schätze unter dem bröckelnden Putz vieler Tel Aviver Fassaden verborgen waren.

Wie so oft, liegt der Motor für das unermüdliche Engagement auch bei Golan-Yaron in der eigenen Biografie: „Meine enge Beziehung zur deutschen Kultur und meine Liebe für den Bauhaus- Stil waren mein Antrieb zur Schaffung eines israelischen-deutschen Projektes“, so Golan-Yaron. „Es gibt verblüffende Parallelen zwischen den Idealen des Bauhauses und des Zionismus der dreißiger Jahre: Sie betrachteten den Menschen als Objekt und Subjekt gesellschaftlichen Wandels, und wollten mit Hilfe modernen Designs eine neue, egalitäre und gerechte soziale Utopie schaffen. Tel Aviv als Weltkulturerbe mit der weltweit größten Ansammlung von Gebäuden der Moderne bietet eine einmalige Gelegenheit, der Partnerschaft beider Länder neue Inhalte und auch eine neue Relevanz zu verleihen. Denn selbst wenn das Bauhaus vor 80 Jahren von den Nationalsozialisten geschlossen wurde, haben die Ideen, die dort formuliert worden, nichts von ihrer Brisanz oder Relevanz eingebüßt. Dieses gemeinsame kulturelle Erbe Deutschlands und Israels soll Mittelpunkt einer Debatte über alle Bereiche urbanen Lebens werden, auf wissenschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Ebene.“

Mit dem Hinweis auf Adolf Loos und Margarete Schütte-Lihotzky stellt Sharon Golan-Yaron auch den Bezug zu Österreich her und hofft in Wien auf Interesse zu stoßen.

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