Amy Winehouse – „I died a hundred times“

Doch in den Herzen ihrer Fans lebt die vor zwei Jahren verstorbene Londoner Sängerin.
Von Axel Reiserer, London

Zum Erscheinungstermin dieser Ausgabe von NU wäre die Musikerin Amy Winehouse 30 Jahre alt geworden. Trotz ihres Todes vor zwei Jahren ist sie nicht in Vergessenheit geraten: Ihre beiden zu Lebzeiten veröffentlichten CDs Frank (2003) und Back to Black (2006) sind bis heute die zwei meistverkauften Alben des (noch jungen) Jahrhunderts in Großbritannien, die posthum veröffentlichte Zusammenstellung Hidden Treasures (2011) schoss in vielen Ländern der Welt auf die Nummer-1-Position der Charts, darunter auch in Österreich.

Dass Amy Winehouse in der Erinnerung vieler Menschen lebt, zeigte auch die Ausstellung „Amy Winehouse: A Family Portrait“ im Jewish Museum London. „Wir haben noch nie eine so erfolgreiche Schau gemacht“, erzählt Kuratorin Elizabeth Selby im Gespräch mit NU. Genaue Zahlen könne sie noch nicht nennen, aber: „Allein in der ersten vier Tagen hatten wir mehr Besucher als im gesamten Monat August des Vorjahrs“, sagt sie. Über die Schau wurden von Australien bis Kanada berichtet, und aus aller Welt liegen Ansuchen auf Ausleihen der Ausstellung vor – darunter auch aus dem Jüdischen Museum Wien.

Die Entscheidung, der Sängerin in einem jüdischen Museum zu gedenken, war nicht unumstritten. Winehouse hat nie verheimlicht, dass sie aus einer jüdischen Familie stammte. Aber ebenso wenig hat sie besonderes Aufheben darum gemacht. Sie und ihr Bruder Alex wurden nicht religiös erzogen. Es ist keine Aussage von ihr über ihr jüdisches Selbstverständnis überliefert, in der sie mehr sagt als: „Jüdisch zu sein bedeutet für mich, eine Familie zu sein.“

Entsprechend reagierten einige Kritiker skeptisch: „Amy Winehouse trug viele Beinamen, ‚Musikgenie‘, ‚Drogenopfer‘ oder ‚die Rehab-Sängerin‘, aber ‚gläubige Jüdin‘ war sicher nicht darunter“, schrieb Rachel Abraham in der Financial Times. „So kommt diese Ausstellung doch einigermaßen überraschend.“ Die israelische Zeitung Ha’aretz attestierte dem Museum einen „Geniestreich in Marketing“ und stellte die Frage: „Ist ein Star, der zufällig jüdisch ist, ein jüdischer Star?“ Kuratorin Selby weist das zurück: „Wir reklamieren sie nicht als Jüdin.“ Die Familie sei an das Museum herangetreten, „weil wir in Camden sind und hier ihr Zuhause war.“ Das letzte Wohnhaus der Sängerin ist tatsächlich nur ein paar Meter von dem Museum in dem Nordlondoner Stadtteil entfernt. „Zunächst wollten sie uns ein Kleid von ihr schenken, dabei sind wir ins Gespräch gekommen und es hat sich rasch gezeigt, dass es hier eine Geschichte zu erzählen gibt.“ Bei der Gestaltung der Ausstellung habe sich die Familie „nicht viel dreinreden lassen“, sagt Selby. Federführend waren Bruder Alex, der heute gemeinsam mit Vater Mitch die Amy Winehouse Foundation für suchtkranke Jugendliche führt, und seine Frau Riva.

„Ihre Liebe zu ihrer Familie ging über alles“
Tatsächlich spricht die Ausstellung für sich selbst. Sie ist leise, nachdenklich und fast intim. Sie bettet eine große Musikerin, deren tragisches Leben weltweit Schlagzeilen machte, in den Rahmen ihrer Familie. Bruder Alex schreibt in seinem Begleittext zur Ausstellung: „Das ist kein Schrein oder eine Gedenkstätte für eine Verstorbene. Amy war wohl die berühmteste Person in unserer Familie, aber sie war nicht ihr Zentrum. Niemand von uns ist das. Wir sind eine Familie mit einer bunten und bewegten Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Kinder werden geboren, Menschen heiraten, sie werden alt (mögen sie lange leben) und dann sterben sie.“

Anhand von Erinnerungsstücken wird diese Geschichte nacherzählt und dargestellt. Zu sehen sind Kleidung (von ihrer Schuluniform bis zu ihrem Kleid auf dem Glastonbury-Festival 2008), Schallplatten (von Duke Ellington bis Carole King, „die meisten hat sie mir gestohlen“, merkt der Bruder an), Bücher (von Snoopy bis zu Nabokov- Briefen; „sie hat gut verborgen, wie viel sie eigentlich wusste“, meint der Bruder) und Familienfotos. Besonders bewegend ist ein Koffer voller Aufnahmen von Familienmitgliedern und Freunden. „Das ist lebendige Erinnerung“, meint Selby.

Der Besucher denkt unweigerlich aber auch an die jüdischen Flüchtlinge, die oft mit nicht mehr als einem Koffer in London ankamen. So auch Harris, der erste Winehouse, den es nach London verschlug, und der 1890 aus Minsk „irrtümlich“ in die britische Hauptstadt kam: „Eigentlich wollte er nach New York“, heißt es. Generationenlang lebte die Familie Winehouse im Londoner East End und zog dann, wie so viele andere, weiter in den Norden der Stadt: „Seit 120 Jahren sind wir hier und stolz auf unsere Wurzeln“, schreibt Alex Winehouse.

Prägenden Einfluss auf die junge Amy hatte wohl Großmutter Cynthia, der ihre Enkeltochter frappierend ähnlich sah, wie die ausgestellten Fotos zeigen: „Sie war von kleiner Statur, aber großer Präsenz“, erinnert sich Alex. „Sie konnte schwierig sein, aber ihre Liebe zu ihrer Familie ging über alles. Sie war glamourös und immer auf das Feinste herausgeputzt. Sie hat uns Loyalität gelehrt und Treue zu uns selbst. Zudem war sie eine großartige Köchin.“ Das war Amy wohl nicht. Das jüdische Kochbuch, das ihr Bruder Alex 2002 zum Geburtstag schenkte, sieht kaum gebraucht aus. Der Legende, dass sie im Stil einer „jiddischen Mamme“ treusorgend und liebevoll für ihre Leibwächter und Musiker in stundenlanger Arbeit jüdische Gerichte zubereitete, widerspricht auch der Musiker Mark Ronson, der wie kein zweiter Anteil an ihren musikalischen Triumphen hatte: „Wenn sie zu kochen versuchte, war es schrecklich. Normalerweise bestellte sie einfach ein Take-away.“

Die zweite bestimmende Person im Leben Amys war ihr Vater Mitch, ein jüdischer Taxifahrer mit großer Liebe zur Musik. In einem Schulaufsatz schrieb sie mit 14 Jahren: „Die Familie meiner Mutter ist total in Ordnung. Es ist die Seite meines Vaters, die voll sind mit Singen und Tanzen und verrückten musikalischen Extravaganzen.“ Dass ihr Vater die Familie verließ, als sie neun Jahre alt war, hat sie, glauben Freunde, nie verwunden. Ihre Mutter erlebte nach eigenen Berichten „die Hölle“ mit der starrköpfigen, rebellischen und gänzlich unangepassten Tochter. Selbst aus Schulen, die ihr Talent erkannten und förderten, flog sie wegen ihres Benehmens. Und auch ihr Bruder räumt ein: „Sie war schlimm und ungehorsam. Aber auch warmherzig und großzügig.“ Amy Winehouse dazu: „Mein ganzes Leben bin ich laut gewesen bis zu dem Punkt, wo man mir sagte, ich solle den Mund halten. Doch der einzige Grund für mich, so laut zu sein, war, dass man in meiner Familie schreien musste, um gehört zu werden.“ Das Ringen um Aufmerksamkeit und das Wissen um die Vergänglichkeit, beides war ihr stets gegenwärtig. „Ich möchte sehr berühmt werden. Ich möchte, dass die Menschen meine Stimme hören und fünf Minuten lang ihre Sorgen vergessen.“ Oder: „Ich möchte in Erinnerung bleiben als eine Darstellerin und Sängerin in ausverkauften Konzerten, und dafür, dass ich mir selbst treu geblieben bin.“

Als Amy Winehouse am 23. Juli 2011 in ihrem Haus in Camden gefunden wurde, hatte sie 4,16 Promille Alkohol im Blut. Ein Spiegel von 3,5 ist normalerweise tödlich, bei ihrer zarten Statur wären es noch weniger gewesen. Sie konsumierte seit früher Jugend Drogen und Alkohol in rauen Mengen. Ihre letzten Lebensjahre waren Tragödien, Fotos von ihr in derangiertem Zustand gingen um die Welt. Nach ihrem Tod schrieb ein Mädchen auf eine Gedenkkarte: „Amy, ich habe die gleichen Probleme wie du. Zum Glück habe ich nicht dein Geld.“ Schätzungen zufolge hinterließ Winehouse 15 Millionen Pfund.

All das spart die Ausstellung aus. Das weiß ohnehin die ganze Welt. Stattdessen sehen wir „ein Schlaglicht auf ein Mädchen, das im Innersten seines Herzens ein jüdisches Mädchen aus Nordlondon mit einem riesigen Talent war“, wie ihr Bruder schreibt. Beim Verlassen des Museums läuft ein Video, in dem Amy Winehouse in Endlosschleife den Song Back to Black singt. Kein Besucher, dem sich nicht die Worte des Refrains einbrennen: „We only said good-bye with words/ I died a hundred times.”

 

Die mobile Version verlassen