Als Wahlbeobachterin in Palästina

Anfang Dezember 2004 wurde Ulrike Weissenbacher von der EU-Kommission gefragt, ob sie bereit wäre, als Wahlbeobachterin nach Palästina zu reisen. Die Steirerin, die in Brüssel als Beraterin arbeitet, zögerte nicht lange, das Risiko und die Arbeit auf sich zu nehmen. Für NU berichtet sie jetzt darüber, wie ein erstes Tor für eine friedliche Zukunft im Nahen Osten geöffnet wurde.
Von Ulrike Weissenbacher

Die Präsidentschaftswahl in Palästina zog das internationale Interesse an wie kaum eine andere und so wimmelte es in Westbank und Gaza von WahlbeobachterInnen und JournalistInnen. Die BeobachterInnen stimmten darin überein, dass die palästinensische Autonomiebehörde sich aufrichtig bemüht habe, einen regulären Wahlprozess zu organisieren und dass die WählerInnen von ihrem Wahlrecht mit viel Enthusiasmus Gebrauch gemacht haben.

Die Frage, ob es Versuche zur Einflussnahme gegeben hat, muss mit Ja beantwortet werden. Es kam tatsächlich zum Einsatz öffentlicher Ressourcen im Wahlkampf, die Wahlbehörde reagierte nicht auf Beschwerden, Mahmoud Abbas wurde von den öffentlichen Medien favorisiert – bei ausgewogener Berichterstattung insgesamt – und es gab eine Verfahrensänderung am Wahltag für spezielle Wahlbüros auf politischen Druck hin.

Insgesamt aber war die Arbeit der Wahlbehörden beeindruckend und auch das entstehende Selbstverständnis einer unabhängigen, integren Institution lässt weitere positive Entwicklungen bei zukünftigen Wahlen erwarten.

Auch israelische Sicherheitsvorkehrungen hatten Auswirkungen auf die Wahl. Checkpoints und Straßensperren schränkten die Bewegungsfreiheit ein, KandidatInnen und WählerInnen konnten vom Recht auf Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit nicht uneingeschränkt Gebrauch machen.

Die Situation in Ost-Jerusalem war unbefriedigend. Die israelischen Behörden ließen keine Wahl in eigens dafür vorgesehenen Lokalen mit üblichen Wahlurnen zu, sondern die Menschen mussten ihre Stimmzettel in Postämtern in Postkästen deponieren, assistiert nicht von regulären Wahlbehörden, sondern von Postbeamten. Das wurde von den WählerInnen wohl kaum als Zeichen einer einwandfreien, freien Wahl gewertet.

Warum wir den Gesamtprozess trotzdem positiv beurteilt haben? Auch wenn natürlich Demokratie nicht in ein oder zwei Wahlen gefestigt werden kann, so ist doch die Praxis der palästinensischen Führungspersönlichkeiten, Legitimierung an der Wahlurne einzuholen, nunmehr verankert. Die bereits geplanten nächsten Parlamentswahlen und der Geist, in dem die Bevölkerung sich an dieser Wahl beteiligte, sind starke Indikatoren für den Wunsch, zukünftig den Weg der Rechtsstaatlichkeit und der öffentlichen Beteiligung zu gehen. Die Wahl ist insofern als Erfolg und Chance zu sehen. Aber auch die Rolle der israelischen Sicherheitsbehörden, die bemüht waren, ihre Aktivitäten weitgehend einzuschränken, um den Wahlvorgang zu ermöglichen und vor allem am Wahltag selbst die Bewegungsfreiheit der BürgerInnen weitestgehend zu gewährleisten, war ein wichtiges Signal in Richtung möglicher Erneuerung der Gespräche nach erfolgter Wahl.

Nicht oft folgen auf unsere Wahlbeobachtungseinsätze positive und sehr konkrete gesamtpolitische Entwicklungen. Die Tatsachen, dass einerseits unmittelbar nach der Wahl von Mahmoud Abbas die Gespräche wieder aufgenommen wurden und andererseits die israelische Seite mit der Ankündigung eines Datums für den Beginn des Truppenabzugs aus dem Gaza-Streifen ernsthafte Bemühungen zu erkennen gab und dass darüber hinaus dieser Wahl sogar ein Waffenstillstand folgte, sind hervorragende Folgeerscheinungen. Die Ankündigung der Hamas – wie durchaus zu erwarten war, da sie sich bereits an den Kommunalwahlen beteiligt hatte –, auch an den Parlamentswahlen teilzunehmen, eröffnet weitere Möglichkeiten zur Einbindung derer, die bisher ob fehlender Perspektiven Gewalt als einziges Mittel sahen, einer ausweglosen Situation zu entkommen. Mahmoud Abbas hat verstanden, dass die Menschen in einem Land, in dem es kaum mehr funktionierende Infrastruktur, schlechte Bildungsmöglichkeiten und keine Arbeit gibt, eines mehr brauchen als alles andere: Frieden und Zukunftsaussichten – vor allem für ihre Kinder und Jugendlichen.

Als ich in mein Appartement in Ramallah einzog, sah ich ein Einschussloch in meinem Badezimmerfenster. Am Winkel des Einschusses konnte ich erahnen, dass, wer auch immer vor meinem Spiegel gestanden haben sollte, diese Kugel in den Hinterkopf bekommen hätte. Meine erste Angst wich einem Gedanken: Ich würde auf diese Weise jeden Tag an die Realität der Menschen in diesem Land erinnert werden. Eine ähnliche Erinnerungshilfe käme auch allen beteiligten Volksvertretern gut an.

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