Als Jude auf die Weltbühne geworfen

Mark Spitz schaffte bei den Olympischen Spielen 1972 in München einen historischen Erfolg, als er sieben Goldmedaillen erschwamm. Nach seinem letzten Sieg wurden elf israelische Sportler und Betreuer von palästinensischen Terroristen entführt und ermordet. Ein Gespräch über 1972, Antisemitismus im eigenen Team und über Arnold Schwarzenegger.
Von Fritz Neumann (Text) und Jacqueline Godany (Fotos)

NU: Herr Spitz, ist es schwierig für Sie, sich an München zu erinnern und über 1972 zu sprechen? Schließlich ist Ihr Triumph für immer mit der Tragödie verbunden.

Mark Spitz: Das Bemerkenswerte ist, das alles hat natürlich dazu beigetragen, dass auch mein Erfolg so stark wahrgenommen wurde und wird. Da gab es einerseits den größten Sportevent und andererseits eine der größten Tragödien des 20. Jahrhunderts. Und ich bin damit untrennbar verbunden. Triumph und Tragödie, das hat die Geschichte auf eine andere Ebene gebracht. Die Tragödie wird immer ein Thema bleiben, sie muss immer ein Thema bleiben. Ich werde irgendwann einmal verschwunden sein, aber nicht die Tragödie.

Inwieweit war München für Sie bezüglich Ihres jüdischen Glaubens eine einschneidende Erfahrung?
Einschneidend trifft es auf den Punkt. Ich habe mich damals, als es zu dieser Tragödie gekommen war, mit einer völlig neuen Situation konfrontiert gesehen. Ich musste mich ihr stellen, und ich habe mich gestellt. Und ich habe ein Gefühl für Verantwortung bekommen. Das Erste und Einfachste war, mir selbst über meinen Background klarzuwerden. Und stolz auf meinen Background zu sein. Und auf die Tatsache, dass ich so erfolgreich war im Hinterhof des Holocaust. Das war gewissermaßen ein Coming out, ich war bestärkt in meinem Glauben. Ich spürte, er gehört zu mir dazu, das ist ein Teil von mir.

Wie sind Sie erzogen worden? Wie wichtig war der Glaube in Ihrer Kindheit?
Nun ja, ich war ein kleiner amerikanischer Bub im großen Amerika. Meine Eltern waren Juden, also ging ich zur Sonntagsschule, und ich hatte eine Bah Mizwa. Der Bruder einer Tante war Rabbi, ihr Vater war Rabbi. Und eine andere Tante hatte einen Rabbi zum Mann. Also kann ich schon sagen, dass ich als Kind ziemlich nah dran war an der Religion. Wenn man in orthodoxe, konservative und reformierte Juden unterscheiden will, so gehörte meine Familie zu den Reformierten.

Hat der Glaube Ihre sportliche Karriere beeinflusst?
Im Lauf meiner Schwimmkarriere, man könnte beinah sagen, wegen meiner Schwimmkarriere, haben sich meine jüdischen Wurzeln verstärkt. Auch weil ich vor den Olympischen Spielen 1968 mit Antisemitismus zu tun hatte. Damals war ich naiv, ich habe das als Neid gesehen, vielleicht auch aus Selbstschutz heraus. Vor allem aber wurde ich 1972, als ich so erfolgreich war und dann die israelische Tragödie passierte, als Jude auf die Weltbühne geworfen. Und ich hatte nicht die geringste Chance, mich zu verstecken oder aus dem Staub zu machen. Ich war plötzlich gezwungen, mein jüdisches Dasein sozusagen öffentlich anzuerkennen, mich als Jude zu definieren. Plötzlich saß mein Glaube neben mir auf dem Beifahrersitz, bis dahin war er in der zweiten Reihe mitgefahren. Im Amerika der 60erund 70er-Jahre war es nicht sehr populär, seinen Glauben hinauszuposaunen und die Leute darauf aufmerksam zu machen. Die wenigsten Kinder und Jugendlichen trugen ihre Religion wie ein Banner vor sich her, das ist ja auch heute noch so.

Sie haben davon gesprochen, dass Sie 1968 mit Antisemitismus zu tun hatten, den Sie als Neid wahrnahmen. Neid der eigenen Teamkollegen?
Ja, so war das. Wenn du erfolgreich bist, einer der Erfolgreichsten in einem Team, dann gibt es Neider. Es ist, im nachhinein betrachtet, schwierig, die Antisemiten und die Neider auseinander zu halten. Einer meiner Teamkollegen von damals agierte tatsächlich antisemitisch. Und es gelang ihm, einige andere auf seine Seite zu bringen, aber die waren eher neidisch denn antisemitisch. Antisemiten, wenn sie alleine sind, gehen oft feige und jedenfalls sehr vorsichtig vor. Antisemiten brauchen die Masse, nur in der Masse fühlen sie sich stark. Es ist wichtig, als Jude zu verstehen, dass man einer Menschenmenge stets vorsichtig begegnen muss. Weil da natürlich immer jemand darunter sein kann, der einen automatisch ablehnt, einfach nur der Religion wegen. Insgesamt, das habe ich oft erfahren, ist Sport natürlich viel öfter ein verbindendes denn ein trennendes Element.

Haben Sie Ihre beiden Söhne im jüdischen Glauben erzogen?
Ja, sie besuchten eine religiöse Schule bis zur sechsten Klasse. Sie lernten Hebräisch, sie hatten eine Bah Mizwa, sie hatten eine Tora-Erziehung. Dazu kam noch, dass Privatschulen besser sind als die öffentlichen in unserer Gegend in Los Angeles. Mag sein, die jüdische Erziehung meiner Söhne wäre nicht so ausgeprägt gewesen, würden wir woanders leben. Ich bin mir da nicht ganz sicher.

Wie beurteilen Sie als Kalifornier die Arbeit Ihres Governors, die Arbeit von Arnold Schwarzenegger?
Ich habe viel Respekt vor ihm, kenne ihn ganz gut. Am Anfang hat ihm sicher seine Popularität geholfen, weil er als Bodybuilder und Schauspieler sehr erfolgreich war. Doch er hat die Initiative ergriffen, er wollte sich kümmern, etwas bewegen. Und das warein sehr interessantes Referendum, das er angezettelt hat und mit dem er den amtierenden Governor absetzen konnte. Er nimmt die Politik sehr ernst. Er lehnt sich nicht zurück, er ist immer in Bewegung.

Haben Sie von der NS-Vergangenheit des Schwarzenegger-Vaters gehört?
Ich habe davon gehört. Aber das war sein Vater, das ist nicht er. Arnold Schwarzenegger ist nach Amerika gekommen, als er 17 oder 18 war, er war sehr bald auf sich allein gestellt. Er ist ein Selfmademan. Er hat sich als Bodybuilder durchgesetzt, er hat einige Filme gemacht, die ersten, in denen er auch synchronisiert wurde, waren vielleicht nicht sehr gut. Doch dann ist er ein sehr berühmter Schauspieler geworden. Er ist ein perfektes Beispiel dafür, was man in Amerika erreichen kann. Ich glaube, er wird nach seiner Amtszeit der Politik in einer wichtigen Funktion erhalten bleiben. Vielleicht nicht in Kalifornien, sondern auf US-Ebene, vielleicht als Kabinettsmitglied in der Regierung, wenn die Republikaner es denn schaffen sollten, wieder den Präsidenten zu stellen.

Glauben Sie denn, dass auch der nächste Präsident aus dem republikanischen Lager kommt?
Wenn ich das wüsste, wäre ich ein sehr hohes Tier in Washington. Es wird wohl wieder sehr spannend, schon die Vorwahlen deuten darauf hin. Vielleicht läuft es ja wieder auf ein beinah totes Rennen heraus. Wissen Sie, knapp die Hälfte aller Amerikaner ist über den Wahlausgang immer unglücklich.

Manchmal vielleicht sogar mehr.
Stimmt, manchmal vielleicht sogar mehr als die Hälfte.

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