Alltagsgeschichten

Von Erwin Javor

Seit Jahren lese ich täglich mehrere Zeitungen. Nicht immer gelingt mir das, teils aus Zeitmangel, teils aus Bequemlichkeit. Dann horte ich, zum Missvergnügen meiner Frau, einen Haufen Altpapier und konsumiere diesen zum Wochenende. Wenn ich etwas Interessantes entdecke, schneide ich den einen oder anderen Artikel aus und hebe ihn auf. Wenn dann nach einiger Zeit mein Schreibtisch unübersichtlich geworden ist, entsorge ich schlussendlich widerwillig und mit schlechtem Gewissen die Zeitungsausschnitte. Ich nehme mir immer wieder vor, dafür Mappen anzulegen und diese schön zu beschriften, aber es gelingt mir, wie bei so vielen meiner guten Vorsätze, nicht. Eine einzige Tageszeitung jedoch lasse ich nie bis zum Wochenende ungelesen: die Kronen Zeitung.

Ich lese sie immer am Tag des Erscheinens und das wenn irgend möglich schon zum Frühstück. Die Kronen Zeitung ist bekanntlich die meistgelesene und mächtigste Zeitung in diesem Land mit der bei weitem größten Auflage aller Medienprodukte. Es heißt, dass sie – in der Relation zur jeweiligen Bevölkerung eines Landes – zu den größten Zeitungen der Welt zählt. Aber das ist wahrlich nicht der Grund, der mich dazu bringt, täglich Teile dieser Druckschrift zu studieren. Die „Kronen Zeitung“ gehört vor allem deshalb zu meiner täglichen Pflichtlektüre, weil sie seit Jahrzehnten die Geisteshaltung vieler Österreicher negativ beeinflusst und reflektiert. Das rechtzeitige Erkennen gewisser Tendenzen in unserem Land ist für einen Juden, der Lehren aus der Geschichte gezogen hat, einfach lebensnotwendig. Die „Krone“ wendet sich Tag für Tag mit großem Erfolg vorrangig an eine Leserschaft, die Liberalität und Toleranz nicht gerade mit der Muttermilch aufgesogen hat. Das Rezept für den großen Erfolg dieser Zeitschrift ist einfach: ein bisschen Schwarzweißmalerei, ein gerüttelt Maß an Unterstellungen, persönliche Diffamierungen und über allem einfache Lösungsvorschläge für komplexe Problemstellungen. Dazu kommt noch ein wichtiger Faktor, nämlich die Präsentation eines Schuldigen. Mal sind es die angeblich dealenden Schwarzafrikaner, mal der eine oder andere Politiker, der sich gegenüber Herrn Dichand nicht unterwürfig genug verhalten hat. Die „Hauptschuldigen“ am allgemeinen Unglück waren jedoch, solange Hans Dichand Chefredakteur und alleiniger Machthaber der „Kronen Zeitung“ war, sehr oft die Juden. Wer sonst? Natürlich wurde das Wort Jude durch gewisse Codes ersetzt. So z. B.: „Jüdischer Weltkongress“, die „Ostküste“, Zionisten, jüdische Lobby oder die IKG. Man muss nur auf gewisse Knöpfe drücken und das „gesunde Volksempfinden“ wehrt sich und schreibt sogleich pflichtschuldigst einschlägige Leserbriefe. Die Methode, niedrige Instinkte zu wecken, ist hinlänglich bekannt und hat sich schon zu Luegers Zeiten bewährt.

Hans Dichand hat mit seiner „Krone“ in Österreich ein Klima geschaffen, das Jörg Haider überhaupt erst möglich gemacht und gleichzeitig das Liberale Forum zerstört hat. Und dieser Hans Dichand, der sich für die Rechte der Sudetendeutschen stark macht, die Verbrechen ehemaliger Wehrmachtangehöriger verharmlost und in einer Kampagne Tschechien mit einem Veto droht, dieser Mann, man höre und staune, spendet neuerdings an jüdische Organisationen.

Es ist schlimm genug, dass „Chabad“ und einige kleine, gemeinnützige Frauenorganisationen, deren hingebungsvolle Arbeit zugegebenermaßen für unsere Gemeinde von enormer Wichtigkeit ist, von ihm Spenden annehmen. Dass aber der Vizepräsident der Kultusgemeinde von jemandem Zuwendungen annimmt, der schon vor Jahrzehnten mit der „Judenserie“ von Herrn Reimann, mit antisemitischen Kommentaren von „Staberl“ und bis vor kurzem noch mit hinterhältigen antijüdischen Gedichten von Martin Wolf Stimmung gemacht hat, ist unerträglich. Obendrein geht er damit auch noch stolz an die Öffentlichkeit und bedient auf diese Weise das antisemitische Klischee, dass die Juden käuflich seien.

Ich stehe auf dem Standpunkt, dass die IKG unter keinen Umständen Schandgeld von Menschen annehmen darf, die dem Judentum Schaden zugefügt haben und damit spekulieren, sich reinwaschen zu können. Jene aber, die meinen, eine solche Handlung sei gerechtfertigt, müssen sich überdies bewusst sein, dass die Spendenbeträge des Herrn Dichand aus seiner Portokasse kommen. Es sind laut IKGVizepräsidenten Oskar Deutsch von den fünf Sponsoren (Magna, Porr, Nationalbank, Raiffeisen und Kronen Zeitung) insgesamt 100.000 Euro geflossen. Ein kleiner Preis also, den die Krone für ein offizielles Lob der Kultusgemeinde zu löhnen hatte.

Durch die Annahme dieser Gelder wurde aber eine gefährliche Grenze überschritten. Mit dem gleichen Recht könnten jüdische Institutionen theoretisch Zuwendungen von „schlagenden Burschenschaften“ annehmen. Ich schäme mich, dass Verantwortliche jüdischer Organisationen es für möglich halten, Almosen von einem Mann anzunehmen, der unter anderem mit Rassismus, Antisemitismus und der Ausgrenzung Andersdenkender sein Geld verdient hat.

 

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die derzeitigen Kosten unserer Infrastruktur nicht mehr seriös zu finanzieren sind. Und wir alle sollten vermeiden, vom Wohlwollen der heutigen und auch jeder zukünftigen österreichischen Regierung abhängig zu sein.

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