Alltagsgeschichten

Von Erwin Javor

Im Jiddischen gibt es Worte und Laute, die nur im Zusammenhang mit der Betonung und der Gestik verständlich sind, da sie verschiedene Bedeutungen haben können. Es ist daher notwendig so einen Wortlaut exakt mit dem jeweils richtigen Tonfall auszusprechen. Nur so können Missverständnisse vermieden werden. Dies wurde in unserer Zeitung ja bereits mit dem Beispiel des schönen Ausdrucks „Nu?“ dem Leser hinlänglich näher gebracht. Ein anderer kurzer Begriff aus dem Jiddischen ist der Ausruf „O!“. Dieses „O!“ (nicht zu verwechseln mit „Oj!“) wird kurz und triumphierend ausgesprochen und bedeutet so viel wie: „Na, hab ich nicht Recht gehabt?“ Oder „Bravo! Da bist sogar du darauf gekommen.“ Oder anders betont: „Dein Wunsch ist soeben in Erfüllung gegangen.“ Dieser Ausruf ist also nicht nur ein Wort, sondern ein ganzes Vokabular. Das „O!“ wird von einer kurzen Handbewegung begleitet, der rechte Zeigefinger schnellt blitzschnell vor und verstärkt so den Überraschungseffekt. Am besten ist dies durch einen alten jüdischen Witz zu illustrieren:

In einem Kaffeehaus bricht ein Mann beim Kartenspiel tot zusammen. Seine schockierten Freunde beraten, wer nun die traurige Nachricht seiner Witwe überbringen soll. Ein Freiwilliger wird gefunden, läutet an der Wohnungstür und berichtet der Ehefrau des Verstorbenen, dass der Gatte verhindert sei. Ein kleines Vermögen stünde beim Pokern gerade auf dem Spiel. Die erboste Ehefrau verliert die Fassung und ruft: „Der Gauner verliert wieder unser ganzes Geld. Der Schlag soll ihn treffen!“ Darauf erwidert der Freund: „O!“

Der geneigte Leser wird sich möglicherweise daran erinnern, dass ich meine Kommentare in dieser Zeitung immer mit dem gleich bleibenden Satz beende: „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die derzeitigen Kosten unserer Infrastruktur nicht mehr seriös zu finanzieren sind. Und wir alle sollten vermeiden, vom Wohlwollen der heutigen und auch jeder zukünftigen österreichischen Regierung abhängig zu sein.“

Damit habe ich mir bei den Verantwortlichen in der IKG keine Freunde gemacht. Nein, ganz im Gegenteil. Umso erstaunter war ich, als ich in der Juliausgabe der „Gemeinde“ folgende Zeilen „aus dem Büro des Präsidenten“ lesen konnte: „Das Wesentliche ist jedoch, dass sich eine Gemeinde mit knapp 6.000 Mitgliedern ohne finanzielle Basis diese Infrastruktur nicht mehr leisten kann, und wenn die Republik ihren Verpflichtungen nicht nachkommt und die überwiegende Mehrheit der Gemeindemitglieder keine Notwendigkeit sieht, für diese Gemeinde Opfer zu bringen, für pünktliche Bezahlung des Mitgliedsbeitrages zu sorgen und durch Engagement für ihre Gemeinde jene Beiträge und Spenden zu leisten, die jetzt zum finanziellen Überleben notwendig sind, bleibt dem Vorstand nichts anderes übrig, als eben diese Kürzungen umzusetzen.“ „O!“

Bekanntlich hat die IKG ein Sparbudget für das Jahr 2004 beschlossen und der Öffentlichkeit präsentiert. Bei einem Vergleich zum Budget 2002 und 2003 stechen folgende Tatsachen ins Auge: Das Budget 2002 wurde – wie immer – überschritten und zwar um mehr als 20 %. Das Ergebnis 2003 steht noch nicht fest, es ist aber evident, dass die Planung für das heurige Jahr wieder nicht halten wird und ein Abgang von mehr als 2 Millionen Euro zu erwarten ist. Dazu kommen noch Abschreibungen in der Höhe von ca. 1,4 Millionen Euro, sodass ein Verlust von umgerechnet fast 50 Millionen Schilling droht. Im Übrigen bestätigt sich in dieser Berechnung die traurige Tatsache, dass die Abschaffung der Kultussteuer – ein Wahlzuckerl der derzeitigen Macher – ein großes Loch in das Budget gerissen hat. Das neu eingeführte System von Fundraising und niedrig angesetzten Mitgliedsbeiträgen erreicht bei weitem nicht die Höhe der in der Vergangenheit eingegangenen Steuern.

Um einen Konkurs abzuwenden und die Banken zu beruhigen, muss demnach gespart werden. So weit, so gut. In einer Sitzung des Kultusrates wurden kürzlich umfangreiche Maßnahmen beschlossen. Unter anderem zahlreiche Kündigungen langjähriger Mitarbeiter, Kürzungen der Sicherheitskosten und Streichung von Subventionen. Es fällt aber auf, dass nicht alle Organisationen im gleichen Ausmaß gekürzt werden. Der Chabad zum Beispiel, der einen sichtbaren Erfolg vorweisen kann und damit scheinbar auch Eifersucht bei der IKG-Führung erweckt, wird für seine Großtaten bestraft und obendrein vom Präsidenten der Kultusgemeinde öffentlich beleidigt. Es ist offensichtlich schwer zu verkraften, dass Rabbiner Biderman, in wenigen Jahren und im Alleingang, unter anderem eine Volksschule, eine Fachhochschule, ein Kulturzentrum und einen Kindergarten quasi aus dem Boden gestampft hat. Er beweist uns und den Verantwortlichen der IKG, dass Leistungen, vor allem für kürzlich zugewanderte Mitglieder unserer Gemeinde, ganz ohne Show und Selbstdarstellung zu erzielen sind.

In der gleichen Kultusratssitzung wurde auch die Sanierung der Badener Synagoge abgesegnet. Kostenpunkt 3 Millionen Euro. Davon soll 50 Prozent das Land Niederösterreich und 25 Prozent die Stadtgemeinde Baden tragen. Formelle Beschlüsse für die Zuwendungen gibt es aber noch nicht. Außerdem wird durch diese Investition wieder neue Infrastruktur geschaffen. Die Kosten dafür wird man in den zukünftigen Budgets neu aufbringen müssen.

Dr. Muzicant argumentiert immer wieder damit, dass die missliche Finanzlage der Gemeinde durch das Ausbleiben von Entschädigungszahlungen entstanden ist. Dies ist aber nur zum Teil richtig. Wir haben zweifellos und eindeutig Anspruch auf Rückerstattung der geraubten Vermögenswerte und müssen mit allem Nachdruck für eine gerechte Restitution eintreten. Das heißt aber noch lange nicht, dass ein verantwortungsbewusster Vertreter der jüdischen Kultusgemeinde Geld verplanen und ausgeben darf, das uns zwar seit Jahrzehnten zusteht, aber eben (noch?) nicht in unserem Besitz ist. Mit dieser Politik ist die Zukunft unserer Gemeinde gefährdet.

 

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die derzeitigen Kosten unserer Infrastruktur nicht mehr seriös zu finanzieren sind. Und wir alle sollten vermeiden, vom Wohlwollen der heutigen und auch jeder zukünftigen österreichischen Regierung abhängig zu sein.

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