Alltagsgeschichten

Von Erwin Javor

Vor genau zwanzig Jahren starb ein Mitglied u n s e rer Gemeinde und wurde auf unsere m Friedhof auf Tor IV begraben. Sein Sohn hat noch im selben Jahr das Nachbargrab re s e rv i e rt und die von der IKG vorgeschriebene Anzahlung geleistet. Das Grab war für seine Mutter bestimmt, doch hat er ihr, aus Rücksicht auf ihre Gefühle, nichts davon gesagt. Zur Sicherheit und um dieses Geheimnis zu bewahren, hat er mit dem Amtsdirektor der Kultusgemeinde vereinbart, in Zukunft alle noch offenen Fragen in dieser Angelegenheit sowie weitere zu leistende Zahlungen ausschließlich mit ihm persönlich abzuwickeln. Dies wurde ihm zugesagt und auch im Akt von der IKG vermerkt. Aber es kam anders: Im Oktober 2002 erhielt nämlich die mittlerweile 90jährige Mutter einen an sie gerichteten Brief in dem sie in barschem Ton aufgeford e rt wird, bis längstens 15.1.2003 die restlichen 15 % (sic!) der Gesamtsumme für das Grab zu bezahlen. Zudem musste die alte Frau auch noch den k ryptischen Schlusssatz dieses Schreibens verkraften: „Sollten Sie Ihrer Zahlungsverpflichtung nicht nachkommen, sind wir leider gezwungen, den Rücktritt von der mit Ihnen getroffenen Vereinbarung zu erklären und den im Sterbefall dann jeweils gültigen Tarif zu verrechnen. Die von Ihnen geleistete Anzahlung wird in diesem Fall an Sie rückerstattet werden“ (siehe Faximile).

Das Schreiben ging an über hundert betagte Mitglieder unserer Gemeinde. Ich meine, diese unfassbare Fehlleistung ist ein typisches Produkt einer Mischung von Gefühlsarmut und Gedankenlosigkeit, gepaart mit Dilettantismus und Mangel an Kontrolle. Da hilft auch kein Entschuldigungsschreiben des Präsidiums so knapp vor der Wahl. U n s e re Gemeindeführung beschäftigt sich zwar ständig mit dem Bau irgendwelcher Gebäude, Denkmäler oder anderen Projekten, vergisst jedoch, wie man es leider an diesem Beispiel sieht, allzu oft auf Inhalte und Menschlichkeit.

 

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die derzeitigen Kosten unserer Infrastruktur nicht mehr seriös zu finanzieren sind. Und wir alle sollten vermeiden, vom Wohlwollen der heutigen oder auch jeder zukünftigen österreichischen Regierung abhängig zu sein.

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