Alltagsgeschichten

Von Erwin Javor

Der frühere israelische Innenminister Dr. Josef Burg pflegte seine Reden oft mit der Schlagzeile einer Tageszeitung einzuleiten. So wurde ich einmal Zeuge, als er anlässlich eines Israel-Bond-Abends in Wien folgende Überschrift aus dem „Kurier“ verlas: „Gefährlicher Hurrikan zerstört Teile Floridas.“ Als begnadeter Redner genoss er es sichtlich, von einer zufälligen Meldung des Tages einen Bogen bis zu seiner eigentlichen Aussage zu spannen. Auch damals gelang es ihm, in Atem beraubender Weise, von Florida über Wien nach Israel zu gelangen und die Herzen und Brieftaschen seiner Zuhörer zu öffnen. Ein Gast, der gebannt seinen komplizierten Ausführungen gelauscht hatte, ging nach der Rede zum Minister und fragte: „Herr Dr. Burg , bitte erklären Sie mir, ist der Hurrikan nun gut oder schlecht für die Juden?“ Ich muss gestehen, dass auch ich die meisten Dinge an diesem Maßstab messe. Ralph Giordano nennt diese Reaktion „einen auf Grund geschichtlicher Erfahrung genetisch innewohnenden Fluchtinstinkt und ein tiefes Notwehrbedürfnis“. Die Lektüre der täglichen Kommentare in den österreichischen Medien, weckt genau diese angesprochenen Reflexe in mir.

Heutzutage folgen antijüdische Ressentiments in etwa folgendem Rezept: Man nehme die tragische Situation im Nahen Osten, vermenge sie mit Halbwahrheiten, verleumde unauffällig und benenne als Zeugen ein paar jüdische Gegner der derzeitigen israelischen Regierung. Dann füge man noch eine Prise Antisemitismus hinzu, und fertig ist der Kommentar in einer Tageszeitung oder ein Bericht im ORF. Es zeugt von intellektueller Unredlichkeit, einem derart komplexen Thema, wie dem Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, mit Schwarzweißmalerei und unausgewogenen Schuldzuweisungen zu begegnen. Friedrich Orter beispielsweise beklagt immer wieder mit Grabesstimme im ORF, wenn palästinensische Häuser mit der Planierraupe zerstört werden, getötete jüdische Kinder sind ihm dagegen keine Erwähnung wert. Bekanntlich werden die Palästinenser im Voraus gewarnt, wenn ein Gebäude zerstört wird. Es wird in der österreichischen Presse nicht erwähnt, dass die Israelis nie mit gleicher Münze zurückzahlen, wenn gut besuchte Kaffeehäuser, Discos und Spielhallen mit Jugendlichen in die Luft gejagt werden. Auch im Hörfunk erleben wir immer wieder Beispiele von undifferenzierter Meinungsmache.

Diese medial erzeugte Stimmung wird dann  natürlich von einigen Politikern benutzt, um sich auf infame Weise zu profilieren. Das hat ja in Österreich bekanntlich Tradition. Der Volksanwalt Ewald Stadler zum Beispiel erwartet von seinen Kameraden mehr Mut zu „einem enttabuisierten Umgang mit unserer Geschichte, wie dies Horst Mahler in Deutschland getan hat, der dafür auch entsprechend verfolgt wurde.“ Horst Mahler, ein verurteilter RAF-Terrorist, hat sich inzwischen zu einem Rechtsextremisten gewandelt und verbreitet im Internet unter anderem Hetzschriften gegen Juden, die „Feinde des deutschen Volkes“. Mahler ließ sich 1970 in einem PLO-Lager ausbilden und bekennt sich heute ganz offen zu seinem Judenhass. Eine seiner Forderungen ist ein Verbot jüdischer Gemeinden in Deutschland. Am 8. Mai hat sich Volksanwalt Stadler in seiner Rede vor Österreichs Burschenschaftlern mit Mahler solidarisiert und damit eindeutig Stellung bezogen. Nebenbei ist Stadler auch Präsident der Österreichisch-Irakischen Gesellschaft und hat bekanntlich die Besuche von Jörg Haider bei Saddam Hussein eingefädelt.

Im Übrigen forderte Jörg Haider kürzlich dazu auf, palästinensische Terroristen in Österreich als Flüchtlinge aufzunehmen. Dieselbe Forderung finden wir im „Appell an die Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten bezüglich einer Aufnahme der von Israel abgeschobenen Palästinenser. “ Doch diesmal setzt sich nicht ein FPÖ-Mitglied „aus humanitären wie aus politischen Gründen“ für die Terroristen ein, sondern der Sozialdemokrat Fritz Edlinger, Generalsekretär der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen.

Die Qual der Wahl

Sollte die so genannte „Sonntagsfrage“ heute an mich gerichtet werden, wäre ich komplett ratlos. Die ÖVP kommt für mich nicht in Frage. Mir genügt die Erfahrung mit der derzeitigen Koalition. Bleiben noch die Sozialdemokraten und die Grünen. Aber wen wählt man, wenn man die SPÖ wählt? Den wunderbaren Häupl oder den schrecklichen Hatzl? Die großartige Pittermann oder den selbstgerechten Swoboda? Den kleinen Edlinger oder den geschäftstüchtigen Blecha? Und wie steht der Parteivorsitzende Dr. Gusenbauer zu Israel und zu uns Juden? Dieselbe Frage könnte man an die Grünen richten. Gilt das Wort vom Parteivorsitzenden Van der Bellen, gesprochen anlässlich der hervorragend organisierten Solidaritätskundgebung für Israel am Judenplatz oder die einseitige und verzerrte Darstellung der Nahostproblematik seiner außenpolitischen Sprecherin Lunacek?

Protest in Brüssel

Erfreuliches gibt es dagegen aus Brüssel zu berichten: Erstmals haben Europas Juden eine gemeinsame Großkundgebung organisiert. 15.000 Demonstranten aus 18 verschiedenen Ländern bezeugten am 29. Mai ihre Solidarität mit Israel: Mit dem Wunsch nach Frieden wurde auch der Appell an die europäischen Regierungen verknüpft, härter gegen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit vorzugehen. Unter den prominenten Rednern waren Vertreter aus EU-Parlament und -Kommission, beispielsweise Roger Cukierman, Willy de Clercq, Elmar Brok und Gianfranco dell´Alba. Von jüdischer Seite sprachen unter anderem der Oberrabbiner von Paris David Messas, Beate Klarsfeld und Dr. Michel Friedman.

Auch eine österreichische Delegation nahm an dieser Kundgebung teil. Unter rot-weiß-roten Fahnen, Transparenten mit Friedensbotschaften und israelischen Symbolen versammelten sich einige Österreicher – unter ihnen die Wiener Gesundheitsstadträtin Elisabeth Pittermann. Die bemerkenswerte Frau ließ durch ein Statement aufhorchen, das sich in seiner Deutlichkeit wohltuend von Stellungnahmen anderer Politiker abhob: Es müsse, so Pittermann, „ins Bewusstsein kommen, dass man Israel und Juden nicht trennen kann. Was sich gegen Israel richtet, geht zum Teil auch gegen Europas Juden“. Sie kritisierte, dass Israel im Konflikt mit den Palästinensern in den Medien „einseitig als Aggressor“ dargestellt werde. „Ich vermisse einen Aufschrei der Europäer, wenn in Israel Frauen und Kinder ermordet werden“, so Pittermann zur APA.

Die österreichischen Medien fand das Ereignis bedauerlicherweise kaum Beachtung. Mit Ausnahme des „Kurier“, berichtete kein einziges österreichisches Medium über das internationale Ereignis. Der Grund dafür könnte durchaus in Österreich selbst zu suchen sein – die österreichischen Medien wussten einfach nichts über die Brüssel-Kundgebung. Auch über eine sehr gut besuchte Solidaritätskundgebung für Israel am Wiener Judenplatz wurde lediglich in der „Gemeinde“ berichtet.

Fazit: Wenn wir nicht wollen, dass ähnliche erfolgreiche Aktionen lediglich zur Selbsttherapie und zur Nabelschau verkommen, müsste die Kultusgemeinde schleunigst ihre Pressearbeit verbessern.

Mitgliedsbeitrag und Spenden

Auch hausintern stehen die Dinge nicht zum Besten: Mit 1. Jänner 2001 wurde die Kultussteuer abgeschafft und durch einen Kultusbeitrag von € 100.- ersetzt. Der Präsident hatte damit ein Wahlkampfversprechen eingelöst und hoffte, mit der Installierung einer Spezialabteilung würden freiwillige Spenden die entgangenen Steuern ersetzen. Ursprünglich wurden zwei Mitarbeiterinnen rekrutiert. Eine sollte Kultusgemeindemitglieder ansprechen, die andere sollte so genanntes „externes“ Fundraising betreiben. Inzwischen bemüht sich lediglich eine Angestellte um die regulären Mitglieder. Sicher keine leichte Aufgabe. Nicht nur, dass dieses System ungerecht ist, da es auf das jeweilige Einkommen und die Vermögenssituation der Betroffenen keine Rücksicht mehr nimmt, es ist auch ineffizient, lehnt doch jeder zweite gewählte Kultusrat eine freiwillige Spende ab. Das motiviert die einfachen Gemeindemitglieder nicht gerade. Trotzdem können einige den Argumenten und vor allem dem Charme und der Herzlichkeit von Frau Haber nicht widerstehen und spenden teilweise mehr, als sie vorher Steuer zahlten. Die Gesamteinnahmen sind jedoch auf Grund dieser populistischen Verordnung drastisch gefallen und bewegen sich inklusive Fundraising auf einem erbärmlichen Niveau. Während noch 1998 und 1999 die Steuereinnahmen mit über 10 Millionen Schilling budgetiert wurden, sanken die Einnahmen im Jahre 2001 auf 6,3 Millionen Schilling. Rechnet man den Aufwand weg, bleiben lediglich 4,3 Millionen Schilling netto in der Kassa. Bei unseren leidigen Budgetproblemen ist das leider nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Da Kultuswahlen vor der Tür stehen, befürchte ich jedoch ein Totschweigen dieser Problematik.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die derzeitigen Kosten unserer Infrastruktur, nicht mehr seriös zu finanzieren sind. Und wir alle sollten vermeiden, vom Wohlwollen der heutigen oder auch jeder zukünftigen österreichischen Regierung abhängig zu sein.

Die mobile Version verlassen