Alltagsgeschichten

Von Erwin Javor

I. Offizielles Organ

„Die Gemeinde“ ist das offizielle Sprachrohr, oder laut Eigenbezeichnung „Organ“ der Israelitischen Kultusgemeinde Wien. Ruhmesblatt ist sie allerdings keines. An die diversen Hoppalas haben wir uns – wohl oder übel – gewöhnen müssen. Auch die ständige Selbstbeweihräucherung des derzeitigen Vorstandes muss man wohl – teils resigniert , teils amüsiert – zur Kenntnis nehmen.

Eine Frage stellt sich aber doch: Ob wir uns bei der tristen Finanzsituation der IKG ein derart teures Monatsmagazin, welches noch dazu regelmäßig verspätet erscheint, überhaupt leisten können.

Das Defizit der „Gemeinde“ beläuft sich im Jahre 2001 vorläufig auf nicht weniger als 130 000 Euro (entspricht 1.781.000 Schilling). Während andere jüdische Zeitungen in Österreich in mühevoller Kleinarbeit es schaffen, die jüdische Öffentlichkeit nicht mit Kosten zu belasten, wurde das Budget der „Gemeinde“ ohne jegliche Diskussion oder gar Konsequenzen um mehr als fünfzig Prozent überschritten. Aber nicht genug damit: In letzter Zeit wird das offizielle Organ der Israelitischen Kultusgemeinde exzessiv als polemische Kampfschrift gegen andersdenkende Gemeindemitglieder oder oppositionelle Kultusräte missbraucht.

Es genügt dem Chefredakteur des „Bund“ offenbar nicht, seine Meinung in seiner Parteipostille zu Papier zu bringen. Nein, er nutzt zunehmend auch die „Gemeinde“ als Plattform für politische Agitation. Ich habe volles Verständnis dafür, dass die derzeitig Verantwortlichen unserer Gemeinde, die ihre Freizeit und vieles mehr opfern, eher Dank als Kritik erwarten. Zumal sie diese Arbeit, wie wir alle wissen, ehrenamtlich tun.

Aber das heißt noch lange nicht, dass Entscheidungen und Handlungen von gewählten und selbst ernannten Lenkern der jüdischen Geschicke immer glücklich und weise sein müssen. Statt jedoch Kritik zuzulassen, um eigene eingefahrene Denkmuster zu hinterfragen, wird grundsätzlich geleugnet und gemauert.

Ich bin der Ansicht, dass derzeit zugunsten kurzfristiger finanzieller Vorteile auf lange Sicht unsere Glaubwürdigkeit auf der Strecke bleibt. Es wird immer notwendiger, die dringende Frage zu stellen, ob weitere geplante Investitionen überhaupt notwendig sind, beziehungsweise, ob es dafür auch tatsächlich Bedarf gibt. Noch dazu, wenn bereits die derzeitigen Kosten der (im Verhältnis zur Mitgliederzahl) überbordenden Infrastruktur, nicht mehr seriös zu finanzieren sind. Und wir alle sollten vermeiden, vom Wohlwollen der heutigen, oder auch jeder zukünftigen österreichischen Regierung abhängig zu sein.

 

II. Ist die Diskussion über Sicherheitsfragen wirklich sakrosankt?

Die Kosten der Sicherheit sind von 1.509.197 Euro (20.676.000 Schilling) im Jahre 2000 auf 1.335.182 Euro (18.292.000 Schilling) im Jahr 2001 gefallen. Ein Erfolg? Leider nein.

Im Jahre 2000 wurden eine Reihe von Wohnungen der IKG an Sicherheitsleute vermietet und in den Bilanzen korrekt ausgewiesen.

Seit letztem Jahr verrechnet die Gebäudeverwaltung der Sicherheitsabteilung für diese Wohnungen keine Miete mehr, sodass der Aufwand um cirka. 175.182 Euro (2,4 Millionen Schilling) gefallen ist. Die Einnahmen der Gebäudeverwaltung sind allerdings im Gegenzug um den selben Betrag gesunken. Im Klartext: Die Kosten sind gleich geblieben, sie scheinen nur an anderer Stelle auf.

Wenn man davon ausgeht, dass die Kultusgemeinde derzeit etwa 6.600 Mitglieder hat, ergeben sich Sicherheitskosten von jährlich über 219 Euro (3.000 Schilling) pro Mitglied. Also, mehr als das Doppelte des Mitgliedsbeitrags („Kultussteuer“). Ich behaupte nach wie vor, dass die notwendige hohe Sicherheit mit geringerem Kostenaufwand möglich ist. Und so stellt sich die drängende Frage: Warum hat sich die Kontrollkommission dieses wichtigen  Themas bisher nicht angenommen?

 

III. Jüdische Schulen

Vor mehr als zwanzig Jahren haben einige Freunde und ich in einer Privatinitiative beschlossen, ihren Kindern die Möglichkeit zu geben, in einer jüdischen Schule eine fundierte Ausbildung zu erhalten. Diese Schule wurde zum damaligen Zeitpunkt gegen die Interessen der Kultusgemeinde gegründet und auch finanziert. Unser Credo war, dass es ohne Kenntnisse der jüdischen Kultur, des Glaubens und vor allem unserer Geschichte keine Zukunft der IKG geben kann. Inzwischen sind, wie wir wissen, weitere jüdische Schulen gegründet worden. Während damals in meiner Generation und auch Jahre später die jüdischen Mittelschüler und Hochschüler immer wieder zu gesellschaftspolitischen Themen, teilweise auch äußerst kontrovers, in der Öffentlichkeit Stellung bezogen haben, (zum Beispiel Eichmannprozess, Jom-Kippurkrieg, Konflikt zwischen Bruno Kreisky und Simon Wiesenthal, Taras Borodajkewycz, Libanonfeldzug, Kurt Waldheim und ähnliches) herrscht im Moment völlige Funkstille.

Hat da unsere Erziehung versagt? Wi e kommt es, dass trotz jüdischer Prägung in diesen, unseren Schulen, derzeit kein jüdischer Jugendlicher bereit ist, sich in der österreichischen Gesellschaft einer Diskussion zu stellen. Themen gibt es ja wohl genug. Warum werden nicht zum Beispiel Leserbriefe gegen antisemitische Zeitungskommentare in der „Kronenzeitung“ (Andreas Mölzer, Wolf Martin, Claus Pandi) formuliert oder verzerrte Israelberichte im „Kurier“ (Livia Klingl) richtiggestellt?

Ich glaube, dass die IKG hier einer besorgniserregenden Entwicklung entgegensteuern muss. Es gilt, eine Diskussion einzuleiten, die auch berücksichtigt, dass manche junge, integre und idealistische Juden glauben, es wäre aus Sicherheitsgründen klüger, sich nicht öffentlich zu äußern, obwohl sie sich im stillen Kämmerlein sehr wohl dem Kampf gegen den Antisemitismus verschrieben haben. Und es sollte überlegt werden, was es bedeutet, wenn für einen Teil der Jugendlichen der Kampf gegen den Antisemitismus zur letzten Klammer wird, die sie mit dem Judentum noch verbindet. Die IKG ist von dieser Stelle her aufgefordert, Projekte zu unterstützen, die uns aus diesem Dilemma herausführen und neue Formen der offenen jüdischen Identität zu schaffen imstande sind.

Wir von NU werden uns in den Diskussionsprozess gerne einbringen.

 

IV. Israel

Die israelische Bevölkerung will Frieden!

Nicht umsonst wurde Ehud Barak, der Frieden innerhalb kürzester Zeit versprochen hatte, mit großer Mehrheit in sein Amt gewählt. Doch Arafat hat diese Gelegenheit wieder einmal nicht nützen wollen. Das großzügige Angebot in Camp David – die Rückgabe von 95 Prozent der Territorien und Stadtteile von Jerusalem – wurde von ihm als Zeichen der Schwäche interpretiert.

Er spielt das Spiel: Alles oder nichts.

Die israelische Bevölkerung will Frieden! Nicht umsonst demonstrieren regelmäßig mehrere tausend Friedensaktivisten gegen die Politik des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Sharon. Aber die Wahl von Sharon wurde ja direkt von der Politik Arafats nach dem Scheitern der Friedensverhandlungen begünstigt. Wie viele Palästinenser demonstrieren derzeit gegen ihre Regierung und für Kompromisse?

Die israelische Bevölkerung will Frieden! Nicht umsonst setzen sich Israels Künstler und Intellektuelle vehement für Frieden, gegen Gewalt und falschen Nationalismus ein. Wie viele palästinensische Künstler und Intellektuelle tun das Gleiche?

Der Keim für die jetzige Phase der Gewalt, der schon seit 17 Monaten wütet, ist mit dem unilateralen Abzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon gelegt worden. Er hat den radikalen Elementen das Signal gegeben, dass man ohne Verhandlungen und daher auch ohne schmerzhafte Kompromisse die Juden mit Gewalt aus den besetzten Gebieten vertreiben kann. Der damalige Ministerpräsident Ehud Barak hatte nämlich aufgrund der zahlreichen Todesopfer, die die Kontrolle des südlibanesischen Sicherheitsstreifens in den Reihen der israelischen Soldaten forderte, die Truppen aus dieser Sicherheitszone abgezogen.

Das Ziel islamischer Extremisten, wie Hamas und Islamischer Jihad, ist die gewaltsame Rückeroberung aller im ehemaligen Mandatsgebiet Palästina liegenden Gebiete, also auch des israelischen Territoriums in den Grenzen von 1967. Ziel dieser Extremisten ist es, in Cisjordanien und dem Gazastreifen Zustände herzustellen, wie sie im Südlibanon geherrscht haben.

Für die überwältigende Mehrheit der israelischen Bevölkerung sind die besetzten Gebiete ein Faustpfand für den Frieden. Dies wurde ja schon einmal mit der vollständigen Rückgabe der eroberten ägyptischen Gebiete bewiesen. Es fehlt nur noch ein palästinensischer „Sadat“, denn „Begins“ gibt es viele in Israel. So einfach ist das! Ist es das wirklich?

Natürlich nicht. Aber jetzt ist mir leichter.

Die mobile Version verlassen