Alltagsgeschichten

Von Erwin Javor

I. Parolen und Haferlschuh

F reitag nach Büroschluss stellt sich für mich immer die gleiche Frage. Soll ich zu meinen Freunden in die Synagoge gehen, oder doch lieber gleich auf einen Tratsch zu meinen Freunden ins Kaffeehaus? In der Regel gewinnt das Kaffeehaus. An einem wunderschönen, warmen Herbstnachmittag kam ich auf dem Weg ins Cafe Europe an einer Kundgebung am Stock im Eisenplatz vorbei. Es handelte sich um eine Demo gegen Israel.

Die TeilnehmerInnen waren überwiegend im Haferlschuh-Look gekleidete, aufgeregt wirkende Damen. Sie verteilte n Flugblätter mit antizionistischem Inhalt. Araber w a ren keine dabei. Nur die ZettelverteilerInnen mit ihrem strengen, selbstgerechten Blick. Ich konnte zustimmende Gespräche am Rande dieser Kundgebung nicht überhören. Die Formel „Zionismus ist Terrorismus“ und der Vergleich der israelischen Politik mit jener der Nationalsozialisten war für manche dort anwesende typische Kronenzeitungsleser einfach zu schön. Schwarz-weiße Transparente mit eben solchen Slogans erhöhten meinen Ärger, und so kam es, dass ich mich zu einem Dialog mit einer etwa fünfzigjährigen grauhaarigen Dame, die mir ein Flugblatt aufdrängen wollte, hinreißen ließ : „Sagen Sie, schämen Sie sich überhaupt nicht?“ fragte ich. „Nein, überhaupt nicht. Ihr Juden glaubt, ihr könnt euch in Österreich alles erlauben.“ Obwohl ich verblüfft war, wie schnell sie meine Zugehörigkeit erkannt hatte, antwortete ich ihr: „Das hat Ihr Vater wahrscheinlich 1938 auch gesagt.“ Darauf schrie Sie: „Mein Vater war im Widerstand“ „Ja,“ entgegnete ich. „Aber wahrscheinlich gegen die Alliierten“.

 

2. Wahlkampf

Ich denke, noch vor wenigen Jahren hätten ein paar jüdische Organisationen etwas gegen diese üble Propaganda unternommen . Wahrscheinlich hätten sie sogar versucht, mit einer konkreten Aktion Aufmerksamkeit zu erlangen. Wir waren doch immer der Meinung, dass ein Dialog mit kreativen und selbstkritischen Mitteln überz e ugen oder zumindest zum Nachdenken anregen kann.

Wer korrigiert eigentlich das Israelbild in der österreichischen Öffentlichkeit? Die Zionistische Föderation? Die hat im Augenblick leider keine Zeit. Es herrscht Wahlkampf! Nachzulesen im „Bund“. Dort wird mit großer Leidenschaft diskutiert, ob der „Bund“ bei der nächsten Wahl zum Zionistenkongress in Österreich kandidieren darf oder nicht und sich damit das Recht erwirbt, schlussendlich einen Delegierten zu irgendeinem „wichtigen“ Kongress nach Israel zu entsenden. Konkrete Anliegen in Österreich scheinen manche unter uns hingegen nicht wirklich zu interessieren.

 

3. Marillenknödelesser

Dann könnte man noch glauben, dass die Jüdischen Hochschüler prädestiniert wären, kritische und glaubwürdige Aktionen gegen diese Vorurteile zu organisieren. Das Herbstprogramm der Vereinigung belehrt mich allerdings eines Besseren. Denn da heißt es: Donnerstag, 11.Oktober 2001: Club-Abend. Rahmenprogramm: Marillenknödel-Essen. Donnerstag, 18. Oktober 2001: Schnitzeljagd. Donnerstag, 25.Oktober 2001: Darts und Wuzeln . Weiters folgt in fetten Lettern: „Bist du jung? Hast du Freude am Singen?Möchtest du auf Turneen (sic!) im In- und Ausland mit Gleichaltrigen reisen? Jetzt ist die Gelegenheit dazu!Die VJHÖ wählt Mitglieder für einen Jugendchor aus. Sing mit uns mit und die Welt wird von uns hören!“

Es gibt keine einzige Stellungnahme zu politischen und moralischen Fragen. Dabei ließe sich eine recht lange Liste erstellen:

1. Ein Jahr Intifada

2. Eine kontroversiell geführte Restitutionsdebatte

3 . Ministermord in Israel

4 . Camp David mit dem bekannten Ergebnis

5 . Permanente Hetze der Kronenzeitung

6 . Jörg Haider

7 . 11. September

8 . Polarisierung im Judentum in religiösen Fragen

Was ist die Antwort der Hochschüler auf all diese Probleme? Sie gründen einen Chor! Wo zum Teufel sind die kritisch denkenden jüdischen Studenten verblieben? Sie können doch nicht alle ausgewandert sein? Haben alle resigniert? Oder dürfen wir doch noch etwas von unserer zukünftigen Elite erwarten?

Gerne werden wir im nächsten NU über die politischen Vo rhaben der jüdischen Studenten berichten.

 

Post Scriptum

Es kommt selten vor, dass man ausschließlich positive Reaktionen auf einen kritischen Artikel erhält. Auf meine Anmerkungen zur Sicherheitsfrage in der Septemberausgabe ist es mir so ergangen. Zahlreiche zustimmende Reaktionen bestätigten mein Unbehagen in dieser sensiblen Angelegenheit. Es wurden mir einige Vorkommnisse geschildert, die mir zeigen, dass einiges – vorsichtig ausgedrückt – zu verbessern wäre. Eine Zeitung ist jedoch kein Medium um Sicherheitsfragen zu erörtern. Außerdem könnte meine persönliche Schlussfolgerung aus den Reaktionen einiger Unzufriedener falsch sein. Vielleicht fühlen sich ja die meisten ohnehin gut und ausreichend beschützt. Es steht jedenfalls außer Zweifel, dass wir Juden allen Grund haben, uns und unsere Einrichtungen zu schützen. Ebenso außer Zweifel steht aber auch, dass jede Organisationsstruktur innerhalb der IKG sich einer regelmäßigen und kritischen Kontrolle unterziehen müsste. Wie ich höre wird dies, wenn überhaupt, ausschließlich von „Insidern“ aus dem Sicherheitsbereich durchgeführt. Eine notwendige Verbesserung wird dadurch erschwert oder sogar unmöglich gemacht. So wächst auch die Gefahr, dass die Sicherheitsabteilung zum Staat im Staat wird. Ich schlage daher vor, unabhängige und verlässliche Gemeindemitglieder mit den wichtigen Kontrollaufgabe zu betrauen. Sollten die Verantwortlichen in der Kultusgemeinde diese Anregung aufgreifen , könnten wir uns noch sicherer fühlen und es ließen sich vermutlich die grundsätzlich zwar notwendigen, allerdings weit überhöhten Aufwendungen einigermaßen reduzieren.

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