Alltagsgeschichten

Von Erwin Javor

Man erzählt sich, dass dereinst in einem Schtetl in Polen (es kann auch in Rumänien gewesen sein) ein heiratswilliger junger Mann, trotz heißem Bemühen, keine Braut finden konnte. Er war intelligent und kam noch dazu aus einem wohlhabenden Haus, wurde aber dennoch von der Damenwelt abgelehnt. Er hatte nämlich einen entscheidenden Fehler. Er wollte ständig im Mittelpunkt stehen und nahm es auch mit der Wahrheit nicht immer ganz genau. Man konnte zwar nicht behaupten, dass er Lügengeschichten erzählte, aber seine ständigen Übertreibungen waren einfach nervtötend. So kam es, dass er einen Schadchen (Heiratsvermittler) engagieren musste, um sein Ziel – nämlich eine Familie zu gründen – zu erreichen. Der Schadchen war nicht irgendein Schadchen, sondern ein Spezialist für „hoffnungslose“ Fälle. Die beiden hatten einige Vorgespräche und schlussendlich musste der zukünftige Bräutigam dem Vermittler hoch und heilig versprechen, sich während des Erstgesprächs mit einer verheißungsvollen Kandidatin ordentlich und vor allem bescheiden zu verhalten. Doch es kam wie es kommen musste. Nach einigen Minuten der netten Unterhaltung vergaß der Unbelehrbare seine anfängliche Zurückhaltung und fing an, sein Haus zu beschreiben: „Also mein Wohnzimmer ist über einhundert Meter lang und …“ Der junge Mann machte eine bedeutungsvolle Pause. Diese Unterbrechung nutzte der Schadchen, um seinen Kunden einen kräftigen Tritt unter dem Tisch zu verpassen. Schuldbewusst und kleinlaut beendete dieser dann den begonnenen Satz mit „… und einen halben Meter breit.“ Ich musste unwillkürlich an diese Geschichte denken, als ich wieder einmal Schlagzeilen, Kommentare und Leitartikel über diverse Aussagen unseres Präsidenten in den Zeitungen las.

Was war geschehen? Anfang Februar tagte bekanntlich eine Rabbinerkonferenz in Wien. Rund 100 Rabbiner, unter ihnen immerhin Israels Oberrabbiner, waren zu Gast bei Thomas Klestil und nach einer denkwürdigen, herzlichen und vor allem ehrlichen Rede des Bundespräsidenten wurde er von Israels Oberrabbiner Jona Metzger geehrt und gesegnet. Der Menschenrechtspreis 2003 des „Rabbinical Center of Europe“ (RCE) wurde EU-Kommissionspräsident Romano Prodi von insgesamt fünf Rabbinern überreicht. Der Oberrabbiner von Antwerpen David Lieberman, Israels Oberrabbiner Jona Metzger, der Oberrabbiner von Russland Berl Lazar, der Oberrabbiner der Ukraine Azriel Cheikin sowie RCE- Direktor Moshe Garelik aus Mailand stellten sich in einem Halbkreis auf und Metzger legte im Rahmen des Festaktes auch Prodi seine Hände segnend auf das Haupt. Während der Konferenz wurden natürlich auch Probleme der Assimilation der Juden im ehemaligen Ostblock und die Zunahme des Antisemitismus in vielen europäischen Ländern diskutiert. Diese Gespräche, an denen unter anderem auch Israels Tourismusminister Benny Elon teilnahm, wurden sachlich und differenziert geführt. Hart in der Sache, aber verbindlich im Ton.

Ich muss sicher nicht erwähnen, dass dieses Ereignis ein positives Echo in der heimischen Medienwelt ausgelöst hätte, wenn der Präsident der Kultusgemeinde seine Worte hätte halten können. Aber nein – aus welchem Grund auch immer – am selben Tag, an dem man den zu Tränen gerührten Bundespräsidenten in der ZIB1 beobachten konnte, musste Dr. Muzicant mit einer zwanghaft übertriebenen Wortmeldung diese positive Stimmung mutwillig zerstören. „Noch nie seit 1945 werde in den Gemeinden so intensiv die Frage diskutiert, ob Juden in Europa überhaupt noch eine Zukunft hätten … in ständiger Angst weiterleben zu müssen … dass Juden in Europa massiv daran denken, aus Europa auszuwandern“ und „Meine Kinder haben Österreich verlassen, weil sie den täglichen Stress, Juden zu sein, nicht mehr aushalten“ usw., usw. Seine Wortspende in den Abendnachrichten konterkarierte natürlich das Ergebnis der dreitägigen Konferenz.

Welchen Grund hat Dr. Muzicant, ein so verzerrtes und einseitiges Bild in der Öffentlichkeit zu zeichnen? Das Motiv ist, fürchte ich, pure Eitelkeit, weil nicht die Kultusgemeinde im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses stand, sondern die Organisatoren der Konferenz.

Die verzerrten Aussagen von Dr. Muzicant jedoch, die am nächsten Tag natürlich Schlagzeilen machten, verdrängten leider die positiven Ergebnisse der Rabbinerkonferenz. Und weit und breit war kein Schadchen da, der Muzicant unter dem Tisch hätte treten können.

 

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die derzeitigen Kosten unserer Infrastruktur nicht mehr seriös zu finanzieren sind. Und wir alle sollten vermeiden, vom Wohlwollen der heutigen oder auch jeder zukünftigen österreichischen Regierung abhängig zu sein.

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