Acht Antworten an meinen Präsidenten

Von Harry Bergmann

Zuerst aber die Vorgeschichte: Am 23. Juni erging ein Brief an den Kultusvorstand, in dem rund achtzig Personen bzw. Familien ihre Bestürzung über die Kündigung von Oberkantor Shmuel Barzilai zum Ausdruck brachten (ich sollte vielleicht besser sagen: „… wagten zum Ausdruck zu bringen“). Einen Monat (!) später erfreuten sich einige der Unterzeichnenden eines Antwortschreibens ihres Kultuspräsidenten, das – anstatt Antworten – acht oberlehrerhafte Fragen enthielt. Daher, lieber Ari, hier der Versuch einer Beantwortung deiner Fragen, der das Wohlwollen eines Kultusvorstandes finden möge, der die Gemeinde offensichtlich bereits als Privatbesitz zu betrachten beginnt.

Zu deiner ersten Frage: „Ist Ihnen bewusst, dass die Kultusgemeinde seit 58 Jahren mehr ausgegeben als eingenommen hat, Schulden hat und nun der Zeitpunkt gekommen ist, wo keine Schulden mehr gemacht werden können?“

Ja, es ist uns bewusst! Wie könnte es uns auch angesichts des medialen Geschreis entgangen sein. Aber Gegenfrage: Soll und kann es sich die Kultusgemeinde leisten, nach den monetären Schulden jetzt auch noch „humane Schulden“ zu machen? Mit Barzilai wurde kein einziges Gespräch geführt, obwohl bereits die ganze Stadt die bevorstehende Kündigung diskutieren durfte.

Zu deiner zweiten Frage: „Ist Ihnen bewusst, dass daher 2004 kein Defizit mehr möglich ist? Der Kultusvorstand war gezwungen, den ursprünglichen Vorschlag der Finanzkommission, wiederum 2,7 Mio. Euro Defizit zu machen, abzulehnen.“

Die genaue Höhe des Defizits ist mir (und vermutlich den meisten Unterzeichnenden) ebenso unbekannt wie der Grund, warum die Kultusgemeinde 58 Jahre lang „gezwungen“ war, mehr auszugeben als einzunehmen – und sich erst heuer von dieser Geißel befreien konnte. Gänzlich unbekannt ist mir allerdings das Motiv, in ein und derselben Kultusvorstandssitzung die notwendigen Kündigungen und gleichzeitig die millionenschwere Kostenbeteiligung am Bau einer Synagoge in Baden zu beschließen (auch wenn mir bekannt ist, dass die öffentliche Hand diesen Bau mit einer hohen Summe unterstützt).

Zu deiner dritten Frage: „Ist Ihnen bewusst, dass neben dem Tempel und dem Bereich Kultus auch die Bereiche Sicherheit, Schulen, Stipendien, Verwaltung usw. um zwischen 25 und 50 Prozent gekürzt werden mussten?“

Deine Forderung nach Detailkenntnissen wird zwar langsam redundant, aber: Ja, es ist uns – zumindest im Prinzip – bewusst und bekannt. Weil wir gerade bei den Kürzungen sind: Ist irgendeiner der Kultusvorstände jemals auf die Idee gekommen, Barzilai zu fragen, ob er – angesichts der Situation der IKG – von sich aus mit einer Kürzung seines Einkommens einverstanden wäre?

Zu deiner vierten (und atemberaubendsten) Frage: „Ist Ihnen bewusst, dass wir gezwungen waren, weitere 13 Mitarbeiter zu kündigen? Haben diese Personen einen anderen Stellenwert als der Oberkantor? Sollen unsere Kinder in Zukunft ohne den Schutz der Sicherheit die Synagoge besuchen?“

Interessant, welche Logik absolutistisches Denken hervorbringt: Jene, die nicht wollen, dass der Kantor und Lehrer ihrer Kinder kommentarlos hinausgeschmissen wird, sind schuld, dass alle Kinder in Zukunft schutzlos die Synagoge besuchen werden müssen … Aber zurück zu deiner Frage: Es ist mir nicht nur bekannt, dass auch noch eine ganze Reihe anderer Mitarbeiter gekündigt wurden, sondern dass darunter sogar solche sind, die ein derart kleines Einkommen hatten, dass ich gerne von dir oder einem Vertreter deiner Wahl den betriebswirtschaftlichen Erfolg dieser Personalkosteneinsparung erklärt bekommen möchte.

Zu deiner fünften Frage: „Wissen Sie, dass der Wiener Stadttempel ein jährliches Spendenaufkommen von nur 20.000 Euro bei einem Gesamtaufwand von ca. 550.000 Euro hat …?“

Machen wir es kurz: Die 20.000 Euro stimmen mit Sicherheit nicht … und die Einnahmen für die Sitze können ja auch nicht verschwinden wie bei Herzmanovsky-Orlando die Züge hinter Leoben …, aber das spielt auch gar keine Rolle. Das alles läuft doch darauf hinaus, dass der Ojlem seinen Tempel selbst finanzieren soll (oder zumindest substantieller, als es jetzt passiert). Damit bin ich voll einverstanden. Vor allem: So können in Hinkunft endlich auch alle Kultusvorstände ihre Liebe und Zuneigung zum Tempel nicht nur bloß durch Worte, sondern auch durch „messbare Beiträge“ unter Beweis stellen.

Zu deiner sechsten Frage: „Warum appellieren Sie an mich? Warum nehmen Sie es nicht selbst in die Hand?“

Wir sind – in unserem offensichtlich naiven Demokratieverständnis – davon ausgegangen, dass du ein gewählter Repräsentant bist. Von uns gewählt. Wenn es dein Amtsverständnis ist, dass der Wähler die Dinge selbst in die Hand nehmen soll, ist es uns auch recht, nur solltest du uns bitte vor der nächsten Kultuswahl wieder daran erinnern. Übrigens: Die meisten von uns haben es schon in die Hand genommen und einmal damit begonnen, mit Barzilai zu reden. Du würdest dich wundern, was das allein schon bewirkt.

Zu deiner siebenten und achten Frage: „Warum ist die Kultusgemeinde für Sie ein Amt, eine Behörde, an die man nur Forderungen stellen kann … Warum nehmen Sie seit Jahrzehnten die Leistungen der Kultusgemeinde als selbstverständlich …?“

Wir sind am Kern des Problems angelangt. Es ist nämlich genau umgekehrt! Wir dachten, wir appellieren von Mensch zu Mensch. Wir waren überzeugt, dass selbst die schmerzlichsten Schritte (wenn sie überhaupt gemacht werden müssen) so gemacht werden können, dass die Ehre und Würde der Betroffenen respektiert wird … Heute wissen wir, dass wir mit einer Behörde kommuniziert haben.

Lieber Ari, da wir gerade so angeregt miteinander plaudern, muss ich dir noch eines sagen: Du hast es doch tatsächlich geschafft, durch ständiges lauthalses Verknüpfen der beiden Themen „Restitution“ und „die IKG ist pleite!“ die Zahlung der Bundesregierung so aussehen zu lassen als ob diese „netten Leut‘“ der armen Kultusgemeinde einen finanziellen Rettungsring zuwerfen und nicht mit einem lächerlichen Teil eine jahrzehntealte Schuld abzutragen beginnen.

Du beendest dein Schreiben mit der Anmerkung, dass du von uns – „deinen Gemeindemitgliedern“ – weniger Ezzes und mehr Engagement erwartest. Ich hoffe, mit der engagierten Beantwortung deiner Fragen in deinem Sinne gehandelt zu haben.

Die mobile Version verlassen