20.000 Seiten Historikerbericht: Ein erster Überblick

Von Alexia Weiss

„Vorbildlich hat sich die Republik .sterreich nicht verhalten. Gut hat sie sich auch nicht verhalten.“ – Die Zwischenbilanz des Vorsitzenden der österreichischen Historikerkommission, Clemens Jabloner, fällt deutlich aus. Berichte im Umfang von 4.000 Seiten präsentiert e das Historikerteam zu Sommerbeginn – rund ein Fünftel dessen, was der Öffentlichkeit im November dann als Gesamtbilanz vorgelegt werden soll. Die Stoßrichtung ist bereits jetzt klar: Die Republik Österreich hat den NS-Opfern den Zugang zu Gerechtigkeit und Entschädigung nicht leicht gemacht.

Eines vor weg: Eine Globalbilanz – und damit die vielseits so sehnsüchtig erwartete Gesamtschadenszahl – wird es nicht geben. Das machte das Historikerteam bereits mehrmals klar. Aufgearbeitet wurde das Thema vielmehr in seinen verschiedenen Details. Bereits seit längerem bekannt sind die Berichte zu NS-Zwangsarbeitern sowie zu entzogenen Mietrechten. In beiden Fällen hat die Regierung inzwischen für Entschädigungsmodelle gesorgt. Ehemalige Zwangs- und Sklavenarbeiter werden aus dem „Versöhnungsfonds“ entschädigt. Für entzogene Mietwohnungen wird vom Nationalfonds eine pauschalierte Abgeltung in Höhe von 7.000 US-Dollar ausbezahlt.

Abgeschlossen sind die Arbeiten inzwischen auch in den Bereichen „Staatsbürgerschaft“ und „Staatsvertrag“ sowie über die juristischen Aspekte der Rückstellung. Diese Berichte präsentierte die Kommission Anfang Juli.

Der für November geplante Endbericht soll dann u. a . auch die Situation der Roma und Sinti, Rückstellungen bei Vereinen, bei Unternehmen, der katholischen Kirche und der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) sowie die Handhabung des Steuerrechts und den Umgang mit Homosexuellen und politisch Verfolgten beleuchten.

Die vorliegende Analyse des Rückstellungswesens ergab: dieses „ist ein unübersichtliches, teilweise widersprüchliches Geflecht aus einer Vielzahl von Gesetzen und Verordnungen, von widerstrebenden Interessen der politischen Parteien, der Wirtschaftsverbände, der Opfer-Organisationen und der Alliierten.“

Als Hauptproblem ortet die Historikerkommission hier die österreichische Haltung, als Opfer des nationalsozialistischen Deutschland keine Mitverantwortung für die NS-Verbrechen und deren Konsequenzen zu übernehmen. Nur auf Druck der Alliierten sei überhaupt etwas unternommen worden. 1946 entschied man sich zunächst für das Prinzip der Naturalrestitution. Zurückgegeben wurde nur, was vorhanden war. Entschädigungs- bzw. Schadensersatzzahlungen wurden keine geleistet. Ein Durchbrechen dieses Prinzips brachte erst 1955 der Staatsvertrag. Allerdings wurden auch dann die Opfer bei Rückstellungsverfahren weitgehend in die Rolle der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer gedrängt.

Das 1. Rückstellungsgesetz wurde im Juli 1946 beschlossen. Dieses erfasste Vermögen, die durch hoheitliches Handeln entzogen worden waren. Das 2 . Rückstellungsgesetz von Februar 1947 normierte die Rückübertragung der auf Grund des Nationalsozialisten- oder Kriegsverbrechergesetzes an die Republik gefallenen entzogenen Vermögens. Zentral für die Opfer war aber erst das 3. Rückstellungsgesetz, das ebenfalls im Februar 1947 beschlossen wurde. Mit diesem wurde die gesetzliche Grundlage für die Rückforderung von Vermögensgegenständen geschaffen. Als Manko stellte sich dabei jedoch die vorgesehene beschränkte Erbfolge heraus. Dadurch wollte man „Rückstellungsgewinnler“ verhindern. Von 1947 bis 1949 folgten vier weitere Gesetze, die Bereiche wie Marken- und Pa t e n t rechte bis hin zum Pro b l e m gelöschter oder geänderter Firmennamen betrafen.

Damit kam man insgesamt auf sieben Rückstellungsgesetze. Diese erfüllten nach Ansicht der Historiker „zwar insgesamt durchaus den beabsichtigten Zweck – die Rückstellung des entzogenen Vermögens. Schwierigkeiten ergaben sich aber in der Rechtssprechung der Rückstellungskommissionen, die in Fällen des 3. Rückstellungsgesetzes zu entscheiden hatten“. In der Frühphase – bis 1948 – habe die Justiz noch dazu tendiert, die gesetzlichen Vorgaben zu Gunsten der Rückstellungswerber auszulegen. Ab den frühen fünfziger Jahren sei dann eine zunehmend restriktive Haltung gegenüber den NS-Opfern festzustellen, so die Historikerkommission.

Wenig glorreich liest sich auch der Teilbericht zum Thema Staatsbürgerschaft. Erst 1993 sei ein Zustand hergestellt worden, „der als einigermaßen zufrieden stellend zu beurteilen ist“, meinen die Historiker. Das „Grundmuster“ der Nachkriegspolitik sei gewesen, verbunden mit einer formalen Gleichstellung aller Personen strukturbedingt negative Aspekte für vertriebene Juden in Kauf zu nehmen. Der Auslöser des Problems war, dass die Nationalsozialisten Juden die Staatsbürgerschaft aberkannten – zunächst einzeln und per Bescheid, ab 1941 dann kollektiv über eine Verordnung.

Die Staatsbürgerschaftsüberleitung 1945 knüpfte dann aber an den 13. März 1938 an und fingierte die Weitergeltung des österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetzes von 1925. Das bedeutete, dass nur jene Vertriebenen, die am 13. März 1938 österreichische Staatsbürger gewesen waren und in der Zeit zwischen 1938 und 1945 nicht eine fremde Staatsbürgerschaft angenommen hatten, am 27. April 1945 als Österreicher galten. Alle, die inzwischen eine andere Nationalität angenommen hatten, erhielten die österreichische Staatsbürgerschaft nicht mehr.

Anders war man in Deutschland vorgegangen. Dort wurde im Grundgesetz festgehalten, dass alle Vertriebenen und all deren Nachfahren automatisch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. In Österreich wird erst seit 1993 von den ehemaligen Staatsbürgern nicht mehr die Aufgabe einer fremden Staatsangehörigkeit gefordert und auch die Voraussetzung einer Wohnsitzbegründung, also in .sterreich zu wohnen, wurde fallen gelassen.

Die unzureichende Regelung des Staatsbürgerschaftswesens wirkte sich vor allem dort aus, wo die österreichische Staatsbürgerschaft Voraussetzung für Entschädigungsmaßnahmen war, etwa bei der Opferfürsorge.

Erst seit vergangenem März können auch im Ausland lebende Betroffene Pflegegeld aller Stufen beziehen. Diese Sozialmaßnahme ist Teil des im Jänner 2001 in Washington geschnürten Entschädigungspakets.

Die Historikerkommission wurde 1998 eingesetzt, um den gesamten Komplex Vermögensentzug auf dem Gebiet der Republik .sterreich während des Nationalsozialismus sowie Rückstellungen bzw. Entschädigungen Österreichs ab 1945 zu erforschen und darüber zu berichten. Die nun vorgelegten Zwischenberichte sind im Volltext auf der Homepage der Kommission unter http://www.historikerkommission.gv.at abrufbar. Der Endbericht wird bis Jahresende vorgelegt.

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